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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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und in dem Entzücken des Gesellen sah er erst, wie schön die Samuel war.
Der Gesell schien etwas von dem zu merken, was in dem Schneider
vorging. Er sagte: "Na nu wird der Meester doch auch auf die eifer¬
süchtig sein. So chroß und stark der Meester ist, aber zwei für Einen
sind doch zu viel." --

Schon aus dieser Probe erkennt man die Frische und daS Behagen, mit
welchem der Dichter die fragmentarischen Eindrücke des Alltagslebens in
poetische Wirklichkeit umzuwandeln versteht. Keiner von diesen Einfällen ist
aus der Lust gegriffen, aber ebensowenig ist es bloße Copie. Angeregt von
den Anschauungen des wirklichen Lebens, arbeitet seine Phantasie ohne Bei¬
hilfe der Reflexion und ohne ein Modell vor Augen zu haben, mit voll¬
kommener Naturwahrheit. In der gesammten Erzählung, die ein fortgesetzter
Schwank ist, erfreut uns diese Frische, wir begegnen keinem einzigen störenden
Zug und wenn der Dichter mitunter relardirt, so lassen wir eS uns gern
gefallen, da der Weg, durch den er uns führt, so anmuthig ist. Die Erzählung
ist auch insofern ein Muster, als sie nicht über das Genre hinaustritt, da
man doch neuerdings gewohnt ist, in einen kleinen beschränkten Rahmen weit
umfassende Reflexionen einzuweben, denen er nicht gewachsen ist.

Zum echten Humor gehört dreierlei, ein offnes Auge für die kleinste"
Züge der Natur verbundn! mit der Schnelligkeit im Combiniren verschieden¬
artiger sinnlicher Vorstellungen, die es dem Dichter möglich macht, auch dem
Stilleben den Schein autonomer Bewegung zu verleih"; energische Plastik in
den Linien und die Disposition über einen sehr großen Farbenreichthum, der
da, wo die Stimmung es erfordert, augenblicklich in überzeugender Fülle zur
Hand sein muß: ein Reichthum, dessen der ideale Dichter viel weniger bedarf,
weil in dem harmonischen Ebenmaß seiner Schöpfungen eine zu stark auf¬
getragene Farbe eher stören würde; endlich und das ist die Hauptsache, inneres
Behagen an der Welt seiner eigenen Phantasie. Nur die innere Lust regt
auf die Dauer einsprechende Saiten in dem Herzen der Leser an; der sauer¬
süße Humor, so sein und geistreich er im Einzelnen ausgearbeitet sein möge,
wirkt auf die Länge peinlich. Die trübe Weltanschauung, die in Ludwigs
frühern Schriften zuweilen die Leser niederdrückte, ist doch nur aus der Außen¬
seite seines Gemüths; der innere Kern ist heiter und gesund. Vielleicht würde
sich das bei seinen spätern Schöpfungen noch mehr entwickeln, wenn eS ihm
gelänge, die Reflexion mehr zurückzudrängen. Die gegenwärtige Erzählung
ist offenbar leicht hingeworfe", während man bei den früheren Spuren müh¬
samer -Arbeit entdeckt. Freilich kommen sie an Bedeutung den letzteren, nicht
gleich, aber man hat, wenn man daS Ganze im Auge hält, mehr das Gefühl
einer organischen, aus einem Geiste hervorgegangenett Schöpfung.

Die Heiterethei erinnert ihrem innern Kern nach an Jeremias Gotthelf,


und in dem Entzücken des Gesellen sah er erst, wie schön die Samuel war.
Der Gesell schien etwas von dem zu merken, was in dem Schneider
vorging. Er sagte: „Na nu wird der Meester doch auch auf die eifer¬
süchtig sein. So chroß und stark der Meester ist, aber zwei für Einen
sind doch zu viel." —

Schon aus dieser Probe erkennt man die Frische und daS Behagen, mit
welchem der Dichter die fragmentarischen Eindrücke des Alltagslebens in
poetische Wirklichkeit umzuwandeln versteht. Keiner von diesen Einfällen ist
aus der Lust gegriffen, aber ebensowenig ist es bloße Copie. Angeregt von
den Anschauungen des wirklichen Lebens, arbeitet seine Phantasie ohne Bei¬
hilfe der Reflexion und ohne ein Modell vor Augen zu haben, mit voll¬
kommener Naturwahrheit. In der gesammten Erzählung, die ein fortgesetzter
Schwank ist, erfreut uns diese Frische, wir begegnen keinem einzigen störenden
Zug und wenn der Dichter mitunter relardirt, so lassen wir eS uns gern
gefallen, da der Weg, durch den er uns führt, so anmuthig ist. Die Erzählung
ist auch insofern ein Muster, als sie nicht über das Genre hinaustritt, da
man doch neuerdings gewohnt ist, in einen kleinen beschränkten Rahmen weit
umfassende Reflexionen einzuweben, denen er nicht gewachsen ist.

Zum echten Humor gehört dreierlei, ein offnes Auge für die kleinste»
Züge der Natur verbundn! mit der Schnelligkeit im Combiniren verschieden¬
artiger sinnlicher Vorstellungen, die es dem Dichter möglich macht, auch dem
Stilleben den Schein autonomer Bewegung zu verleih»; energische Plastik in
den Linien und die Disposition über einen sehr großen Farbenreichthum, der
da, wo die Stimmung es erfordert, augenblicklich in überzeugender Fülle zur
Hand sein muß: ein Reichthum, dessen der ideale Dichter viel weniger bedarf,
weil in dem harmonischen Ebenmaß seiner Schöpfungen eine zu stark auf¬
getragene Farbe eher stören würde; endlich und das ist die Hauptsache, inneres
Behagen an der Welt seiner eigenen Phantasie. Nur die innere Lust regt
auf die Dauer einsprechende Saiten in dem Herzen der Leser an; der sauer¬
süße Humor, so sein und geistreich er im Einzelnen ausgearbeitet sein möge,
wirkt auf die Länge peinlich. Die trübe Weltanschauung, die in Ludwigs
frühern Schriften zuweilen die Leser niederdrückte, ist doch nur aus der Außen¬
seite seines Gemüths; der innere Kern ist heiter und gesund. Vielleicht würde
sich das bei seinen spätern Schöpfungen noch mehr entwickeln, wenn eS ihm
gelänge, die Reflexion mehr zurückzudrängen. Die gegenwärtige Erzählung
ist offenbar leicht hingeworfe», während man bei den früheren Spuren müh¬
samer -Arbeit entdeckt. Freilich kommen sie an Bedeutung den letzteren, nicht
gleich, aber man hat, wenn man daS Ganze im Auge hält, mehr das Gefühl
einer organischen, aus einem Geiste hervorgegangenett Schöpfung.

Die Heiterethei erinnert ihrem innern Kern nach an Jeremias Gotthelf,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/418>, abgerufen am 23.07.2024.