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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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kehren, von dem Hegel ausging, sondern die Arbeit Hegels ist nicht umsonst
gewesen, er hat die alten Bildungsmomcnte in Gährung gebracht, und durch
diesen Gährungsproceß sind sie sür uns fruchtbar geworden und sind noch heute
fruchtbar. Das Erstere lehrt die Erfahrung. Aus Hegels Religionsphilosophie
ist eine neue tiefere Auffassung der Religion entsprungen, die freilich jetzt in
ihren Erscheinungen sehr divergirt, die aber nun nicht ohne Hilft der hegelschen
Dialektik versöhnt werden kann, und die unendlich hoher steht, als alles, was
vor ihm über Religion philosophirt worden ist. Dasselbe gilt von der Aesthe¬
tik, dasselbe von allen historischen Wissenschaften. Hegel hat unsere Empiriker
auf die Gesichtspunkte hingewiesen, die sie in der Geschichte festzuhalten haben,
und nicht sein kleinstes Verdienst ist, daß er ein Buch wie das vorliegende ver¬
anlaßt und möglich gemacht hat.

Es ist nämlich in Hegel, wenn wir von seiner sonderbaren Sprache
abstrahiren, mehr Positives und Bleibendes als Haym zugibt. Einmal war
seine universelle Bildung durch einen genialen Blick getragen. Wir gedenken
diese Behauptung trotz Hayms Protest nicht zu beweisen, ebensowenig wie wir
die Existenz der Natur beweisen wollen, obgleich Fichte auch das verlangt.
Man vergleiche doch nur unbefangen, was vor Hegel von den geistvollsten
Männern namentlich über Culturgeschichte gesagt ist, mit dem, was wir jetzt darüber
wissen. Zweitens ist seine Dialektik nur dem Anschein nach sophistisch und
unfruchtbar.. Freilich stimmen wir ganz mit Haym überein, daß für die Stufen¬
leiter der Begriffe in der Logik niemand mehr in die Schranken treten wird;
aber lassen wir diese taumelnde Kreisbewegung der Begriffe bei Seite, ge¬
bieten diesem schwindelnden Tanz der Hören einen Augenblick Halt, und un¬
tersuchen gründlich, wen wir eigentlich vor uns haben, so erkennen wir es sehr
wohl heraus, und lernen bekannte Vorstellungen in einem neuen tieferen und-
ir der Regel wahren Sinn begreifen. Hegel war kein bloßer Encyklopädiker,
der die Schätze aller frühern Philosophen in einem nach wunderlichen Rubriken
geordneten Magazin aufspeicherte, sondern sein Geist war auch bei der Samm¬
lung fortwährend thätig, er producirte, indem er nachbildete, und producirte
einen bleibenden Kern, den man freilich erst mühsam aus der harten Schale
herausschälen muß. Mit der hegelschen Schule, ist es zwar zu Ende, denn
Leute, die nur auswendig lernen können, werden durch Hegel nicht klüger,
sondern confuser gemacht, das unbefangene Studium der hegelschen Schriften
wird aber jeyt erst recht angehn, nachdem Haym uns den Schlüssel zum Ver¬
ständniß derselben gegeben hat. Wir danken ihm für diesen Schlüssel, und
sind überzeugt, daß er es uns nicht verargen wird, wenn wir in den aufge¬
I. S.
schlossenen Gemächern unendlich mehr finden, als er uns verspricht.




kehren, von dem Hegel ausging, sondern die Arbeit Hegels ist nicht umsonst
gewesen, er hat die alten Bildungsmomcnte in Gährung gebracht, und durch
diesen Gährungsproceß sind sie sür uns fruchtbar geworden und sind noch heute
fruchtbar. Das Erstere lehrt die Erfahrung. Aus Hegels Religionsphilosophie
ist eine neue tiefere Auffassung der Religion entsprungen, die freilich jetzt in
ihren Erscheinungen sehr divergirt, die aber nun nicht ohne Hilft der hegelschen
Dialektik versöhnt werden kann, und die unendlich hoher steht, als alles, was
vor ihm über Religion philosophirt worden ist. Dasselbe gilt von der Aesthe¬
tik, dasselbe von allen historischen Wissenschaften. Hegel hat unsere Empiriker
auf die Gesichtspunkte hingewiesen, die sie in der Geschichte festzuhalten haben,
und nicht sein kleinstes Verdienst ist, daß er ein Buch wie das vorliegende ver¬
anlaßt und möglich gemacht hat.

Es ist nämlich in Hegel, wenn wir von seiner sonderbaren Sprache
abstrahiren, mehr Positives und Bleibendes als Haym zugibt. Einmal war
seine universelle Bildung durch einen genialen Blick getragen. Wir gedenken
diese Behauptung trotz Hayms Protest nicht zu beweisen, ebensowenig wie wir
die Existenz der Natur beweisen wollen, obgleich Fichte auch das verlangt.
Man vergleiche doch nur unbefangen, was vor Hegel von den geistvollsten
Männern namentlich über Culturgeschichte gesagt ist, mit dem, was wir jetzt darüber
wissen. Zweitens ist seine Dialektik nur dem Anschein nach sophistisch und
unfruchtbar.. Freilich stimmen wir ganz mit Haym überein, daß für die Stufen¬
leiter der Begriffe in der Logik niemand mehr in die Schranken treten wird;
aber lassen wir diese taumelnde Kreisbewegung der Begriffe bei Seite, ge¬
bieten diesem schwindelnden Tanz der Hören einen Augenblick Halt, und un¬
tersuchen gründlich, wen wir eigentlich vor uns haben, so erkennen wir es sehr
wohl heraus, und lernen bekannte Vorstellungen in einem neuen tieferen und-
ir der Regel wahren Sinn begreifen. Hegel war kein bloßer Encyklopädiker,
der die Schätze aller frühern Philosophen in einem nach wunderlichen Rubriken
geordneten Magazin aufspeicherte, sondern sein Geist war auch bei der Samm¬
lung fortwährend thätig, er producirte, indem er nachbildete, und producirte
einen bleibenden Kern, den man freilich erst mühsam aus der harten Schale
herausschälen muß. Mit der hegelschen Schule, ist es zwar zu Ende, denn
Leute, die nur auswendig lernen können, werden durch Hegel nicht klüger,
sondern confuser gemacht, das unbefangene Studium der hegelschen Schriften
wird aber jeyt erst recht angehn, nachdem Haym uns den Schlüssel zum Ver¬
ständniß derselben gegeben hat. Wir danken ihm für diesen Schlüssel, und
sind überzeugt, daß er es uns nicht verargen wird, wenn wir in den aufge¬
I. S.
schlossenen Gemächern unendlich mehr finden, als er uns verspricht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/388>, abgerufen am 23.07.2024.