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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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rung eines durch Grübelei verwirrten künstlerischen Schaffens wenigstens zum
Bewußtsein einer wissenschaftlichen Form vordrang. Wir haben seine haupt¬
sächlichen Gesichtspunkte angedeutet, wir verweisen den Leser in Bezug auf
die weitere Begründung auf das Buch selbst, an dem unsere Generation zum
Behuf ihrer Bildung noch Jahre zu zehren hat. Wir brechen hier ab. Im
Folgenden müßten wir bei fortwährender Uebereinstimmung in den leitenden
Gedanken in Bezug auf die wichtigsten Schlußfolgerungen eine fast ebenso
ununterbrochene Metakritik ausüben. Einiges über die Form ist schon oben
bemerkt, wir stellen hier den Hauptpunkt fest, in dem wir von Haym ab¬
weichen.

Es ist ganz richtig, daß das n^corov der Phcinomcnologie sich
trotz der anscheinend wissenschaftlichen Form in allen spätern Schriften Hegels
wieder nachweisen läßt: er hat den einzigen Weg verlassen, auf dem die Wissen¬
schaft weitergeht, den Weg der analytischen Kritik, und ihn durch die Con-
struction ersetzt, die doch ihren letzten Zweck uicht erreicht, ein Kunstwerk des
Erkennens hervorzubringen. Er hat sich gegen die objective Welt, namentlich
gegen die Geschichte dadurch versündigt, daß er in dem Reich des absoluten
Seins die wesentlichen Momente der Zeit und des Raums verflüchtigt. Er
hat in die sogenannten reinen Begriffe dadurch eine schwer auflösbare Verwir¬
rung gebracht, daß er sie mit concreten Vorstellungen sättigte und bei der jedes¬
maligen Anwendung den Leser in Zweifel ließ, was er eigentlich meine: den
sprachlich firirtcn Begriff oder seine eigene ans dem Wege der Anschauung
und der Dialektik gewonnene Umwandlung desselben. Er hat, und dies ist ein
Moment, aus das Heym noch zu wenig Gewicht legt, mit der Grammatik ein
souveränes Spiel getrieben, als ob die Dialektik im Stande sei, das Denken
von seiner endlichen Basis, von der positiven Sprache zu emancipiren; er ist
ungenau in der Darstellung des historischen Materials, beweglich in seinem
Urtheil, unklar in seiner Dialektik, weil er nicht, wie die Wissenschaft soll, mit
fest determinirten Kategorien sondern mit flüssigen operirt, so daß im strengsten
Sinne des Worts die Begriffe, wenn er sie zu fassen sucht, ihm unter den Händen
entgleiten.

Das alles ist richtig und wenn wir uns eins Hegels Schriften cultiviren
wollen, so müssen wir seine Sprache erst in die unsrige d. h. in die deutsche,
übersetzen, wir müssen seinen anscheinend objectiven Gedankengang in einen
transcendentalen auflösen und uns deutlich machen, was ihm bei seinem Den¬
ken vorschwebte; wir müssen die Schattenbilder seiner Reminiscenz oder seiner
Eingebung an den Zeugnissen der Geschichte prüfen und danach controliren.
Eine sehr mühsame und häufig verdrießliche Arbeit, aber nach unserer Ueber¬
zeugung noch heute nothwendig, und die uns Haym durch seine Analyse sehr
erleichtert hat. Nicht zu dem Punkt, wie Haym meint, müssen wir zurück-


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rung eines durch Grübelei verwirrten künstlerischen Schaffens wenigstens zum
Bewußtsein einer wissenschaftlichen Form vordrang. Wir haben seine haupt¬
sächlichen Gesichtspunkte angedeutet, wir verweisen den Leser in Bezug auf
die weitere Begründung auf das Buch selbst, an dem unsere Generation zum
Behuf ihrer Bildung noch Jahre zu zehren hat. Wir brechen hier ab. Im
Folgenden müßten wir bei fortwährender Uebereinstimmung in den leitenden
Gedanken in Bezug auf die wichtigsten Schlußfolgerungen eine fast ebenso
ununterbrochene Metakritik ausüben. Einiges über die Form ist schon oben
bemerkt, wir stellen hier den Hauptpunkt fest, in dem wir von Haym ab¬
weichen.

Es ist ganz richtig, daß das n^corov der Phcinomcnologie sich
trotz der anscheinend wissenschaftlichen Form in allen spätern Schriften Hegels
wieder nachweisen läßt: er hat den einzigen Weg verlassen, auf dem die Wissen¬
schaft weitergeht, den Weg der analytischen Kritik, und ihn durch die Con-
struction ersetzt, die doch ihren letzten Zweck uicht erreicht, ein Kunstwerk des
Erkennens hervorzubringen. Er hat sich gegen die objective Welt, namentlich
gegen die Geschichte dadurch versündigt, daß er in dem Reich des absoluten
Seins die wesentlichen Momente der Zeit und des Raums verflüchtigt. Er
hat in die sogenannten reinen Begriffe dadurch eine schwer auflösbare Verwir¬
rung gebracht, daß er sie mit concreten Vorstellungen sättigte und bei der jedes¬
maligen Anwendung den Leser in Zweifel ließ, was er eigentlich meine: den
sprachlich firirtcn Begriff oder seine eigene ans dem Wege der Anschauung
und der Dialektik gewonnene Umwandlung desselben. Er hat, und dies ist ein
Moment, aus das Heym noch zu wenig Gewicht legt, mit der Grammatik ein
souveränes Spiel getrieben, als ob die Dialektik im Stande sei, das Denken
von seiner endlichen Basis, von der positiven Sprache zu emancipiren; er ist
ungenau in der Darstellung des historischen Materials, beweglich in seinem
Urtheil, unklar in seiner Dialektik, weil er nicht, wie die Wissenschaft soll, mit
fest determinirten Kategorien sondern mit flüssigen operirt, so daß im strengsten
Sinne des Worts die Begriffe, wenn er sie zu fassen sucht, ihm unter den Händen
entgleiten.

Das alles ist richtig und wenn wir uns eins Hegels Schriften cultiviren
wollen, so müssen wir seine Sprache erst in die unsrige d. h. in die deutsche,
übersetzen, wir müssen seinen anscheinend objectiven Gedankengang in einen
transcendentalen auflösen und uns deutlich machen, was ihm bei seinem Den¬
ken vorschwebte; wir müssen die Schattenbilder seiner Reminiscenz oder seiner
Eingebung an den Zeugnissen der Geschichte prüfen und danach controliren.
Eine sehr mühsame und häufig verdrießliche Arbeit, aber nach unserer Ueber¬
zeugung noch heute nothwendig, und die uns Haym durch seine Analyse sehr
erleichtert hat. Nicht zu dem Punkt, wie Haym meint, müssen wir zurück-


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[0387] rung eines durch Grübelei verwirrten künstlerischen Schaffens wenigstens zum Bewußtsein einer wissenschaftlichen Form vordrang. Wir haben seine haupt¬ sächlichen Gesichtspunkte angedeutet, wir verweisen den Leser in Bezug auf die weitere Begründung auf das Buch selbst, an dem unsere Generation zum Behuf ihrer Bildung noch Jahre zu zehren hat. Wir brechen hier ab. Im Folgenden müßten wir bei fortwährender Uebereinstimmung in den leitenden Gedanken in Bezug auf die wichtigsten Schlußfolgerungen eine fast ebenso ununterbrochene Metakritik ausüben. Einiges über die Form ist schon oben bemerkt, wir stellen hier den Hauptpunkt fest, in dem wir von Haym ab¬ weichen. Es ist ganz richtig, daß das n^corov der Phcinomcnologie sich trotz der anscheinend wissenschaftlichen Form in allen spätern Schriften Hegels wieder nachweisen läßt: er hat den einzigen Weg verlassen, auf dem die Wissen¬ schaft weitergeht, den Weg der analytischen Kritik, und ihn durch die Con- struction ersetzt, die doch ihren letzten Zweck uicht erreicht, ein Kunstwerk des Erkennens hervorzubringen. Er hat sich gegen die objective Welt, namentlich gegen die Geschichte dadurch versündigt, daß er in dem Reich des absoluten Seins die wesentlichen Momente der Zeit und des Raums verflüchtigt. Er hat in die sogenannten reinen Begriffe dadurch eine schwer auflösbare Verwir¬ rung gebracht, daß er sie mit concreten Vorstellungen sättigte und bei der jedes¬ maligen Anwendung den Leser in Zweifel ließ, was er eigentlich meine: den sprachlich firirtcn Begriff oder seine eigene ans dem Wege der Anschauung und der Dialektik gewonnene Umwandlung desselben. Er hat, und dies ist ein Moment, aus das Heym noch zu wenig Gewicht legt, mit der Grammatik ein souveränes Spiel getrieben, als ob die Dialektik im Stande sei, das Denken von seiner endlichen Basis, von der positiven Sprache zu emancipiren; er ist ungenau in der Darstellung des historischen Materials, beweglich in seinem Urtheil, unklar in seiner Dialektik, weil er nicht, wie die Wissenschaft soll, mit fest determinirten Kategorien sondern mit flüssigen operirt, so daß im strengsten Sinne des Worts die Begriffe, wenn er sie zu fassen sucht, ihm unter den Händen entgleiten. Das alles ist richtig und wenn wir uns eins Hegels Schriften cultiviren wollen, so müssen wir seine Sprache erst in die unsrige d. h. in die deutsche, übersetzen, wir müssen seinen anscheinend objectiven Gedankengang in einen transcendentalen auflösen und uns deutlich machen, was ihm bei seinem Den¬ ken vorschwebte; wir müssen die Schattenbilder seiner Reminiscenz oder seiner Eingebung an den Zeugnissen der Geschichte prüfen und danach controliren. Eine sehr mühsame und häufig verdrießliche Arbeit, aber nach unserer Ueber¬ zeugung noch heute nothwendig, und die uns Haym durch seine Analyse sehr erleichtert hat. Nicht zu dem Punkt, wie Haym meint, müssen wir zurück- 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/387>, abgerufen am 23.07.2024.