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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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werden. Derselbe englische Correspondent, welcher ein Wort der Verzeihung
für die Greuel Neua Sahibs in Cawnpore hatte, weil dergleichen einmal
orientalischer Brauch sei, hat wiederholt die Entrüstung von Mit- und Nach¬
welt gegen die systematische Mordlust der Engländer aufgerufen. Wir freuen
uns indessen darüber, daß im Allgemeinen die öffentliche Stimmung in Deutsch¬
land die Lage der Dinge besser zu würdigen verstanden hat, und daß den Eng¬
ländern die aufrichtigsten Sympathien und die besten Wünsche für ihren Waffen¬
erfolg nicht gefehlt haben.

Am entschiedensten und ganz gewiß aufrichtig gemeint war die öffentliche
Stimmung gegen Ostindien zu Gunsten Englands in den nordamerikanischen
Freistaaten. Gewiß zu Vieler Erstaunen, die es nicht begreifen konnten, daß
nicht politische Eifersüchtelei in jedem einzelnen Falle höher stehe, als das Ge¬
fühl des gemeinsamen Bluts und das bei Engländern und Nordamerikanern
gleich stark hervortretende Gefühl der Racensuperiorität. Die nordamerikanischen
Sympathien waren größer selbst als die Irlands, wo Jungirland und fana¬
tische Priester den freilich ziemlich vergeblichen Versuch machten, den ostindischen
Aufstand als politisches Capital zu verwenden. In Nordamerika dagegen bot
man den Engländern sogar die unbeschäftigten Arme zur Werbung gegen den
Aufstand an, eine Freundlichkeit, welche die Engländer gar nicht wahrzunehmen
schienen. Noch diensteifriger zeigte sich der Verbündete jenseit des Kanals, der
den Engländern gar zu gern seinen Beistand aufgedrungen hätte. Wir haben
seiner Zeit unsere herzliche Freude über die Naivität deutscher Zeitungen gehabt,
welche sich allen Ernstes aus Paris berichten ließen, die englische Regierung
hätte französischen Beistand gegen die empörten Sipoys aufgeboten, die kaiser¬
liche Regierung ihn aber verweigert. Als wenn die mindeste Kenntniß geschicht¬
licher Vorgänge, die kleinste Würdigung der Verhältnisse nicht zu der Ueber¬
zeugung hätte führen müssen, daß die Engländer lieber ihr indisches Reich sich
selbst Preis gegeben, als die Hand dazu geboten hätten, bewaffnete Franzosen
auf. der Halbinsel landen zu lassen. Der kaiserliche Minister hat dann auch
später dem um die französisch-ostindischen Besitzungen -- vier oder fünf kleine
Punkte am äußersten Saum der Küste mit einer Gesammtbevölkerung von etwa
einer Viertelmillion Menschen -- besorgten Handelsstand von Bourdeaur
und Marseille die genugthuende Mittheilung machen können, daß sie sich ganz
wohl befänden.

Die englische Negierung scheint dies Mal fest entschlossen gewesen zu sein,
sich allein auf eigne Hilfsmittel zu stützen. Sie wollte weder die Nachrede
irgend welches auswärtigen Beistands, noch auch die eigne Nation daran ge¬
wöhnen, sich in Zeiten der Noth auf solchen zu verlassen. Sie hat ungeheure
Anstrengungen ganz aus den eignen Hilfsmitteln gemacht, und sie erntet jetzt
deren Erfolge. Diese Entschlossenheit hat England vor dem Schicksale anderer


werden. Derselbe englische Correspondent, welcher ein Wort der Verzeihung
für die Greuel Neua Sahibs in Cawnpore hatte, weil dergleichen einmal
orientalischer Brauch sei, hat wiederholt die Entrüstung von Mit- und Nach¬
welt gegen die systematische Mordlust der Engländer aufgerufen. Wir freuen
uns indessen darüber, daß im Allgemeinen die öffentliche Stimmung in Deutsch¬
land die Lage der Dinge besser zu würdigen verstanden hat, und daß den Eng¬
ländern die aufrichtigsten Sympathien und die besten Wünsche für ihren Waffen¬
erfolg nicht gefehlt haben.

Am entschiedensten und ganz gewiß aufrichtig gemeint war die öffentliche
Stimmung gegen Ostindien zu Gunsten Englands in den nordamerikanischen
Freistaaten. Gewiß zu Vieler Erstaunen, die es nicht begreifen konnten, daß
nicht politische Eifersüchtelei in jedem einzelnen Falle höher stehe, als das Ge¬
fühl des gemeinsamen Bluts und das bei Engländern und Nordamerikanern
gleich stark hervortretende Gefühl der Racensuperiorität. Die nordamerikanischen
Sympathien waren größer selbst als die Irlands, wo Jungirland und fana¬
tische Priester den freilich ziemlich vergeblichen Versuch machten, den ostindischen
Aufstand als politisches Capital zu verwenden. In Nordamerika dagegen bot
man den Engländern sogar die unbeschäftigten Arme zur Werbung gegen den
Aufstand an, eine Freundlichkeit, welche die Engländer gar nicht wahrzunehmen
schienen. Noch diensteifriger zeigte sich der Verbündete jenseit des Kanals, der
den Engländern gar zu gern seinen Beistand aufgedrungen hätte. Wir haben
seiner Zeit unsere herzliche Freude über die Naivität deutscher Zeitungen gehabt,
welche sich allen Ernstes aus Paris berichten ließen, die englische Regierung
hätte französischen Beistand gegen die empörten Sipoys aufgeboten, die kaiser¬
liche Regierung ihn aber verweigert. Als wenn die mindeste Kenntniß geschicht¬
licher Vorgänge, die kleinste Würdigung der Verhältnisse nicht zu der Ueber¬
zeugung hätte führen müssen, daß die Engländer lieber ihr indisches Reich sich
selbst Preis gegeben, als die Hand dazu geboten hätten, bewaffnete Franzosen
auf. der Halbinsel landen zu lassen. Der kaiserliche Minister hat dann auch
später dem um die französisch-ostindischen Besitzungen — vier oder fünf kleine
Punkte am äußersten Saum der Küste mit einer Gesammtbevölkerung von etwa
einer Viertelmillion Menschen — besorgten Handelsstand von Bourdeaur
und Marseille die genugthuende Mittheilung machen können, daß sie sich ganz
wohl befänden.

Die englische Negierung scheint dies Mal fest entschlossen gewesen zu sein,
sich allein auf eigne Hilfsmittel zu stützen. Sie wollte weder die Nachrede
irgend welches auswärtigen Beistands, noch auch die eigne Nation daran ge¬
wöhnen, sich in Zeiten der Noth auf solchen zu verlassen. Sie hat ungeheure
Anstrengungen ganz aus den eignen Hilfsmitteln gemacht, und sie erntet jetzt
deren Erfolge. Diese Entschlossenheit hat England vor dem Schicksale anderer


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[0364] werden. Derselbe englische Correspondent, welcher ein Wort der Verzeihung für die Greuel Neua Sahibs in Cawnpore hatte, weil dergleichen einmal orientalischer Brauch sei, hat wiederholt die Entrüstung von Mit- und Nach¬ welt gegen die systematische Mordlust der Engländer aufgerufen. Wir freuen uns indessen darüber, daß im Allgemeinen die öffentliche Stimmung in Deutsch¬ land die Lage der Dinge besser zu würdigen verstanden hat, und daß den Eng¬ ländern die aufrichtigsten Sympathien und die besten Wünsche für ihren Waffen¬ erfolg nicht gefehlt haben. Am entschiedensten und ganz gewiß aufrichtig gemeint war die öffentliche Stimmung gegen Ostindien zu Gunsten Englands in den nordamerikanischen Freistaaten. Gewiß zu Vieler Erstaunen, die es nicht begreifen konnten, daß nicht politische Eifersüchtelei in jedem einzelnen Falle höher stehe, als das Ge¬ fühl des gemeinsamen Bluts und das bei Engländern und Nordamerikanern gleich stark hervortretende Gefühl der Racensuperiorität. Die nordamerikanischen Sympathien waren größer selbst als die Irlands, wo Jungirland und fana¬ tische Priester den freilich ziemlich vergeblichen Versuch machten, den ostindischen Aufstand als politisches Capital zu verwenden. In Nordamerika dagegen bot man den Engländern sogar die unbeschäftigten Arme zur Werbung gegen den Aufstand an, eine Freundlichkeit, welche die Engländer gar nicht wahrzunehmen schienen. Noch diensteifriger zeigte sich der Verbündete jenseit des Kanals, der den Engländern gar zu gern seinen Beistand aufgedrungen hätte. Wir haben seiner Zeit unsere herzliche Freude über die Naivität deutscher Zeitungen gehabt, welche sich allen Ernstes aus Paris berichten ließen, die englische Regierung hätte französischen Beistand gegen die empörten Sipoys aufgeboten, die kaiser¬ liche Regierung ihn aber verweigert. Als wenn die mindeste Kenntniß geschicht¬ licher Vorgänge, die kleinste Würdigung der Verhältnisse nicht zu der Ueber¬ zeugung hätte führen müssen, daß die Engländer lieber ihr indisches Reich sich selbst Preis gegeben, als die Hand dazu geboten hätten, bewaffnete Franzosen auf. der Halbinsel landen zu lassen. Der kaiserliche Minister hat dann auch später dem um die französisch-ostindischen Besitzungen — vier oder fünf kleine Punkte am äußersten Saum der Küste mit einer Gesammtbevölkerung von etwa einer Viertelmillion Menschen — besorgten Handelsstand von Bourdeaur und Marseille die genugthuende Mittheilung machen können, daß sie sich ganz wohl befänden. Die englische Negierung scheint dies Mal fest entschlossen gewesen zu sein, sich allein auf eigne Hilfsmittel zu stützen. Sie wollte weder die Nachrede irgend welches auswärtigen Beistands, noch auch die eigne Nation daran ge¬ wöhnen, sich in Zeiten der Noth auf solchen zu verlassen. Sie hat ungeheure Anstrengungen ganz aus den eignen Hilfsmitteln gemacht, und sie erntet jetzt deren Erfolge. Diese Entschlossenheit hat England vor dem Schicksale anderer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/364>, abgerufen am 23.07.2024.