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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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80,000 Arme in überseeischen Kolonien an und suchte eines für die in Italien
Bleibenden einen regelmäßigen Erwerb zu schaffen, indem er die Besitzer
größerer Güter verpflichtete, wenigstens den dritten Theil ihrer Hirten aus
Freigeborenen zu nehmen. 130,000 Mann sollten die Normalzahl für die
Getreideempfänger werden, und für die durch Aussterben leer werdenden Plätze
wurde eine Erspectantenliste angefertigt; allein unter August war die Zahl schon
wieder auf ihre frühere Höhe gestiegen, weil der Kaiser die Aufnahme, zu
welcher vorher erst das .elfte Lebensjahr berechtigt halte, auch auf kleinere
Kinder ausdehnte, und so blieb es mit wenigen Ausnahmen die ganze Kaiser¬
zeit Hindurch, Die wirkliche ArmutK gab auf diese Auotheiluugen keinen An¬
spruch, sie wurde dabei ebensowenig berücksichtigt, als die sittliche Aufführung.
"Das öffentliche Getreide", sagt Seneca, "empfängt ebensowol der Dieb, als
der Meineidige und der Ehebrecher, und ohne Unterschied der Sitten überhaupt
jeder, dessen Name in die Erztafeln eingegraben ist; ebenso erhalten jede
andere öffentliche Spende Gerechte und Ungerechte, nicht als gute Menschen,
sondern als römische Bürger." Selbst Wohlhabendere schämten sich nicht,
durch Freilassung ihrer Sklaven Betrug zu üben und sich eine größere Quan¬
tität zu verschaffen. Dennoch reichten selbst bei den Arme" diese 12 Metzen
monatlich nicht hiu, da daS weibliche Geschlecht dabei nicht mit bedacht war;
eS fehlt deshalb nicht an Klagen der Undankbarkeit darüber, daß die ganze
Familie sich mit der Nation eines Soldaten oder Gefangenen begnügen müsse,
und in Jahren allgemeiner Theurunq mußte das Doppelte, ja Bierfache der
gewöhnlichen Portion vertheilt werden. Uebrigens wurde der Weizen gegen
Vorzeigung eines Magazinscheines, der in der späteren Kaiserzeit sogar ver¬
erblich wurde, aus den kaiserlichen Niederlagen entnommen, bis eS endlich
unier Aurelian Sitte ward, anstatt deS Getreides Brot zu vertheilen. Nun
errichtete man auf Staatskosten Bäckereien, und damit auch die Bäcker keinen
Unterschleif treiben könnten, traf man die Bestimmung, daß die Empfänger
ihr Brot von stufenförmigen Gerüsten, welche neben den Bäckereien errichtet
wurden, vor aller Angen abhoben mußten. Dessenungeachtet drängten sich
Unberufene, besonders Sklaven mit hinzu, und ein hartes Gesetz deS Kaisers
Valentinian l. verurtheilte jeden Sklaven, der sich eingeschlichen hätte, M
lebenslänglichen Arbeit in der Bäckerei und der damit verbundenen Mühle,
jeden Senator, der seinen Sklaven zum Betrug verleitet hätte, zur Güter¬
confiscation, jeden andern Freigeborenen, selbst den ärmsten, zur Strafarbelt,
jeden Beamten aber, der Mitwisser deS Betrugs gewesen, zur Hinrichtung
durchs Schwert. Zwar scheint man in dieser späte" Zeit ans die Armuth mehr
Rücksicht genommen zu haben; denn in einem andern Gesetze desselben Kaisers
heißt es ausdrücklich, daß dieses Brot für die Armen bestimmt sei, "die. von
anderer Hilfe entblößt wären"; aber natürlich hatte man jene 300,000 Mer-


80,000 Arme in überseeischen Kolonien an und suchte eines für die in Italien
Bleibenden einen regelmäßigen Erwerb zu schaffen, indem er die Besitzer
größerer Güter verpflichtete, wenigstens den dritten Theil ihrer Hirten aus
Freigeborenen zu nehmen. 130,000 Mann sollten die Normalzahl für die
Getreideempfänger werden, und für die durch Aussterben leer werdenden Plätze
wurde eine Erspectantenliste angefertigt; allein unter August war die Zahl schon
wieder auf ihre frühere Höhe gestiegen, weil der Kaiser die Aufnahme, zu
welcher vorher erst das .elfte Lebensjahr berechtigt halte, auch auf kleinere
Kinder ausdehnte, und so blieb es mit wenigen Ausnahmen die ganze Kaiser¬
zeit Hindurch, Die wirkliche ArmutK gab auf diese Auotheiluugen keinen An¬
spruch, sie wurde dabei ebensowenig berücksichtigt, als die sittliche Aufführung.
„Das öffentliche Getreide", sagt Seneca, „empfängt ebensowol der Dieb, als
der Meineidige und der Ehebrecher, und ohne Unterschied der Sitten überhaupt
jeder, dessen Name in die Erztafeln eingegraben ist; ebenso erhalten jede
andere öffentliche Spende Gerechte und Ungerechte, nicht als gute Menschen,
sondern als römische Bürger." Selbst Wohlhabendere schämten sich nicht,
durch Freilassung ihrer Sklaven Betrug zu üben und sich eine größere Quan¬
tität zu verschaffen. Dennoch reichten selbst bei den Arme» diese 12 Metzen
monatlich nicht hiu, da daS weibliche Geschlecht dabei nicht mit bedacht war;
eS fehlt deshalb nicht an Klagen der Undankbarkeit darüber, daß die ganze
Familie sich mit der Nation eines Soldaten oder Gefangenen begnügen müsse,
und in Jahren allgemeiner Theurunq mußte das Doppelte, ja Bierfache der
gewöhnlichen Portion vertheilt werden. Uebrigens wurde der Weizen gegen
Vorzeigung eines Magazinscheines, der in der späteren Kaiserzeit sogar ver¬
erblich wurde, aus den kaiserlichen Niederlagen entnommen, bis eS endlich
unier Aurelian Sitte ward, anstatt deS Getreides Brot zu vertheilen. Nun
errichtete man auf Staatskosten Bäckereien, und damit auch die Bäcker keinen
Unterschleif treiben könnten, traf man die Bestimmung, daß die Empfänger
ihr Brot von stufenförmigen Gerüsten, welche neben den Bäckereien errichtet
wurden, vor aller Angen abhoben mußten. Dessenungeachtet drängten sich
Unberufene, besonders Sklaven mit hinzu, und ein hartes Gesetz deS Kaisers
Valentinian l. verurtheilte jeden Sklaven, der sich eingeschlichen hätte, M
lebenslänglichen Arbeit in der Bäckerei und der damit verbundenen Mühle,
jeden Senator, der seinen Sklaven zum Betrug verleitet hätte, zur Güter¬
confiscation, jeden andern Freigeborenen, selbst den ärmsten, zur Strafarbelt,
jeden Beamten aber, der Mitwisser deS Betrugs gewesen, zur Hinrichtung
durchs Schwert. Zwar scheint man in dieser späte» Zeit ans die Armuth mehr
Rücksicht genommen zu haben; denn in einem andern Gesetze desselben Kaisers
heißt es ausdrücklich, daß dieses Brot für die Armen bestimmt sei, „die. von
anderer Hilfe entblößt wären"; aber natürlich hatte man jene 300,000 Mer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/436>, abgerufen am 23.07.2024.