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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Glücksritter. "Siehe," schreibt Seneca an seine Mutter, "diese ungeheure
Cinwohnermenge, für welche kaum die Häuser der unermeßlichen Stadt hin¬
reichen. Der größte Theil dieser Volksmasse ist heimathlos; aus den Muni-
cipien und Colonien, aus dem ganzen Erdkreise strömen sie hier zusammen."
Besonders zogen sich alle, die in Italien nicht ihren Unter' alt finden konnten,
hierher, mehr um Theil zu nehmen an der reichlich fließenden Quelle der
kaiserlichen Geschenke und Unterstützungen, als in der Hoffnung gesteigerten
Broterwerbs auf dem Wege der Arbeit. Freilich sollte man glauben, daß sich
bei dem grenzenlosen Lurus, mit dem sich die nur nach Lebensgenuß haschen¬
den römischen Großen umgaben, die arbeitenden Classen der Bevölkerung recht
gut gestanden haben müßten. Dies war jedoch keineswegs der Fall; zwar
fanden Hungerte von Menschen bei einem einzigen Reichen Beschäftigung und
Unterhalt, aber es waren wieder seine Leibeigenen, die, wie heute bei l?e"
russischen Magnaten, nicht blos als Bediente und Landbauer, sondern als
Handwerker und Künstler jede"' Art alle Bedürfnisse seines großen Haushaltes
befriedigten, und nickt nur dadurch dem freien römischen Handwerker die Er¬
werbsquellen verringerten, sondern auch oft als Fabrikarbeiter im Dienste ge¬
winnsüchtiger Herren (es gab z. B. schon damals Fabriken fertiger Kleider!)
demselben gefährliche Concurrenz bereiteten. Dazu kam, daß der Freigeborene
sich schwer von dem altrömischen Vorurtheile gegen jedes ihm gemein und
niedrig scheinende Gewerbe losreißen konnte und endlich, daß ein streng ge¬
regeltes, dem mittelalterlichen sehr ähnliches Zunftsystem den Absatz jedes Hand¬
werkers auf einen bestimmten Stadttheil beschränkte, und jedenfalls gegen fremde
Eindringlinge in sehr erclusiver Weise gehandhabt wurde. So erklärt sich
denn jene uns seltsam dünkende Erscheinung, daß in der damaligen Haupt¬
stadt der Welt, trotz der unendlichen Reichthümer, welche hier zusammenflossen,
die Hälfte der freien Bevölkerung sich nicht ernähren konnte, sondern vom
Staate Jahr aus Jahr ein unterhalten werden mußte! In früheren Zeiten,
als Rom anfing, sich durch überseeische Zufuhren zu verproviantiren, hatte
man, um das Volk nicht dem Kornwncher Preis zu geben, ans Rechnung
des Staates den Bedarf der Stadt aufgekauft und dann aus den Magazinen
jedem Hausvater monatlich ungefähr ^ preuß. Scheffel Waizen zu billigeren
Preise abgelassen. Schon dadurch verlor die Staatskasse in einem einzigen
Jahre nur am stcillschen Waizen über eine halbe Million Thaler und im
Jahre 62 v. Chr. betrug die Gesammtsumme der Einbuße gegen 2 Millionen!
Kurz darauf ging des bekannten Tribuns Clodius Gesetzesvorschlag durch, nach
welchem den Bürgern Roms mit Ausnahme der Senatoren und Ritter daS
Getreide ganz umsonst geliefert werden mußte. So fand denn Cäsar 320,000
Getreideempfänger vor, deren Versorgung jährlich wenigstens i Millionen
kosten mochte. Zwar nahm er eine Revision vor, schied 170,000 aus, siedelte


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Glücksritter. „Siehe," schreibt Seneca an seine Mutter, „diese ungeheure
Cinwohnermenge, für welche kaum die Häuser der unermeßlichen Stadt hin¬
reichen. Der größte Theil dieser Volksmasse ist heimathlos; aus den Muni-
cipien und Colonien, aus dem ganzen Erdkreise strömen sie hier zusammen."
Besonders zogen sich alle, die in Italien nicht ihren Unter' alt finden konnten,
hierher, mehr um Theil zu nehmen an der reichlich fließenden Quelle der
kaiserlichen Geschenke und Unterstützungen, als in der Hoffnung gesteigerten
Broterwerbs auf dem Wege der Arbeit. Freilich sollte man glauben, daß sich
bei dem grenzenlosen Lurus, mit dem sich die nur nach Lebensgenuß haschen¬
den römischen Großen umgaben, die arbeitenden Classen der Bevölkerung recht
gut gestanden haben müßten. Dies war jedoch keineswegs der Fall; zwar
fanden Hungerte von Menschen bei einem einzigen Reichen Beschäftigung und
Unterhalt, aber es waren wieder seine Leibeigenen, die, wie heute bei l?e»
russischen Magnaten, nicht blos als Bediente und Landbauer, sondern als
Handwerker und Künstler jede»' Art alle Bedürfnisse seines großen Haushaltes
befriedigten, und nickt nur dadurch dem freien römischen Handwerker die Er¬
werbsquellen verringerten, sondern auch oft als Fabrikarbeiter im Dienste ge¬
winnsüchtiger Herren (es gab z. B. schon damals Fabriken fertiger Kleider!)
demselben gefährliche Concurrenz bereiteten. Dazu kam, daß der Freigeborene
sich schwer von dem altrömischen Vorurtheile gegen jedes ihm gemein und
niedrig scheinende Gewerbe losreißen konnte und endlich, daß ein streng ge¬
regeltes, dem mittelalterlichen sehr ähnliches Zunftsystem den Absatz jedes Hand¬
werkers auf einen bestimmten Stadttheil beschränkte, und jedenfalls gegen fremde
Eindringlinge in sehr erclusiver Weise gehandhabt wurde. So erklärt sich
denn jene uns seltsam dünkende Erscheinung, daß in der damaligen Haupt¬
stadt der Welt, trotz der unendlichen Reichthümer, welche hier zusammenflossen,
die Hälfte der freien Bevölkerung sich nicht ernähren konnte, sondern vom
Staate Jahr aus Jahr ein unterhalten werden mußte! In früheren Zeiten,
als Rom anfing, sich durch überseeische Zufuhren zu verproviantiren, hatte
man, um das Volk nicht dem Kornwncher Preis zu geben, ans Rechnung
des Staates den Bedarf der Stadt aufgekauft und dann aus den Magazinen
jedem Hausvater monatlich ungefähr ^ preuß. Scheffel Waizen zu billigeren
Preise abgelassen. Schon dadurch verlor die Staatskasse in einem einzigen
Jahre nur am stcillschen Waizen über eine halbe Million Thaler und im
Jahre 62 v. Chr. betrug die Gesammtsumme der Einbuße gegen 2 Millionen!
Kurz darauf ging des bekannten Tribuns Clodius Gesetzesvorschlag durch, nach
welchem den Bürgern Roms mit Ausnahme der Senatoren und Ritter daS
Getreide ganz umsonst geliefert werden mußte. So fand denn Cäsar 320,000
Getreideempfänger vor, deren Versorgung jährlich wenigstens i Millionen
kosten mochte. Zwar nahm er eine Revision vor, schied 170,000 aus, siedelte


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[0435] Glücksritter. „Siehe," schreibt Seneca an seine Mutter, „diese ungeheure Cinwohnermenge, für welche kaum die Häuser der unermeßlichen Stadt hin¬ reichen. Der größte Theil dieser Volksmasse ist heimathlos; aus den Muni- cipien und Colonien, aus dem ganzen Erdkreise strömen sie hier zusammen." Besonders zogen sich alle, die in Italien nicht ihren Unter' alt finden konnten, hierher, mehr um Theil zu nehmen an der reichlich fließenden Quelle der kaiserlichen Geschenke und Unterstützungen, als in der Hoffnung gesteigerten Broterwerbs auf dem Wege der Arbeit. Freilich sollte man glauben, daß sich bei dem grenzenlosen Lurus, mit dem sich die nur nach Lebensgenuß haschen¬ den römischen Großen umgaben, die arbeitenden Classen der Bevölkerung recht gut gestanden haben müßten. Dies war jedoch keineswegs der Fall; zwar fanden Hungerte von Menschen bei einem einzigen Reichen Beschäftigung und Unterhalt, aber es waren wieder seine Leibeigenen, die, wie heute bei l?e» russischen Magnaten, nicht blos als Bediente und Landbauer, sondern als Handwerker und Künstler jede»' Art alle Bedürfnisse seines großen Haushaltes befriedigten, und nickt nur dadurch dem freien römischen Handwerker die Er¬ werbsquellen verringerten, sondern auch oft als Fabrikarbeiter im Dienste ge¬ winnsüchtiger Herren (es gab z. B. schon damals Fabriken fertiger Kleider!) demselben gefährliche Concurrenz bereiteten. Dazu kam, daß der Freigeborene sich schwer von dem altrömischen Vorurtheile gegen jedes ihm gemein und niedrig scheinende Gewerbe losreißen konnte und endlich, daß ein streng ge¬ regeltes, dem mittelalterlichen sehr ähnliches Zunftsystem den Absatz jedes Hand¬ werkers auf einen bestimmten Stadttheil beschränkte, und jedenfalls gegen fremde Eindringlinge in sehr erclusiver Weise gehandhabt wurde. So erklärt sich denn jene uns seltsam dünkende Erscheinung, daß in der damaligen Haupt¬ stadt der Welt, trotz der unendlichen Reichthümer, welche hier zusammenflossen, die Hälfte der freien Bevölkerung sich nicht ernähren konnte, sondern vom Staate Jahr aus Jahr ein unterhalten werden mußte! In früheren Zeiten, als Rom anfing, sich durch überseeische Zufuhren zu verproviantiren, hatte man, um das Volk nicht dem Kornwncher Preis zu geben, ans Rechnung des Staates den Bedarf der Stadt aufgekauft und dann aus den Magazinen jedem Hausvater monatlich ungefähr ^ preuß. Scheffel Waizen zu billigeren Preise abgelassen. Schon dadurch verlor die Staatskasse in einem einzigen Jahre nur am stcillschen Waizen über eine halbe Million Thaler und im Jahre 62 v. Chr. betrug die Gesammtsumme der Einbuße gegen 2 Millionen! Kurz darauf ging des bekannten Tribuns Clodius Gesetzesvorschlag durch, nach welchem den Bürgern Roms mit Ausnahme der Senatoren und Ritter daS Getreide ganz umsonst geliefert werden mußte. So fand denn Cäsar 320,000 Getreideempfänger vor, deren Versorgung jährlich wenigstens i Millionen kosten mochte. Zwar nahm er eine Revision vor, schied 170,000 aus, siedelte 3i*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/435>, abgerufen am 23.07.2024.