Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rung vor Baader hegt. Vor allem zeichnen sich die Theologen beider Konfes¬
sionen aus. Am Schluß einer sehr langen Kritik im "Repertorium der theo¬
logischen Literatur" sagt W. Reuter: "Es leidet keinen Zweifel, daß Baader,
wenn auch wol nicht an dialektischer Schärfe und künstlerischer oder organischer
Entwicklung, aber doch an speculativem Tiefsinn Schelling und Hegel ziemlich
gleich, an christlichem Gehalt (an Wahrheitsgehalt also) über beide zu stellen
ist." Aehnlich spricht sich Nudelbachs und GuerickeS Zeitschrift für luthe¬
rische Theologie aus. Harleß Zeitschrift für Protestantismus uno Kirche
sagt: "So wenig es Aufgabe sein kann, die Theologie in ein theosophischeS Sy¬
stem umzusetzen, so sehr liegt eS im Interesse theologischer Forschung, daß so
tiefe Blicke, anregende Gedanken und weitreichende Gesammtanschauungen, wie
sie die baaderschen Schriften in reichem Maß gewähren, nicht unbenutzt und
unbeachtet liegen bleiben." Auch die eklektischen Philosophen lassen eS an
Anerkennung nicht fehlen: Moritz Carriere, Ulrici, der in dem größern
Theil der metaphysischen Sätze mit Baader in Uebereinstimmung zu sein er¬
klärt; I. U. Wirth ("Baaders Werke bleiben für alle Zukunft ein Zeugniß
des deutschen TiefsinnS"); und um uns noch weiter von dem Centrum der
Speculation zu entfernen, auch der alte Wolfgang Menzel stößt in die
Posaune des Ruhmes: "Wie wir hören, hat Baader noch immer nur ein
kleines Publicum. Ein Geist dieses Ranges verdiente doch von der Nation
mehr gekannt zu sein." "ES kommt nicht darauf an, Baaders Namen zu
verherrlichen, sondern nur der philosophischen Wahrheit, die er aussprach,
Geltung zu verschaffen. Die Namen, die Eitelkeit und all die Professoren-
Alfanzerei deS vorigen und jetzigen Jahrhunderts kann man getrost den falschen
Philosophen überlassen. Die ungeheure Selbstüberschätzung der Kathederherrn
u. s. w. . ." "Indeß entdeckten diese Gelehrten (Physiker) doch etwas, was
wahr ist und wovon man einen nützlichen Gebrauch machen kann, während die
hochgefeierten Philosophen seit Descartes immer nur je ein Wirbel gelegt
und dann sich gespreizt haben, als ob es Bramanda, daS Weltei selbst gewesen
wäre. ES ist ohne Zweifel die Aufgabe der christlichen Philosophie, von all
dem nichtigen Treiben deS SubjectiviSmuS zu abstrahiren."

DaS sind die Thatsachen, die ungefähr die Richtung andeuten, in welcher
man die Verehrer deS modernen Philosophus Teutonicus zu suchen hat; sie
zeigen zugleich, daß man eine Erscheinung nicht umgehen darf, die unter
andern Umständen vielleicht nur ein flüchtiges Lächeln hervorrufen würde.
Grade daß auf einen begabten Kopf, wie Baader, die ungesunde Atmosphäre
der Zeit so erstaunlich einwirken konnte, muß uns gegen die Wiederkehr ähn¬
licher Verbildungen warnen.

Franz Baader, der dritte Sohn des kurfürstlichen Leibarztes, wurde zu
München 1765 geboren. 178-1 bezog er mit seinem ältern Bruder Jösepl) die


rung vor Baader hegt. Vor allem zeichnen sich die Theologen beider Konfes¬
sionen aus. Am Schluß einer sehr langen Kritik im „Repertorium der theo¬
logischen Literatur" sagt W. Reuter: „Es leidet keinen Zweifel, daß Baader,
wenn auch wol nicht an dialektischer Schärfe und künstlerischer oder organischer
Entwicklung, aber doch an speculativem Tiefsinn Schelling und Hegel ziemlich
gleich, an christlichem Gehalt (an Wahrheitsgehalt also) über beide zu stellen
ist." Aehnlich spricht sich Nudelbachs und GuerickeS Zeitschrift für luthe¬
rische Theologie aus. Harleß Zeitschrift für Protestantismus uno Kirche
sagt: „So wenig es Aufgabe sein kann, die Theologie in ein theosophischeS Sy¬
stem umzusetzen, so sehr liegt eS im Interesse theologischer Forschung, daß so
tiefe Blicke, anregende Gedanken und weitreichende Gesammtanschauungen, wie
sie die baaderschen Schriften in reichem Maß gewähren, nicht unbenutzt und
unbeachtet liegen bleiben." Auch die eklektischen Philosophen lassen eS an
Anerkennung nicht fehlen: Moritz Carriere, Ulrici, der in dem größern
Theil der metaphysischen Sätze mit Baader in Uebereinstimmung zu sein er¬
klärt; I. U. Wirth („Baaders Werke bleiben für alle Zukunft ein Zeugniß
des deutschen TiefsinnS"); und um uns noch weiter von dem Centrum der
Speculation zu entfernen, auch der alte Wolfgang Menzel stößt in die
Posaune des Ruhmes: „Wie wir hören, hat Baader noch immer nur ein
kleines Publicum. Ein Geist dieses Ranges verdiente doch von der Nation
mehr gekannt zu sein." „ES kommt nicht darauf an, Baaders Namen zu
verherrlichen, sondern nur der philosophischen Wahrheit, die er aussprach,
Geltung zu verschaffen. Die Namen, die Eitelkeit und all die Professoren-
Alfanzerei deS vorigen und jetzigen Jahrhunderts kann man getrost den falschen
Philosophen überlassen. Die ungeheure Selbstüberschätzung der Kathederherrn
u. s. w. . ." „Indeß entdeckten diese Gelehrten (Physiker) doch etwas, was
wahr ist und wovon man einen nützlichen Gebrauch machen kann, während die
hochgefeierten Philosophen seit Descartes immer nur je ein Wirbel gelegt
und dann sich gespreizt haben, als ob es Bramanda, daS Weltei selbst gewesen
wäre. ES ist ohne Zweifel die Aufgabe der christlichen Philosophie, von all
dem nichtigen Treiben deS SubjectiviSmuS zu abstrahiren."

DaS sind die Thatsachen, die ungefähr die Richtung andeuten, in welcher
man die Verehrer deS modernen Philosophus Teutonicus zu suchen hat; sie
zeigen zugleich, daß man eine Erscheinung nicht umgehen darf, die unter
andern Umständen vielleicht nur ein flüchtiges Lächeln hervorrufen würde.
Grade daß auf einen begabten Kopf, wie Baader, die ungesunde Atmosphäre
der Zeit so erstaunlich einwirken konnte, muß uns gegen die Wiederkehr ähn¬
licher Verbildungen warnen.

Franz Baader, der dritte Sohn des kurfürstlichen Leibarztes, wurde zu
München 1765 geboren. 178-1 bezog er mit seinem ältern Bruder Jösepl) die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105199"/>
          <p xml:id="ID_1258" prev="#ID_1257"> rung vor Baader hegt. Vor allem zeichnen sich die Theologen beider Konfes¬<lb/>
sionen aus. Am Schluß einer sehr langen Kritik im &#x201E;Repertorium der theo¬<lb/>
logischen Literatur" sagt W. Reuter: &#x201E;Es leidet keinen Zweifel, daß Baader,<lb/>
wenn auch wol nicht an dialektischer Schärfe und künstlerischer oder organischer<lb/>
Entwicklung, aber doch an speculativem Tiefsinn Schelling und Hegel ziemlich<lb/>
gleich, an christlichem Gehalt (an Wahrheitsgehalt also) über beide zu stellen<lb/>
ist." Aehnlich spricht sich Nudelbachs und GuerickeS Zeitschrift für luthe¬<lb/>
rische Theologie aus. Harleß Zeitschrift für Protestantismus uno Kirche<lb/>
sagt: &#x201E;So wenig es Aufgabe sein kann, die Theologie in ein theosophischeS Sy¬<lb/>
stem umzusetzen, so sehr liegt eS im Interesse theologischer Forschung, daß so<lb/>
tiefe Blicke, anregende Gedanken und weitreichende Gesammtanschauungen, wie<lb/>
sie die baaderschen Schriften in reichem Maß gewähren, nicht unbenutzt und<lb/>
unbeachtet liegen bleiben." Auch die eklektischen Philosophen lassen eS an<lb/>
Anerkennung nicht fehlen: Moritz Carriere, Ulrici, der in dem größern<lb/>
Theil der metaphysischen Sätze mit Baader in Uebereinstimmung zu sein er¬<lb/>
klärt; I. U. Wirth (&#x201E;Baaders Werke bleiben für alle Zukunft ein Zeugniß<lb/>
des deutschen TiefsinnS"); und um uns noch weiter von dem Centrum der<lb/>
Speculation zu entfernen, auch der alte Wolfgang Menzel stößt in die<lb/>
Posaune des Ruhmes: &#x201E;Wie wir hören, hat Baader noch immer nur ein<lb/>
kleines Publicum. Ein Geist dieses Ranges verdiente doch von der Nation<lb/>
mehr gekannt zu sein." &#x201E;ES kommt nicht darauf an, Baaders Namen zu<lb/>
verherrlichen, sondern nur der philosophischen Wahrheit, die er aussprach,<lb/>
Geltung zu verschaffen. Die Namen, die Eitelkeit und all die Professoren-<lb/>
Alfanzerei deS vorigen und jetzigen Jahrhunderts kann man getrost den falschen<lb/>
Philosophen überlassen. Die ungeheure Selbstüberschätzung der Kathederherrn<lb/>
u. s. w. . ." &#x201E;Indeß entdeckten diese Gelehrten (Physiker) doch etwas, was<lb/>
wahr ist und wovon man einen nützlichen Gebrauch machen kann, während die<lb/>
hochgefeierten Philosophen seit Descartes immer nur je ein Wirbel gelegt<lb/>
und dann sich gespreizt haben, als ob es Bramanda, daS Weltei selbst gewesen<lb/>
wäre. ES ist ohne Zweifel die Aufgabe der christlichen Philosophie, von all<lb/>
dem nichtigen Treiben deS SubjectiviSmuS zu abstrahiren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1259"> DaS sind die Thatsachen, die ungefähr die Richtung andeuten, in welcher<lb/>
man die Verehrer deS modernen Philosophus Teutonicus zu suchen hat; sie<lb/>
zeigen zugleich, daß man eine Erscheinung nicht umgehen darf, die unter<lb/>
andern Umständen vielleicht nur ein flüchtiges Lächeln hervorrufen würde.<lb/>
Grade daß auf einen begabten Kopf, wie Baader, die ungesunde Atmosphäre<lb/>
der Zeit so erstaunlich einwirken konnte, muß uns gegen die Wiederkehr ähn¬<lb/>
licher Verbildungen warnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1260" next="#ID_1261"> Franz Baader, der dritte Sohn des kurfürstlichen Leibarztes, wurde zu<lb/>
München 1765 geboren.  178-1 bezog er mit seinem ältern Bruder Jösepl) die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0464] rung vor Baader hegt. Vor allem zeichnen sich die Theologen beider Konfes¬ sionen aus. Am Schluß einer sehr langen Kritik im „Repertorium der theo¬ logischen Literatur" sagt W. Reuter: „Es leidet keinen Zweifel, daß Baader, wenn auch wol nicht an dialektischer Schärfe und künstlerischer oder organischer Entwicklung, aber doch an speculativem Tiefsinn Schelling und Hegel ziemlich gleich, an christlichem Gehalt (an Wahrheitsgehalt also) über beide zu stellen ist." Aehnlich spricht sich Nudelbachs und GuerickeS Zeitschrift für luthe¬ rische Theologie aus. Harleß Zeitschrift für Protestantismus uno Kirche sagt: „So wenig es Aufgabe sein kann, die Theologie in ein theosophischeS Sy¬ stem umzusetzen, so sehr liegt eS im Interesse theologischer Forschung, daß so tiefe Blicke, anregende Gedanken und weitreichende Gesammtanschauungen, wie sie die baaderschen Schriften in reichem Maß gewähren, nicht unbenutzt und unbeachtet liegen bleiben." Auch die eklektischen Philosophen lassen eS an Anerkennung nicht fehlen: Moritz Carriere, Ulrici, der in dem größern Theil der metaphysischen Sätze mit Baader in Uebereinstimmung zu sein er¬ klärt; I. U. Wirth („Baaders Werke bleiben für alle Zukunft ein Zeugniß des deutschen TiefsinnS"); und um uns noch weiter von dem Centrum der Speculation zu entfernen, auch der alte Wolfgang Menzel stößt in die Posaune des Ruhmes: „Wie wir hören, hat Baader noch immer nur ein kleines Publicum. Ein Geist dieses Ranges verdiente doch von der Nation mehr gekannt zu sein." „ES kommt nicht darauf an, Baaders Namen zu verherrlichen, sondern nur der philosophischen Wahrheit, die er aussprach, Geltung zu verschaffen. Die Namen, die Eitelkeit und all die Professoren- Alfanzerei deS vorigen und jetzigen Jahrhunderts kann man getrost den falschen Philosophen überlassen. Die ungeheure Selbstüberschätzung der Kathederherrn u. s. w. . ." „Indeß entdeckten diese Gelehrten (Physiker) doch etwas, was wahr ist und wovon man einen nützlichen Gebrauch machen kann, während die hochgefeierten Philosophen seit Descartes immer nur je ein Wirbel gelegt und dann sich gespreizt haben, als ob es Bramanda, daS Weltei selbst gewesen wäre. ES ist ohne Zweifel die Aufgabe der christlichen Philosophie, von all dem nichtigen Treiben deS SubjectiviSmuS zu abstrahiren." DaS sind die Thatsachen, die ungefähr die Richtung andeuten, in welcher man die Verehrer deS modernen Philosophus Teutonicus zu suchen hat; sie zeigen zugleich, daß man eine Erscheinung nicht umgehen darf, die unter andern Umständen vielleicht nur ein flüchtiges Lächeln hervorrufen würde. Grade daß auf einen begabten Kopf, wie Baader, die ungesunde Atmosphäre der Zeit so erstaunlich einwirken konnte, muß uns gegen die Wiederkehr ähn¬ licher Verbildungen warnen. Franz Baader, der dritte Sohn des kurfürstlichen Leibarztes, wurde zu München 1765 geboren. 178-1 bezog er mit seinem ältern Bruder Jösepl) die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/464
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/464>, abgerufen am 23.07.2024.