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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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gesinnten Kaimakan? Was hat die Unzufriedenheit der moldauischen Unionisten
im Cabinet von Lippe-Detmold für einen Eindruck gemacht? DaS alles sind
Fragen von der höchsten Wichtigkeit, und eS ist wieder die goldene Zeit der
Diplomaten, hauptsächlich aber für die Kammerdiener der Diplomaten, die
nun die beste Gelegenheit haben, jeden Tag ein neues kleines politisches Ge¬
heimniß zu verschachern. Aber das Publicum hegt für derartige Fragen nicht
mehr das Interesse, das nicht ausgeblieben sein würde. Es hat sich an
den summarischen Proceß gewöhnt und gibt, ohne sich weiter auf die Gründe
einzulassen, ziemlich einstimmig daS Urtheil dahin ab, daß die Staatsmänner
Oestreichs und Preußens nicht recht bei Sinnen sind, wenn sie sich über die
Frage, ob die Moldauer legal oder nicht legal gewählt haben, untereinander
entzweien. Es ist möglich, daß sich das Publicum darin irrt, baß die mol¬
dauische Nation für eine Repräsentativverfassung die wünschenswertheste Reife
besitzt; es ist möglich, daß Preußens europäische Lage dadurch wesentlich al-
terirt wird, daß die beiden HoSpodare durch einen HoSpodar ersetzt worden,
aber diese Möglichkeit zu begreifen, erfordert eine gelehrte politische Bildung,
und diese besitzt das deutsche Publicum, das sich doch so vielen unnöthiger
Wissens erfreut, Gott sei Dank noch nicht. Von einer ähnlichen Klarheit
sind ober die meisten politischen Fragen, welche im gegenwärtigen Augenblick
das Nachdenken der deutschen Hofe beschäftigen. Diesen Umstand muß man
auch im Auge behalten, wenn man das Verhalten deS deutschen Volks in der
großen orientalischen Krisis richtig würdigen will. Die Sympathie desselben
war zwar für einen Krieg gegen Nußland, nicht aus irgend einem politischen
Grunde, sondern weil die Russen in Deutschland unpopulär sind, aber eine
vollständige Einsicht in die Sache zu gewinnen war sehr schwer, und die be¬
rühmten vier Punkte, auf die man immer wieder zurückkam, waren am wenig¬
sten geeignet, das deutsche Volk darüber aufzuklären, waS eS eigentlich im
Orient zu suchen habe. Die sogenannte konservative Partei in Preußen hat
die Wahlen von 1855 als ein Dankvotum bezeichnet, welches daS preußische
Volk der Regierung für ihre in der orientalischen Frage verfolgte Politik er¬
stattet habe; daS war es freilich nicht, denn man kann eine Politik nur dann
anerkennen, wenn man sie in ihren innern Motiven begreift, aber eS war
allerdings ein Zeichen dafür, daß jene Frage dem Volk zu verwickelt erschien,
um in derselben der Regierung gegenüber eine eigne selbMndige Ansicht zu
vertreten.

Eine ganz andere Bewandtniß hat eS mit den Fragen der National¬
ökonomie. Alle Welt weiß, daß seit einigen Jahren die Preise der Lebensbedürf¬
nisse auf eine unerhörte Weise gestiegen sind, daß daS bisherige Einkommen
nicht mehr ausreicht, eine Familie zu erhalten. Alle Welt wird durch die
Regierungen darauf aufmerksam gemacht, daß das Geld nur ein auf gesetz-


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gesinnten Kaimakan? Was hat die Unzufriedenheit der moldauischen Unionisten
im Cabinet von Lippe-Detmold für einen Eindruck gemacht? DaS alles sind
Fragen von der höchsten Wichtigkeit, und eS ist wieder die goldene Zeit der
Diplomaten, hauptsächlich aber für die Kammerdiener der Diplomaten, die
nun die beste Gelegenheit haben, jeden Tag ein neues kleines politisches Ge¬
heimniß zu verschachern. Aber das Publicum hegt für derartige Fragen nicht
mehr das Interesse, das nicht ausgeblieben sein würde. Es hat sich an
den summarischen Proceß gewöhnt und gibt, ohne sich weiter auf die Gründe
einzulassen, ziemlich einstimmig daS Urtheil dahin ab, daß die Staatsmänner
Oestreichs und Preußens nicht recht bei Sinnen sind, wenn sie sich über die
Frage, ob die Moldauer legal oder nicht legal gewählt haben, untereinander
entzweien. Es ist möglich, daß sich das Publicum darin irrt, baß die mol¬
dauische Nation für eine Repräsentativverfassung die wünschenswertheste Reife
besitzt; es ist möglich, daß Preußens europäische Lage dadurch wesentlich al-
terirt wird, daß die beiden HoSpodare durch einen HoSpodar ersetzt worden,
aber diese Möglichkeit zu begreifen, erfordert eine gelehrte politische Bildung,
und diese besitzt das deutsche Publicum, das sich doch so vielen unnöthiger
Wissens erfreut, Gott sei Dank noch nicht. Von einer ähnlichen Klarheit
sind ober die meisten politischen Fragen, welche im gegenwärtigen Augenblick
das Nachdenken der deutschen Hofe beschäftigen. Diesen Umstand muß man
auch im Auge behalten, wenn man das Verhalten deS deutschen Volks in der
großen orientalischen Krisis richtig würdigen will. Die Sympathie desselben
war zwar für einen Krieg gegen Nußland, nicht aus irgend einem politischen
Grunde, sondern weil die Russen in Deutschland unpopulär sind, aber eine
vollständige Einsicht in die Sache zu gewinnen war sehr schwer, und die be¬
rühmten vier Punkte, auf die man immer wieder zurückkam, waren am wenig¬
sten geeignet, das deutsche Volk darüber aufzuklären, waS eS eigentlich im
Orient zu suchen habe. Die sogenannte konservative Partei in Preußen hat
die Wahlen von 1855 als ein Dankvotum bezeichnet, welches daS preußische
Volk der Regierung für ihre in der orientalischen Frage verfolgte Politik er¬
stattet habe; daS war es freilich nicht, denn man kann eine Politik nur dann
anerkennen, wenn man sie in ihren innern Motiven begreift, aber eS war
allerdings ein Zeichen dafür, daß jene Frage dem Volk zu verwickelt erschien,
um in derselben der Regierung gegenüber eine eigne selbMndige Ansicht zu
vertreten.

Eine ganz andere Bewandtniß hat eS mit den Fragen der National¬
ökonomie. Alle Welt weiß, daß seit einigen Jahren die Preise der Lebensbedürf¬
nisse auf eine unerhörte Weise gestiegen sind, daß daS bisherige Einkommen
nicht mehr ausreicht, eine Familie zu erhalten. Alle Welt wird durch die
Regierungen darauf aufmerksam gemacht, daß das Geld nur ein auf gesetz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/51>, abgerufen am 23.07.2024.