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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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der öffentlichen Arbeiten aus, indem er von der Tribüne herab sagte: "Das
Recht zu testiren hat im gesellschaftliche" Interesse seine Grenze; kann man
einem Sterbenden die unbedingte Berechtigung einräumen, der bürgerlichen Ge¬
sellschaft für immer seinen Willen aufzuerlegen?" -- Hiermit wurde andeutend
erklärt, eS solle der Verewigung der Ideen und Bestrebungen, denen die Par¬
tei des Fortschritts entgegenarbeitete, durch die Verminderung der Aufsicht des
Staates bei Verwaltung deS sehr bedeutenden Anuengutes kein Vorschub ge¬
leistet werden. Die entgegengesetzte Ansicht bot der Kirche in ihren zeitlichen
Bestrebungen eine zu mächtige Unterstützung, als daß die Vertreter des Libe¬
ralismus nicht mit Eifer auf die Beobachtung von Gesetzen hätten dringen sol-
len, welche die französische Revolution erzeugt hatte und die sie im Interesse
des neuen Belgien für angemessen hielten. Da jedoch das alte Gesetz an eini¬
gen Unklarheiten litt, und die Deutung des Ministeriums von den Klerikalen
lebhaft bekämpft wurde, so dachte mau an die Ausarbeitung neuer Bestimmungen.
Zu diesem Behuf wurde bereits -1849 eine vorwiegend aus liberalen
Elementen zusammengesetzte Commission nut Untersuchung der Sache beauftragt.
Sie übergab ihr Gutachten der Regierung, aber erst nach dem Sturze Rogiers
kam die Angelegenheit wieder vor die Kammer, und zwar in Form eines
Gesetzentwurfes' des Justizministers Falter, welcher im Gegensatz gegen die bis¬
herige Ordnung Aufnahme eines Geistlichen in die Wvhlthätigkeitsbureaur
und die Bestimmung beantragte, daß es der Legislatur vorbehalten bleiben
sollte, jedes von der Bewilligung deS Staats unabhängige, mit specieller Ver¬
waltung versehene Institut der betreffenden Art ins Leben zu rufen, woran sich
schließlich der Vorschlag knüpfte, den Stiftern mildthätiger Anstalten für sich
selbst oder Glieder ihrer Familie einen Antheil an der Leitung ihrer Stiftung
zu gestatten.

Dieser Gesetzentwurf war nicht uuauuehmbcir für die Liberalen. Er ver¬
söhnte daS Interesse der bürgerlichen Gesellschaft und der Armen mit dem
Grundsatz der individuellen Freiheit, und so trat die Centralabtheilung deu Be¬
stimmungen desselben mit alleiniger Ausnahme derjenigen, welche den Armen¬
commissionen einen Geistlichen zutheilte, bei. Inzwischen trat kurz nachher pas
gemäßigte Ministerium de Brouckere, dem Falter angehörte, ab, und das Ca-
binet de Decker- Vilain XIV. zog den Gesetzentwurf' seiner Vorgänger zurück,
um statt seiner andere Vorschläge zu machen, die, von Nothomb, dem jetzigen
Justizminister unterzeichnet, um 29. Januar 1866 eingebracht und den Aus¬
schüssen überwiesen wurden. Die wichtigsten Bestimmung'en dieser neuen Fas¬
sung des Entwurfs, über den der streng katholische Deputate Malon am ->?.
December desselben Jahres im Namen der Centralabtheilung in einer auffallend
polemisch gehaltenen Rede Bericht erstattete, waren folgende:

"Artikel 7V. Die Stiftungen können zum Gegenstand haben: Die Be-


der öffentlichen Arbeiten aus, indem er von der Tribüne herab sagte: „Das
Recht zu testiren hat im gesellschaftliche» Interesse seine Grenze; kann man
einem Sterbenden die unbedingte Berechtigung einräumen, der bürgerlichen Ge¬
sellschaft für immer seinen Willen aufzuerlegen?" — Hiermit wurde andeutend
erklärt, eS solle der Verewigung der Ideen und Bestrebungen, denen die Par¬
tei des Fortschritts entgegenarbeitete, durch die Verminderung der Aufsicht des
Staates bei Verwaltung deS sehr bedeutenden Anuengutes kein Vorschub ge¬
leistet werden. Die entgegengesetzte Ansicht bot der Kirche in ihren zeitlichen
Bestrebungen eine zu mächtige Unterstützung, als daß die Vertreter des Libe¬
ralismus nicht mit Eifer auf die Beobachtung von Gesetzen hätten dringen sol-
len, welche die französische Revolution erzeugt hatte und die sie im Interesse
des neuen Belgien für angemessen hielten. Da jedoch das alte Gesetz an eini¬
gen Unklarheiten litt, und die Deutung des Ministeriums von den Klerikalen
lebhaft bekämpft wurde, so dachte mau an die Ausarbeitung neuer Bestimmungen.
Zu diesem Behuf wurde bereits -1849 eine vorwiegend aus liberalen
Elementen zusammengesetzte Commission nut Untersuchung der Sache beauftragt.
Sie übergab ihr Gutachten der Regierung, aber erst nach dem Sturze Rogiers
kam die Angelegenheit wieder vor die Kammer, und zwar in Form eines
Gesetzentwurfes' des Justizministers Falter, welcher im Gegensatz gegen die bis¬
herige Ordnung Aufnahme eines Geistlichen in die Wvhlthätigkeitsbureaur
und die Bestimmung beantragte, daß es der Legislatur vorbehalten bleiben
sollte, jedes von der Bewilligung deS Staats unabhängige, mit specieller Ver¬
waltung versehene Institut der betreffenden Art ins Leben zu rufen, woran sich
schließlich der Vorschlag knüpfte, den Stiftern mildthätiger Anstalten für sich
selbst oder Glieder ihrer Familie einen Antheil an der Leitung ihrer Stiftung
zu gestatten.

Dieser Gesetzentwurf war nicht uuauuehmbcir für die Liberalen. Er ver¬
söhnte daS Interesse der bürgerlichen Gesellschaft und der Armen mit dem
Grundsatz der individuellen Freiheit, und so trat die Centralabtheilung deu Be¬
stimmungen desselben mit alleiniger Ausnahme derjenigen, welche den Armen¬
commissionen einen Geistlichen zutheilte, bei. Inzwischen trat kurz nachher pas
gemäßigte Ministerium de Brouckere, dem Falter angehörte, ab, und das Ca-
binet de Decker- Vilain XIV. zog den Gesetzentwurf' seiner Vorgänger zurück,
um statt seiner andere Vorschläge zu machen, die, von Nothomb, dem jetzigen
Justizminister unterzeichnet, um 29. Januar 1866 eingebracht und den Aus¬
schüssen überwiesen wurden. Die wichtigsten Bestimmung'en dieser neuen Fas¬
sung des Entwurfs, über den der streng katholische Deputate Malon am ->?.
December desselben Jahres im Namen der Centralabtheilung in einer auffallend
polemisch gehaltenen Rede Bericht erstattete, waren folgende:

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[0498] der öffentlichen Arbeiten aus, indem er von der Tribüne herab sagte: „Das Recht zu testiren hat im gesellschaftliche» Interesse seine Grenze; kann man einem Sterbenden die unbedingte Berechtigung einräumen, der bürgerlichen Ge¬ sellschaft für immer seinen Willen aufzuerlegen?" — Hiermit wurde andeutend erklärt, eS solle der Verewigung der Ideen und Bestrebungen, denen die Par¬ tei des Fortschritts entgegenarbeitete, durch die Verminderung der Aufsicht des Staates bei Verwaltung deS sehr bedeutenden Anuengutes kein Vorschub ge¬ leistet werden. Die entgegengesetzte Ansicht bot der Kirche in ihren zeitlichen Bestrebungen eine zu mächtige Unterstützung, als daß die Vertreter des Libe¬ ralismus nicht mit Eifer auf die Beobachtung von Gesetzen hätten dringen sol- len, welche die französische Revolution erzeugt hatte und die sie im Interesse des neuen Belgien für angemessen hielten. Da jedoch das alte Gesetz an eini¬ gen Unklarheiten litt, und die Deutung des Ministeriums von den Klerikalen lebhaft bekämpft wurde, so dachte mau an die Ausarbeitung neuer Bestimmungen. Zu diesem Behuf wurde bereits -1849 eine vorwiegend aus liberalen Elementen zusammengesetzte Commission nut Untersuchung der Sache beauftragt. Sie übergab ihr Gutachten der Regierung, aber erst nach dem Sturze Rogiers kam die Angelegenheit wieder vor die Kammer, und zwar in Form eines Gesetzentwurfes' des Justizministers Falter, welcher im Gegensatz gegen die bis¬ herige Ordnung Aufnahme eines Geistlichen in die Wvhlthätigkeitsbureaur und die Bestimmung beantragte, daß es der Legislatur vorbehalten bleiben sollte, jedes von der Bewilligung deS Staats unabhängige, mit specieller Ver¬ waltung versehene Institut der betreffenden Art ins Leben zu rufen, woran sich schließlich der Vorschlag knüpfte, den Stiftern mildthätiger Anstalten für sich selbst oder Glieder ihrer Familie einen Antheil an der Leitung ihrer Stiftung zu gestatten. Dieser Gesetzentwurf war nicht uuauuehmbcir für die Liberalen. Er ver¬ söhnte daS Interesse der bürgerlichen Gesellschaft und der Armen mit dem Grundsatz der individuellen Freiheit, und so trat die Centralabtheilung deu Be¬ stimmungen desselben mit alleiniger Ausnahme derjenigen, welche den Armen¬ commissionen einen Geistlichen zutheilte, bei. Inzwischen trat kurz nachher pas gemäßigte Ministerium de Brouckere, dem Falter angehörte, ab, und das Ca- binet de Decker- Vilain XIV. zog den Gesetzentwurf' seiner Vorgänger zurück, um statt seiner andere Vorschläge zu machen, die, von Nothomb, dem jetzigen Justizminister unterzeichnet, um 29. Januar 1866 eingebracht und den Aus¬ schüssen überwiesen wurden. Die wichtigsten Bestimmung'en dieser neuen Fas¬ sung des Entwurfs, über den der streng katholische Deputate Malon am ->?. December desselben Jahres im Namen der Centralabtheilung in einer auffallend polemisch gehaltenen Rede Bericht erstattete, waren folgende: „Artikel 7V. Die Stiftungen können zum Gegenstand haben: Die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/498>, abgerufen am 23.07.2024.