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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Lehrer, Leiter anderer Besserungsanstalten in allen Formen entsandt, und sind
bereits -132 Brüder zu solchen Zwecken aus der Anstalt abgegangen. Es sind
unter ihnen Handwerker und Lehrer aus den verschiedensten Theilen Deutsch¬
lands, und je nach ihrer Befähigung werden sie in der Anstalt selbst ver¬
wendet. Ihnen fällt auch die Leitung der mannigfachen Handwerksarbeit an¬
heim. Jedes Kind muß nämlich ein Handwerk lernen, ja die meisten lernen
mehrere, da es ihnen bis zu einem gewissen Alter erlaubt ist, ihre Neigungen
und Kräfte alle halbe Jahre in einem andern Handwerke zu versuchen.

Es ist unmöglich, von dem innern Leben der Anstalt in kurzen Zügen ein
anschauliches Bild zu entwerfen; es kommen dabei so mannigfaltige und doch
so wohl geordnete Verhältnisse mit in Betracht, daß man Wieherns organisatorisches
Talent bewundern muß, auch wenn man wie wir ein entschiedener Gegner seiner
überall durchblickenden religiösen Richtung ist. Im hiesigen Publicum ist die
Meinung je nach individuellen Erfahrungen oder den Vorurtheilen der Partei
sehr getheilt. Wo Religion oder Politik mit im Spiele sind, ist das Urtheil
selten unbefangen.

Das trifft bei den Urtheilen über die fröbelschen Kindergärten, deren wir
hier jetzt sieben mit etwa zwölfhundert Kindern haben, ebenfalls zu. Man hat
ihr Wesen viel zu oft nach ihrem zufälligen Zusammenhang mit politischen
und religiösen Parteiungen beurtheilt, anstatt ausschließlich den Werth deS
erziehlichen Princips und der Ausführung zu betrachten. Ebenso oft auch hat
man über die Mängel der Ausführung den Werth des Princips übersehen.
Fröbel hat in seine Spiele für die Kinderwelt viel zu viel hineingekünstelt;
aber nichts desto weniger bleibt sein Princip gut, das darauf ausgeht, dem
Kinde in einem Alter, in dem es noch nicht lernt, durch das, Spiel
manche wichtige Anschauungen zu erleichtern, seine Beobachtungsgabe in
geordneter Weise zu entwickeln und vor allem den Trieb zur Selbstthätig¬
keit an spielender Umgestaltung einfacher Dinge zu stärken. Dieses Princip
ist gut, und viele der von ihm gewählten Auöführungömittel entsprechen dem¬
selben. Das spielerische an der Sache läßt sich abstreifen, und wird dies
hoffentlich immer mehr geschehen, je mehr diese deutsche Idee Eingang ins
Ausland findet. Zu dieser Verbreitung ist in den letzten Jahren bereits
Wesentliches geschehen. Unter dem Schutz der Kaiserin haben in Frankreich
die Bemühungen der Baronin von Mareuholz günstige Ausnahme gefunden.
Die Anerkennung, welche die Kindergärten schon im praktischen England bei
hochgestellten Männern gefunden habon, wird vielleicht am besten diejenigen
Deutschen zur Besinnung bringen, die alles an den Kindergärten für spielende
Träumerei ausgeben möchten. Besondere Theilnahme finden die Kindergärten
bei einem Theil der-Hamburger Frauenwelt; ja es gibt selbst angesehene
Damen, denen die Kenntniß der fröbelschen Erziehung von so allgemeiner


Lehrer, Leiter anderer Besserungsanstalten in allen Formen entsandt, und sind
bereits -132 Brüder zu solchen Zwecken aus der Anstalt abgegangen. Es sind
unter ihnen Handwerker und Lehrer aus den verschiedensten Theilen Deutsch¬
lands, und je nach ihrer Befähigung werden sie in der Anstalt selbst ver¬
wendet. Ihnen fällt auch die Leitung der mannigfachen Handwerksarbeit an¬
heim. Jedes Kind muß nämlich ein Handwerk lernen, ja die meisten lernen
mehrere, da es ihnen bis zu einem gewissen Alter erlaubt ist, ihre Neigungen
und Kräfte alle halbe Jahre in einem andern Handwerke zu versuchen.

Es ist unmöglich, von dem innern Leben der Anstalt in kurzen Zügen ein
anschauliches Bild zu entwerfen; es kommen dabei so mannigfaltige und doch
so wohl geordnete Verhältnisse mit in Betracht, daß man Wieherns organisatorisches
Talent bewundern muß, auch wenn man wie wir ein entschiedener Gegner seiner
überall durchblickenden religiösen Richtung ist. Im hiesigen Publicum ist die
Meinung je nach individuellen Erfahrungen oder den Vorurtheilen der Partei
sehr getheilt. Wo Religion oder Politik mit im Spiele sind, ist das Urtheil
selten unbefangen.

Das trifft bei den Urtheilen über die fröbelschen Kindergärten, deren wir
hier jetzt sieben mit etwa zwölfhundert Kindern haben, ebenfalls zu. Man hat
ihr Wesen viel zu oft nach ihrem zufälligen Zusammenhang mit politischen
und religiösen Parteiungen beurtheilt, anstatt ausschließlich den Werth deS
erziehlichen Princips und der Ausführung zu betrachten. Ebenso oft auch hat
man über die Mängel der Ausführung den Werth des Princips übersehen.
Fröbel hat in seine Spiele für die Kinderwelt viel zu viel hineingekünstelt;
aber nichts desto weniger bleibt sein Princip gut, das darauf ausgeht, dem
Kinde in einem Alter, in dem es noch nicht lernt, durch das, Spiel
manche wichtige Anschauungen zu erleichtern, seine Beobachtungsgabe in
geordneter Weise zu entwickeln und vor allem den Trieb zur Selbstthätig¬
keit an spielender Umgestaltung einfacher Dinge zu stärken. Dieses Princip
ist gut, und viele der von ihm gewählten Auöführungömittel entsprechen dem¬
selben. Das spielerische an der Sache läßt sich abstreifen, und wird dies
hoffentlich immer mehr geschehen, je mehr diese deutsche Idee Eingang ins
Ausland findet. Zu dieser Verbreitung ist in den letzten Jahren bereits
Wesentliches geschehen. Unter dem Schutz der Kaiserin haben in Frankreich
die Bemühungen der Baronin von Mareuholz günstige Ausnahme gefunden.
Die Anerkennung, welche die Kindergärten schon im praktischen England bei
hochgestellten Männern gefunden habon, wird vielleicht am besten diejenigen
Deutschen zur Besinnung bringen, die alles an den Kindergärten für spielende
Träumerei ausgeben möchten. Besondere Theilnahme finden die Kindergärten
bei einem Theil der-Hamburger Frauenwelt; ja es gibt selbst angesehene
Damen, denen die Kenntniß der fröbelschen Erziehung von so allgemeiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/484>, abgerufen am 23.07.2024.