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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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zudrücken, sondern es erscheint ihm als Pflicht eines guten Stilisten. Es ist
unverkennbar, daß jetzt alle Welt sich bemüht, diese üble Neigung zu be¬
kämpfen, statt der Person die Sache ins Auge zu fassen, oder, nach dem
Kunstausdruck, die subjective Form mit der objectiven zu vertauschen. Aber
Spuren von der alten schlechten Manier finden sich noch immer bei sehr be¬
gabten geistvollen Schriftstellern und auf diese wollen wir bei Gelegenheit
einiger neuen Erscheinungen aufmerksam machen.

Ein neues Buch von nicht: Die Pfälzer, ein rheinisches Volks¬
bild (Stuttgart und Augsburg, Cotta) ist das erste in der Reihe. Um nicht
ein falsches Norurtheil zu erregen, schicken wir gleich hier voraus, daß wir
es mit einem guten, ebenso unterhaltenden als lehrreichen Buch zu thun
haben; einem Buch, das gegen die Naturgeschichte deS Volks ein großer
Fortschritt ist. Daß Riehl gut sehn und das Gesehene gut ausmalen konnte,
wußte man schon früher, allein er hatte den Fehler begangen, aus einzelnen,
zum Theil geistvollen Anschauungen, die aber nach keiner Seite hin erschöpfend
waren, ein vermeintliches System zu machen, und deshalb seine Gegenstände
in einer falschen Perspective zu zeigen. Wenn es unzweifelhaft ein Fehler ist,
die Wirklichkeit in das Prokrustesbett fertiger abstracter Regeln zu zwängen,
so ist es noch viel, bedenklicher, Beobachtungen, die für den einzelnen Fall
ganz richtig sein können, zu verallgemeinern, ohne sich vorher eine Gesammt-
übersicht über das Feld, das man behandeln wollte, zu verschaffen. In
dieses Mißverständnis; war aber Riehl in seiner Naturgeschichte des Volks
so häusig verfallen, daß man neben den treffendsten Bemerkungen auf hand¬
greifliche Absurditäten stieß, auf Absurditäten, die man sich nur erklären
konnte, wenn man sie genetisch erklärte d. h. wenn man sich den individuellen
Fall ins Gedächtniß rief, von dessen Anschauungen nicht ausgegangen war.

Dieser Fehler ist in dem neuen Buch, wenn nicht ganz, doch zum großen
Theil vermieden. Der Verfasser behandelt dies Mal einen beschränkten Gegen¬
stand, den er gründlich studirt hat und der eS ihm möglich macht, jede neu
erfundene Regel an der Gesammtheit der einzelnen Fälle zu controliren und
zu berichtigen. Wenn das Buch trotzdem keinen ganz reinen Eindruck macht,
so liegt daS mehr in der Form als im Inhalt.

Zunächst kehrt der Verfasser noch immer mehr als billig den Feuilletonisten
heraus. Im Feuilleton einer Zeitung lesen sich diese Gedankensprünge, diese
wunderlichen Ideenassociationen, diese Mischung des ernsten und des burlesken
Stils ganz artig, aber im 'Buch verlangt man doch etwas Anderes. Es
handelt sich nicht blos um den richtigen ästhetischen Eindruck, der Fehler geht
vom Stil in die Sache über, da der Witz und der Humor nicht selten den
Verfasser verführt, die Gegenstände blos als künstlerische Objecte zu betrachte"
d. h. aus ihnen zu machen, was sich grade für die Stimmung schickt. Er


zudrücken, sondern es erscheint ihm als Pflicht eines guten Stilisten. Es ist
unverkennbar, daß jetzt alle Welt sich bemüht, diese üble Neigung zu be¬
kämpfen, statt der Person die Sache ins Auge zu fassen, oder, nach dem
Kunstausdruck, die subjective Form mit der objectiven zu vertauschen. Aber
Spuren von der alten schlechten Manier finden sich noch immer bei sehr be¬
gabten geistvollen Schriftstellern und auf diese wollen wir bei Gelegenheit
einiger neuen Erscheinungen aufmerksam machen.

Ein neues Buch von nicht: Die Pfälzer, ein rheinisches Volks¬
bild (Stuttgart und Augsburg, Cotta) ist das erste in der Reihe. Um nicht
ein falsches Norurtheil zu erregen, schicken wir gleich hier voraus, daß wir
es mit einem guten, ebenso unterhaltenden als lehrreichen Buch zu thun
haben; einem Buch, das gegen die Naturgeschichte deS Volks ein großer
Fortschritt ist. Daß Riehl gut sehn und das Gesehene gut ausmalen konnte,
wußte man schon früher, allein er hatte den Fehler begangen, aus einzelnen,
zum Theil geistvollen Anschauungen, die aber nach keiner Seite hin erschöpfend
waren, ein vermeintliches System zu machen, und deshalb seine Gegenstände
in einer falschen Perspective zu zeigen. Wenn es unzweifelhaft ein Fehler ist,
die Wirklichkeit in das Prokrustesbett fertiger abstracter Regeln zu zwängen,
so ist es noch viel, bedenklicher, Beobachtungen, die für den einzelnen Fall
ganz richtig sein können, zu verallgemeinern, ohne sich vorher eine Gesammt-
übersicht über das Feld, das man behandeln wollte, zu verschaffen. In
dieses Mißverständnis; war aber Riehl in seiner Naturgeschichte des Volks
so häusig verfallen, daß man neben den treffendsten Bemerkungen auf hand¬
greifliche Absurditäten stieß, auf Absurditäten, die man sich nur erklären
konnte, wenn man sie genetisch erklärte d. h. wenn man sich den individuellen
Fall ins Gedächtniß rief, von dessen Anschauungen nicht ausgegangen war.

Dieser Fehler ist in dem neuen Buch, wenn nicht ganz, doch zum großen
Theil vermieden. Der Verfasser behandelt dies Mal einen beschränkten Gegen¬
stand, den er gründlich studirt hat und der eS ihm möglich macht, jede neu
erfundene Regel an der Gesammtheit der einzelnen Fälle zu controliren und
zu berichtigen. Wenn das Buch trotzdem keinen ganz reinen Eindruck macht,
so liegt daS mehr in der Form als im Inhalt.

Zunächst kehrt der Verfasser noch immer mehr als billig den Feuilletonisten
heraus. Im Feuilleton einer Zeitung lesen sich diese Gedankensprünge, diese
wunderlichen Ideenassociationen, diese Mischung des ernsten und des burlesken
Stils ganz artig, aber im 'Buch verlangt man doch etwas Anderes. Es
handelt sich nicht blos um den richtigen ästhetischen Eindruck, der Fehler geht
vom Stil in die Sache über, da der Witz und der Humor nicht selten den
Verfasser verführt, die Gegenstände blos als künstlerische Objecte zu betrachte«
d. h. aus ihnen zu machen, was sich grade für die Stimmung schickt. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/508>, abgerufen am 23.07.2024.