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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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die besorgte Rücksicht auf dieses einzige Institut für höhere Wissenschaft in
unserem Staate über die sparsamen und materiellen Besorgnisse des Jndustria-
lismus. Daher wurde 1833 die Erhaltung des Institutes beschlossen, einige
erledigte Professuren neu besetzt, und ihre Wirksamkeit durch eine Verpflichtung
zu öffentlichen Vorlesungen erweitert. Jetzt bestehe" statt der ursprünglichen
6 Professuren folgende S: eine Professur der classischen Philologie, eine der
Geschichte, eine der Physik und Mathematik, eine der Botanik und Zoologie
und eine der biblischen Philologie und der Philosophie. Diese Professuren be¬
kleiden jetzt die Professoren Petersen, Wurm, Wiebel, Lehmann, Nedslob, deren
jeder sich durch Schriften oder sonstige Thätigkeit in den betreffenden Kreisen
hinreichend bekannt gemacht hat.

Allein mit so anerkannten Erfolge auch manche von ihnen den Sinn für
öffentliche Vorlesungen in Hamburg anregten, zu einer Zeit, wo in andern
Städten diese jetzt überall modernen Vorlesungen noch nicht im Schwunge
waren: so wünschten doch sie sowol wie andere, denen die Förderung unserer
Bildungsanstalten am Herzen lag, daß die vorhandenen Lehrkräfte und Lehr¬
objecte noch zu einem festeren Zweck ausgebeutet würden. Diesem Gedanken
entsprangen die verschiedensten Reformvorschläge. Wollten die einen eine Gc-
werbschule aus dem Gymnasium machen, so schlugen andere eine Handels¬
schule vor und noch andere ein Lehrerseminar. Eine den Umständen ent¬
sprechende Verbindung deS Gymnasiums mit dem schon 1829 ausgesprochenen
Bedürfniß nach einem Lehrerseminar kam noch in diesem Jahre zum Vorschlag
und wurde öffentlich aufs lebhafteste besprochen. Schon jetzt nämlich wird
am Gymnasium ein Cyklus von Vorlesungen für angehende Lehrer gehalten,
die zwei schulwissenschaftliche Bildungsvereine dem Gymnasium zur weitern
Ausbildung überweisen. Der Vorschlag ging nun dahin, dieser schon bestehen¬
den Wirksamkeit mehr Form zu geben, besonders dadurch, daß die Oberleitung
desselben in die Hand eines zu berufenden Pädagogen gelegt werde. Den
Lehrern genügte diese Rücksicht nicht, sie wünschten ein vollständiges und selbst-
ständiges Seminar; die Privatlehrer betrachteten überdies den Pädagogen ent¬
weder als fünftes Rad am Wagen oder fürchteten seine Eingriffe in ihre Frei¬
heit. Viele ganz ungehörige Nebenbctrachtungen mischten sich in den Streit;
kurzum, den Herren Schullehrern gefiel der Vorschlag nicht. Da band sich denn,
was Schullehrer hieß und Bürger war, den schwarzen Bürgermantel um, ging
in die Bürgerschaft und schlug die Senatsproposition ab. Es ging wie mit
unserer Verfassung, weil das Gebotene nicht das Beste war, schlug man daS
Gute ab, das zum Bessern führen konnte. ' >

Auch hier trat eS hervor, daß alle unsere Reformbestrebungen zu nichts
führen, so lange die große Reform der Verfassung in den Hintergrund gestellt
bleibt. Jeder Reformvorschlag in Betreff unserer Bildungsanstalten führt auf


die besorgte Rücksicht auf dieses einzige Institut für höhere Wissenschaft in
unserem Staate über die sparsamen und materiellen Besorgnisse des Jndustria-
lismus. Daher wurde 1833 die Erhaltung des Institutes beschlossen, einige
erledigte Professuren neu besetzt, und ihre Wirksamkeit durch eine Verpflichtung
zu öffentlichen Vorlesungen erweitert. Jetzt bestehe» statt der ursprünglichen
6 Professuren folgende S: eine Professur der classischen Philologie, eine der
Geschichte, eine der Physik und Mathematik, eine der Botanik und Zoologie
und eine der biblischen Philologie und der Philosophie. Diese Professuren be¬
kleiden jetzt die Professoren Petersen, Wurm, Wiebel, Lehmann, Nedslob, deren
jeder sich durch Schriften oder sonstige Thätigkeit in den betreffenden Kreisen
hinreichend bekannt gemacht hat.

Allein mit so anerkannten Erfolge auch manche von ihnen den Sinn für
öffentliche Vorlesungen in Hamburg anregten, zu einer Zeit, wo in andern
Städten diese jetzt überall modernen Vorlesungen noch nicht im Schwunge
waren: so wünschten doch sie sowol wie andere, denen die Förderung unserer
Bildungsanstalten am Herzen lag, daß die vorhandenen Lehrkräfte und Lehr¬
objecte noch zu einem festeren Zweck ausgebeutet würden. Diesem Gedanken
entsprangen die verschiedensten Reformvorschläge. Wollten die einen eine Gc-
werbschule aus dem Gymnasium machen, so schlugen andere eine Handels¬
schule vor und noch andere ein Lehrerseminar. Eine den Umständen ent¬
sprechende Verbindung deS Gymnasiums mit dem schon 1829 ausgesprochenen
Bedürfniß nach einem Lehrerseminar kam noch in diesem Jahre zum Vorschlag
und wurde öffentlich aufs lebhafteste besprochen. Schon jetzt nämlich wird
am Gymnasium ein Cyklus von Vorlesungen für angehende Lehrer gehalten,
die zwei schulwissenschaftliche Bildungsvereine dem Gymnasium zur weitern
Ausbildung überweisen. Der Vorschlag ging nun dahin, dieser schon bestehen¬
den Wirksamkeit mehr Form zu geben, besonders dadurch, daß die Oberleitung
desselben in die Hand eines zu berufenden Pädagogen gelegt werde. Den
Lehrern genügte diese Rücksicht nicht, sie wünschten ein vollständiges und selbst-
ständiges Seminar; die Privatlehrer betrachteten überdies den Pädagogen ent¬
weder als fünftes Rad am Wagen oder fürchteten seine Eingriffe in ihre Frei¬
heit. Viele ganz ungehörige Nebenbctrachtungen mischten sich in den Streit;
kurzum, den Herren Schullehrern gefiel der Vorschlag nicht. Da band sich denn,
was Schullehrer hieß und Bürger war, den schwarzen Bürgermantel um, ging
in die Bürgerschaft und schlug die Senatsproposition ab. Es ging wie mit
unserer Verfassung, weil das Gebotene nicht das Beste war, schlug man daS
Gute ab, das zum Bessern führen konnte. ' >

Auch hier trat eS hervor, daß alle unsere Reformbestrebungen zu nichts
führen, so lange die große Reform der Verfassung in den Hintergrund gestellt
bleibt. Jeder Reformvorschlag in Betreff unserer Bildungsanstalten führt auf


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[0482] die besorgte Rücksicht auf dieses einzige Institut für höhere Wissenschaft in unserem Staate über die sparsamen und materiellen Besorgnisse des Jndustria- lismus. Daher wurde 1833 die Erhaltung des Institutes beschlossen, einige erledigte Professuren neu besetzt, und ihre Wirksamkeit durch eine Verpflichtung zu öffentlichen Vorlesungen erweitert. Jetzt bestehe» statt der ursprünglichen 6 Professuren folgende S: eine Professur der classischen Philologie, eine der Geschichte, eine der Physik und Mathematik, eine der Botanik und Zoologie und eine der biblischen Philologie und der Philosophie. Diese Professuren be¬ kleiden jetzt die Professoren Petersen, Wurm, Wiebel, Lehmann, Nedslob, deren jeder sich durch Schriften oder sonstige Thätigkeit in den betreffenden Kreisen hinreichend bekannt gemacht hat. Allein mit so anerkannten Erfolge auch manche von ihnen den Sinn für öffentliche Vorlesungen in Hamburg anregten, zu einer Zeit, wo in andern Städten diese jetzt überall modernen Vorlesungen noch nicht im Schwunge waren: so wünschten doch sie sowol wie andere, denen die Förderung unserer Bildungsanstalten am Herzen lag, daß die vorhandenen Lehrkräfte und Lehr¬ objecte noch zu einem festeren Zweck ausgebeutet würden. Diesem Gedanken entsprangen die verschiedensten Reformvorschläge. Wollten die einen eine Gc- werbschule aus dem Gymnasium machen, so schlugen andere eine Handels¬ schule vor und noch andere ein Lehrerseminar. Eine den Umständen ent¬ sprechende Verbindung deS Gymnasiums mit dem schon 1829 ausgesprochenen Bedürfniß nach einem Lehrerseminar kam noch in diesem Jahre zum Vorschlag und wurde öffentlich aufs lebhafteste besprochen. Schon jetzt nämlich wird am Gymnasium ein Cyklus von Vorlesungen für angehende Lehrer gehalten, die zwei schulwissenschaftliche Bildungsvereine dem Gymnasium zur weitern Ausbildung überweisen. Der Vorschlag ging nun dahin, dieser schon bestehen¬ den Wirksamkeit mehr Form zu geben, besonders dadurch, daß die Oberleitung desselben in die Hand eines zu berufenden Pädagogen gelegt werde. Den Lehrern genügte diese Rücksicht nicht, sie wünschten ein vollständiges und selbst- ständiges Seminar; die Privatlehrer betrachteten überdies den Pädagogen ent¬ weder als fünftes Rad am Wagen oder fürchteten seine Eingriffe in ihre Frei¬ heit. Viele ganz ungehörige Nebenbctrachtungen mischten sich in den Streit; kurzum, den Herren Schullehrern gefiel der Vorschlag nicht. Da band sich denn, was Schullehrer hieß und Bürger war, den schwarzen Bürgermantel um, ging in die Bürgerschaft und schlug die Senatsproposition ab. Es ging wie mit unserer Verfassung, weil das Gebotene nicht das Beste war, schlug man daS Gute ab, das zum Bessern führen konnte. ' > Auch hier trat eS hervor, daß alle unsere Reformbestrebungen zu nichts führen, so lange die große Reform der Verfassung in den Hintergrund gestellt bleibt. Jeder Reformvorschlag in Betreff unserer Bildungsanstalten führt auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/482>, abgerufen am 23.07.2024.