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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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des Mittelalters durch den Aberglauben der Griechen und Römer zu Poten¬
ziren. Der Idealismus in allen seinen Formen, Kant, Jakobi, Fichte, Schleier¬
macher, Hegel u. s. w. predigt die Freiheit des Geistes und läutert ihn, so
weit es möglich ist, von den Schlacken der thierischen Natur, er predigt, gleich¬
viel ob klar oder unklar, den Glauben an Gott, an den Geist des Lichts, un¬
sern Führer und Richter, unser klar angeschautes Ideal, das sich in der Form
der reinsten Menschlichkeit offenbart. Die Naturphilosophie dagegen führt
zwar den Namen Gottes auf den Lippen, aber eigentlich ist es der Teufel,
dem sie Altäre errichtet, und der wollüstige Schauer, den sie vor demselben
empfindet, ist nur eine besondere Form deS Cultus, die wir bei allen barbari¬
schen Völkerschaften wieder antreffen. Sie redet viel vom Geist, eigentlich
aber kennt sie nur das Fleisch, das sie in einer ebenso sinnlosen als unschönen
Mystik verherrlicht. Die Ertase, in der sie Gott schaut und Gott zu schauen
lehrt, ist nichts Anderes, als jene trübe Regung des Blutes, aus der die grä߬
lichsten Scenen in der Geschichte der Menschheit entflossen sind.

Sodann drängt sich der Vergleich mit dem modernen Materialismus auf.
Eine gewisse Verwandtschaft ist nicht zu verkennen, denn beide Richtungen
stellen die Ethik auf die Physik, nur daß es die moderne Naturwissenschaft mit
den physikalischen Gesetzen ernst nimmt, während die alte sich illusorische, aber¬
gläubische Gesetze erträumte. Aber das ist nicht der einzige Umstand > der zu
Gunsten deS modernen Materialismus spricht. Freilich wird man in diesen
Schriften nicht selten durch den Cynismuöbele idigt, mit dem sich die Physik
über den tieferen Sinn des Menschenlebens ausspricht, aber man kann diese
Sätze ganz einfach ausstreichen, ohne dadurch den Werth des ganzen Lehr¬
gebäudes zu beeinträchtigen. ES ist ein Irrthum der Physik, wenn sie über
geistige Dinge ein Volum abgibt, wie das bereits der alte Kant hinlänglich nach¬
gewiesen hat. Das Erhabene liegt nicht in der Summe von Schmuz und
Gestein, aus denen der Gegenstand zusammengesetzt ist, der in uns das Ge¬
fühl deS Erhabenen erregt, und wenn Laplace im unendlichen Sternenräum
Gott nicht gesunden hat, so liegt daS nur darin, weil er ihn am unrechten
Ort suchte. Aber schneiden wir diese Auswüchse weg, so enthält das Gebäude
der modernen Naturwissenschaft, so weit es sich mit der Materie beschäftigt,
ewige Wahrheiten, die ergänzt, erweitert, berichtigt, aber nicht mehr umgesto¬
ßen werien können. Die Naturphilosophie dagegen, unwissenschaftlich in ihrer
Methode und schon in ihrer Richtung dem Ideal feind, ist faul und ungesund
in ihrem innersten Kern. Wenn es wahr ist, was wir aber bestreiten, daß sie
der poetischen Phantasie einen lebhafteren Schwung gegeben hat, so ist diese
Wirkung jetzt vorüber und wir haben mit ihren Resten nichts weiter zu thun,
als sie auf den Schutt- und Kehrichthaufen zu werfen, wohin sie gehören:
Naaders Schriften mit denen seines Meisters Jacob Böhme, seines Gegners


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des Mittelalters durch den Aberglauben der Griechen und Römer zu Poten¬
ziren. Der Idealismus in allen seinen Formen, Kant, Jakobi, Fichte, Schleier¬
macher, Hegel u. s. w. predigt die Freiheit des Geistes und läutert ihn, so
weit es möglich ist, von den Schlacken der thierischen Natur, er predigt, gleich¬
viel ob klar oder unklar, den Glauben an Gott, an den Geist des Lichts, un¬
sern Führer und Richter, unser klar angeschautes Ideal, das sich in der Form
der reinsten Menschlichkeit offenbart. Die Naturphilosophie dagegen führt
zwar den Namen Gottes auf den Lippen, aber eigentlich ist es der Teufel,
dem sie Altäre errichtet, und der wollüstige Schauer, den sie vor demselben
empfindet, ist nur eine besondere Form deS Cultus, die wir bei allen barbari¬
schen Völkerschaften wieder antreffen. Sie redet viel vom Geist, eigentlich
aber kennt sie nur das Fleisch, das sie in einer ebenso sinnlosen als unschönen
Mystik verherrlicht. Die Ertase, in der sie Gott schaut und Gott zu schauen
lehrt, ist nichts Anderes, als jene trübe Regung des Blutes, aus der die grä߬
lichsten Scenen in der Geschichte der Menschheit entflossen sind.

Sodann drängt sich der Vergleich mit dem modernen Materialismus auf.
Eine gewisse Verwandtschaft ist nicht zu verkennen, denn beide Richtungen
stellen die Ethik auf die Physik, nur daß es die moderne Naturwissenschaft mit
den physikalischen Gesetzen ernst nimmt, während die alte sich illusorische, aber¬
gläubische Gesetze erträumte. Aber das ist nicht der einzige Umstand > der zu
Gunsten deS modernen Materialismus spricht. Freilich wird man in diesen
Schriften nicht selten durch den Cynismuöbele idigt, mit dem sich die Physik
über den tieferen Sinn des Menschenlebens ausspricht, aber man kann diese
Sätze ganz einfach ausstreichen, ohne dadurch den Werth des ganzen Lehr¬
gebäudes zu beeinträchtigen. ES ist ein Irrthum der Physik, wenn sie über
geistige Dinge ein Volum abgibt, wie das bereits der alte Kant hinlänglich nach¬
gewiesen hat. Das Erhabene liegt nicht in der Summe von Schmuz und
Gestein, aus denen der Gegenstand zusammengesetzt ist, der in uns das Ge¬
fühl deS Erhabenen erregt, und wenn Laplace im unendlichen Sternenräum
Gott nicht gesunden hat, so liegt daS nur darin, weil er ihn am unrechten
Ort suchte. Aber schneiden wir diese Auswüchse weg, so enthält das Gebäude
der modernen Naturwissenschaft, so weit es sich mit der Materie beschäftigt,
ewige Wahrheiten, die ergänzt, erweitert, berichtigt, aber nicht mehr umgesto¬
ßen werien können. Die Naturphilosophie dagegen, unwissenschaftlich in ihrer
Methode und schon in ihrer Richtung dem Ideal feind, ist faul und ungesund
in ihrem innersten Kern. Wenn es wahr ist, was wir aber bestreiten, daß sie
der poetischen Phantasie einen lebhafteren Schwung gegeben hat, so ist diese
Wirkung jetzt vorüber und wir haben mit ihren Resten nichts weiter zu thun,
als sie auf den Schutt- und Kehrichthaufen zu werfen, wohin sie gehören:
Naaders Schriften mit denen seines Meisters Jacob Böhme, seines Gegners


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[0479] „.^-^^ des Mittelalters durch den Aberglauben der Griechen und Römer zu Poten¬ ziren. Der Idealismus in allen seinen Formen, Kant, Jakobi, Fichte, Schleier¬ macher, Hegel u. s. w. predigt die Freiheit des Geistes und läutert ihn, so weit es möglich ist, von den Schlacken der thierischen Natur, er predigt, gleich¬ viel ob klar oder unklar, den Glauben an Gott, an den Geist des Lichts, un¬ sern Führer und Richter, unser klar angeschautes Ideal, das sich in der Form der reinsten Menschlichkeit offenbart. Die Naturphilosophie dagegen führt zwar den Namen Gottes auf den Lippen, aber eigentlich ist es der Teufel, dem sie Altäre errichtet, und der wollüstige Schauer, den sie vor demselben empfindet, ist nur eine besondere Form deS Cultus, die wir bei allen barbari¬ schen Völkerschaften wieder antreffen. Sie redet viel vom Geist, eigentlich aber kennt sie nur das Fleisch, das sie in einer ebenso sinnlosen als unschönen Mystik verherrlicht. Die Ertase, in der sie Gott schaut und Gott zu schauen lehrt, ist nichts Anderes, als jene trübe Regung des Blutes, aus der die grä߬ lichsten Scenen in der Geschichte der Menschheit entflossen sind. Sodann drängt sich der Vergleich mit dem modernen Materialismus auf. Eine gewisse Verwandtschaft ist nicht zu verkennen, denn beide Richtungen stellen die Ethik auf die Physik, nur daß es die moderne Naturwissenschaft mit den physikalischen Gesetzen ernst nimmt, während die alte sich illusorische, aber¬ gläubische Gesetze erträumte. Aber das ist nicht der einzige Umstand > der zu Gunsten deS modernen Materialismus spricht. Freilich wird man in diesen Schriften nicht selten durch den Cynismuöbele idigt, mit dem sich die Physik über den tieferen Sinn des Menschenlebens ausspricht, aber man kann diese Sätze ganz einfach ausstreichen, ohne dadurch den Werth des ganzen Lehr¬ gebäudes zu beeinträchtigen. ES ist ein Irrthum der Physik, wenn sie über geistige Dinge ein Volum abgibt, wie das bereits der alte Kant hinlänglich nach¬ gewiesen hat. Das Erhabene liegt nicht in der Summe von Schmuz und Gestein, aus denen der Gegenstand zusammengesetzt ist, der in uns das Ge¬ fühl deS Erhabenen erregt, und wenn Laplace im unendlichen Sternenräum Gott nicht gesunden hat, so liegt daS nur darin, weil er ihn am unrechten Ort suchte. Aber schneiden wir diese Auswüchse weg, so enthält das Gebäude der modernen Naturwissenschaft, so weit es sich mit der Materie beschäftigt, ewige Wahrheiten, die ergänzt, erweitert, berichtigt, aber nicht mehr umgesto¬ ßen werien können. Die Naturphilosophie dagegen, unwissenschaftlich in ihrer Methode und schon in ihrer Richtung dem Ideal feind, ist faul und ungesund in ihrem innersten Kern. Wenn es wahr ist, was wir aber bestreiten, daß sie der poetischen Phantasie einen lebhafteren Schwung gegeben hat, so ist diese Wirkung jetzt vorüber und wir haben mit ihren Resten nichts weiter zu thun, als sie auf den Schutt- und Kehrichthaufen zu werfen, wohin sie gehören: Naaders Schriften mit denen seines Meisters Jacob Böhme, seines Gegners

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/479>, abgerufen am 23.07.2024.