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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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bibliothek zusammen, und hat ihr Bibliothekar Professor Petersen ein wesent¬
liches Verdienst um ihre Unterhaltung; allein grade der für jeden arbeitenden
Gelehrten so wünschenswerte rasche Ueberblick über Verschiedenes ist erschwert.
Es wäre diesem Mangel dnrch eine entsprechende Einrichtung auf der Stadt¬
bibliothek wol abzuhelfen; allein gut Ding will Weile haben. Sollte es
einmal dazu kommen, dann wäre aller Grund beseitigt, daS Aufhören deS
perthesschen Leseinstitutes zu bedauern. Dann würde Hamburg durch sei"
gelehrtes Journalzimmer und die Lesezimmer seiner andern Institute, für
geistige Arbeiten Vortheile bieten, nach denen man selbst in einer Stadt wie
Berlin vergeblich sucht.

ES wäre thöricht, wollte man daraus schließen, es herrsche hier unter
den Kaufleuten und Gelehrten ein entschiedeneres geistiges Interesse als in
Berlin. Die Einrichtungen entsprechen keineswegs immer den vorhandenen
Bedürfnissen und Wünschen. Aber so viel, ist doch sicher, daß man aus der
Einrichtung solcher Institute auf ein geistiges Interesse unter jenen Ständen bei
uns schließen darf. Höchst erfreulich ist es, daß ich dazu noch von einem
ähnlichen Interesse des hiesigen dritten Standes berichten kann. Seit nun¬
mehr 12 Jahren ist aus der anfänglichen Verbindung mit der patriotischen
Gesellschaft ein selbstständiger "Bilbuugsverein für Arbeiter" hervorgegangen, der
jetzt etwa 8ö0 Mitglieder zählt und der gewiß noch stärker besucht sein würde,
wenn er daS grade jetzt sehr dringende Bedürfniß nach einer geräumigeren
Localität befriedigen könnte. Jedes Mitglied zahlt monatlich einen Beitrag
von 10 Schillingen, von denen ein Schilling für die Bibliothekskasse bestimmt
ist, über deren Erweiterung zwei Bibliothekare die Aussicht führen, und zwar,
wie eine Einsicht in den schon <8on beinahe 5000 Bände aufweisenden ge¬
druckten Katalog zeigt, in einer keineswegs einseirigen und beschränkten Weise.
In der Belletristik finden sich die Werke unserer Klassiker, die in- und aus¬
ländische bessere Nomanliteratur, letztere in Uebersetzungen; auch die bedeu¬
tendsten Geschichtswerke von Schlosser, Gervinus, Macaulay, Thiers, Mignet,
Lamartine, Blanc und anderen sind vorräthig. Nur an den politischen
Schriften und an der Rubrik der Staats- und Gesellschaftswissenschaft erkennt
man, daß der Verein liberalen Tendenzen vorzugsweise huldigt. Uebrigens
trat die Politik nur in den Jahren der allgemeinen Unruhen in den Vorder¬
grund, seitdem sind die BildungSzwecke des Vereins und die Geselligkeit
wieder Hauptsache geworden. Jetzt herrscht weder in politischer noch religiöser
Hinsicht ausschließlich eine Richtung. Als ich die Bibliothek besah, erkundigte
ich mich, welche Bücher viel gelesen würden. Der Bibliothekar nannte mir
die Schriften von Büchner und Moleschott, fügte aber gleich hinzu, daß auch
Schallers gegnerische Schrift gelesen werde und daß keineswegs der Materia¬
lismus unter ihnen lauter unbedingte Anhänger habe. Da eS mich


bibliothek zusammen, und hat ihr Bibliothekar Professor Petersen ein wesent¬
liches Verdienst um ihre Unterhaltung; allein grade der für jeden arbeitenden
Gelehrten so wünschenswerte rasche Ueberblick über Verschiedenes ist erschwert.
Es wäre diesem Mangel dnrch eine entsprechende Einrichtung auf der Stadt¬
bibliothek wol abzuhelfen; allein gut Ding will Weile haben. Sollte es
einmal dazu kommen, dann wäre aller Grund beseitigt, daS Aufhören deS
perthesschen Leseinstitutes zu bedauern. Dann würde Hamburg durch sei»
gelehrtes Journalzimmer und die Lesezimmer seiner andern Institute, für
geistige Arbeiten Vortheile bieten, nach denen man selbst in einer Stadt wie
Berlin vergeblich sucht.

ES wäre thöricht, wollte man daraus schließen, es herrsche hier unter
den Kaufleuten und Gelehrten ein entschiedeneres geistiges Interesse als in
Berlin. Die Einrichtungen entsprechen keineswegs immer den vorhandenen
Bedürfnissen und Wünschen. Aber so viel, ist doch sicher, daß man aus der
Einrichtung solcher Institute auf ein geistiges Interesse unter jenen Ständen bei
uns schließen darf. Höchst erfreulich ist es, daß ich dazu noch von einem
ähnlichen Interesse des hiesigen dritten Standes berichten kann. Seit nun¬
mehr 12 Jahren ist aus der anfänglichen Verbindung mit der patriotischen
Gesellschaft ein selbstständiger „Bilbuugsverein für Arbeiter" hervorgegangen, der
jetzt etwa 8ö0 Mitglieder zählt und der gewiß noch stärker besucht sein würde,
wenn er daS grade jetzt sehr dringende Bedürfniß nach einer geräumigeren
Localität befriedigen könnte. Jedes Mitglied zahlt monatlich einen Beitrag
von 10 Schillingen, von denen ein Schilling für die Bibliothekskasse bestimmt
ist, über deren Erweiterung zwei Bibliothekare die Aussicht führen, und zwar,
wie eine Einsicht in den schon <8on beinahe 5000 Bände aufweisenden ge¬
druckten Katalog zeigt, in einer keineswegs einseirigen und beschränkten Weise.
In der Belletristik finden sich die Werke unserer Klassiker, die in- und aus¬
ländische bessere Nomanliteratur, letztere in Uebersetzungen; auch die bedeu¬
tendsten Geschichtswerke von Schlosser, Gervinus, Macaulay, Thiers, Mignet,
Lamartine, Blanc und anderen sind vorräthig. Nur an den politischen
Schriften und an der Rubrik der Staats- und Gesellschaftswissenschaft erkennt
man, daß der Verein liberalen Tendenzen vorzugsweise huldigt. Uebrigens
trat die Politik nur in den Jahren der allgemeinen Unruhen in den Vorder¬
grund, seitdem sind die BildungSzwecke des Vereins und die Geselligkeit
wieder Hauptsache geworden. Jetzt herrscht weder in politischer noch religiöser
Hinsicht ausschließlich eine Richtung. Als ich die Bibliothek besah, erkundigte
ich mich, welche Bücher viel gelesen würden. Der Bibliothekar nannte mir
die Schriften von Büchner und Moleschott, fügte aber gleich hinzu, daß auch
Schallers gegnerische Schrift gelesen werde und daß keineswegs der Materia¬
lismus unter ihnen lauter unbedingte Anhänger habe. Da eS mich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/428>, abgerufen am 23.07.2024.