Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.gesteht in der Vorrede ein, eS komme ihm hauptsächlich auf ein schönes Bild Freilich ist jener Anspruch auf die Erfindung einer neuen Wissenschaft Diese Ereurse über die hohe Bedeutung der neuen Wissenschaft könnten, gesteht in der Vorrede ein, eS komme ihm hauptsächlich auf ein schönes Bild Freilich ist jener Anspruch auf die Erfindung einer neuen Wissenschaft Diese Ereurse über die hohe Bedeutung der neuen Wissenschaft könnten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281693"/> <p xml:id="ID_1369" prev="#ID_1368"> gesteht in der Vorrede ein, eS komme ihm hauptsächlich auf ein schönes Bild<lb/> an, und er erinnert an Titian und Rembrandt. Bei einem belletristischen<lb/> Buch wäre das in der Ordnung, der Anspruch an eine wissenschaftliche<lb/> Leistung aber verträgt sich nicht mit dieser Virtuosität in den Farben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1370"> Freilich ist jener Anspruch auf die Erfindung einer neuen Wissenschaft<lb/> grade das schlimmste Judicium für die oben gerügte Subjectivität. Die<lb/> angeblich neue Wissenschaft der Socialpolitik ist weder neu, noch eine<lb/> Wissenschaft. Sie ist keine Wissenschaft, weil sie vorläufig noch auf einzelnen<lb/> Gemälden beruht, und noch kein einziges Gesetz, keine einzige anwendbare Formel<lb/> gefunden hat; eine Wissenschaft eristirt aber erst dann, wenn sie ihre Resultate in<lb/> klaren positiven Regeln ausdrückt, von denen man auf jeden beliebigen Fall An¬<lb/> wendung machen darf. Sie ist aber auch nicht neu, denn nicht thut nur<lb/> dasselbe, was alle Länderbeschreiber seit Herodot, Strabo und Pausanias ge¬<lb/> than haben, er beschreibt und charakterisirt seinem Leser das Land, mit dem er<lb/> ihn bekannt machen will, nach allen Richtungen hin: die politischen und ökono¬<lb/> mischen Zustände, die Sitten und Gebräuche, die Trachten und Nahrungsmittel,<lb/> die Knnstalterthümer und die praktischen Anstalten, kurz alles, was man auf der<lb/> Reise Neues erlebt und was den Fremden interessirt. Das haben alle Reise-<lb/> beschreiber seit den zwei Jahrtausenden gethan, in denen überhaupt eine<lb/> Literatur eristirt. Wenn Richis Bildung tiefer und umfassender ist, als z. B. die<lb/> Bildung von Nicolai und Campe, so ist das nur ein quantitativer Unterschied,<lb/> kein qualitativer. Zudem verfällt er nicht selten in den Fehler jener Männer,<lb/> er geht nämlich von einem vorgefaßten Gesichtspunkt aus. Wenn unsere<lb/> Aufklärer überall das Noth- und Hilföbüchlein vor Augen hatten, so läßt<lb/> sich Riehl von ästhetischen Gesichtspunkten leiten. So entdeckt er z. B. in<lb/> der Pfalz überall Spuren des Romanismus, und wenn er einige^sehr richtige<lb/> Bemerkungen macht, so hetzt er diesen Einfall zu Tode, er verfolgt ihn bis in<lb/> die Blumentöpfe hinein. Mit Vergnügen haben wir bemerkt, daß seine<lb/> Ideen über ständische Gliederung u. s. w. sich seit den letzten drei Jahren<lb/> wesentlich cultivirt haben, aber er betrachtet die Landschaft doch immer noch<lb/> durch eine gefärbte Brille, und seine Augen sind gut genug, um dieses Hilfs¬<lb/> mittels entbehren zu könne». Wenn er die Brille nicht ans hätte, würde er sich<lb/> daran so erinnern, daß ein rothhaariges Kind, welches ein Durchreisender neben<lb/> der Post bemerkt, denselben noch nicht berechtigt, in seinem Notizbüchlein die<lb/> Bemerkung einzutragen: in dieser Stadt dominiren die rothen Haare. Wenn,<lb/> um ein anderes Beispiel anzuführen, der Thorwärter in Leipzig einen Reisenden,<lb/> der in der Mütze kam, wirklich nach seinem Wanderbuch gefragt hat, so muß<lb/> er in sehr gereizter Stimmung gewesen sein, denn sonst ist den Leipzigern<lb/> die Mütze kein so unbekanntes Phänomen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1371" next="#ID_1372"> Diese Ereurse über die hohe Bedeutung der neuen Wissenschaft könnten,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0509]
gesteht in der Vorrede ein, eS komme ihm hauptsächlich auf ein schönes Bild
an, und er erinnert an Titian und Rembrandt. Bei einem belletristischen
Buch wäre das in der Ordnung, der Anspruch an eine wissenschaftliche
Leistung aber verträgt sich nicht mit dieser Virtuosität in den Farben.
Freilich ist jener Anspruch auf die Erfindung einer neuen Wissenschaft
grade das schlimmste Judicium für die oben gerügte Subjectivität. Die
angeblich neue Wissenschaft der Socialpolitik ist weder neu, noch eine
Wissenschaft. Sie ist keine Wissenschaft, weil sie vorläufig noch auf einzelnen
Gemälden beruht, und noch kein einziges Gesetz, keine einzige anwendbare Formel
gefunden hat; eine Wissenschaft eristirt aber erst dann, wenn sie ihre Resultate in
klaren positiven Regeln ausdrückt, von denen man auf jeden beliebigen Fall An¬
wendung machen darf. Sie ist aber auch nicht neu, denn nicht thut nur
dasselbe, was alle Länderbeschreiber seit Herodot, Strabo und Pausanias ge¬
than haben, er beschreibt und charakterisirt seinem Leser das Land, mit dem er
ihn bekannt machen will, nach allen Richtungen hin: die politischen und ökono¬
mischen Zustände, die Sitten und Gebräuche, die Trachten und Nahrungsmittel,
die Knnstalterthümer und die praktischen Anstalten, kurz alles, was man auf der
Reise Neues erlebt und was den Fremden interessirt. Das haben alle Reise-
beschreiber seit den zwei Jahrtausenden gethan, in denen überhaupt eine
Literatur eristirt. Wenn Richis Bildung tiefer und umfassender ist, als z. B. die
Bildung von Nicolai und Campe, so ist das nur ein quantitativer Unterschied,
kein qualitativer. Zudem verfällt er nicht selten in den Fehler jener Männer,
er geht nämlich von einem vorgefaßten Gesichtspunkt aus. Wenn unsere
Aufklärer überall das Noth- und Hilföbüchlein vor Augen hatten, so läßt
sich Riehl von ästhetischen Gesichtspunkten leiten. So entdeckt er z. B. in
der Pfalz überall Spuren des Romanismus, und wenn er einige^sehr richtige
Bemerkungen macht, so hetzt er diesen Einfall zu Tode, er verfolgt ihn bis in
die Blumentöpfe hinein. Mit Vergnügen haben wir bemerkt, daß seine
Ideen über ständische Gliederung u. s. w. sich seit den letzten drei Jahren
wesentlich cultivirt haben, aber er betrachtet die Landschaft doch immer noch
durch eine gefärbte Brille, und seine Augen sind gut genug, um dieses Hilfs¬
mittels entbehren zu könne». Wenn er die Brille nicht ans hätte, würde er sich
daran so erinnern, daß ein rothhaariges Kind, welches ein Durchreisender neben
der Post bemerkt, denselben noch nicht berechtigt, in seinem Notizbüchlein die
Bemerkung einzutragen: in dieser Stadt dominiren die rothen Haare. Wenn,
um ein anderes Beispiel anzuführen, der Thorwärter in Leipzig einen Reisenden,
der in der Mütze kam, wirklich nach seinem Wanderbuch gefragt hat, so muß
er in sehr gereizter Stimmung gewesen sein, denn sonst ist den Leipzigern
die Mütze kein so unbekanntes Phänomen.
Diese Ereurse über die hohe Bedeutung der neuen Wissenschaft könnten,
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