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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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auf allen Seiten rissen sich die Subahdars und NewZ,bS bereits los und im Jahre
1717 war ganz Dekhan verloren. Nadir, Schah von Persten, der habgierige
blutdürstige Tyrann, während dieser fortwährenden Fehden vomSubahdar zur
Hilfe ins Land gerufen, siegte bei Delhi 1738, raubte dem Reiche mehre Pro¬
vinzen, dem Großmogul seinen Schatz, und verheerte Delhi selbst auf die grä߬
lichste Weise: er ließ dort dreißigtausend Menschen niedermetzeln und erbot"
eine Brandschatzung von mehr als zweihundert Millionen Thalern. Auch die
Siekhs machten sich frei, gründeten eine aristokratische Republik und plünderten
nebst den Djats daS Mogulreich, von Norden und Westen her; von Osten her
stürmte das Afghanenvolk der Rohillaö und von Süden her das durch glühen¬
den Religionshaß getriebene Volk der Mahratten, der Kern der alten Krieger-
kaste, den selbst Orangsib nicht hatte überwältigen können, in das unglückliche
Land, das bald aus der Reihe der selbstständigen Staaten scheiden sollte. Schah
Altum II., der neunte Kaiser feit Orangsib, und der letzte in der Reihe der
regierenden Großmoguls, bestieg 1761 den Thron, trat aber bereits 176S Ben¬
galen gegen die unbedeutende Jahresrente von sechsundzwanzig Lack'Rupien
(etwa ein Eilftel der jährlichen Einkü"ste aus dieser Provinz!) an die Englän¬
der ab und verlor 1770 die Hauptstadt selbst an die Mahratten und zum zwei¬
ten Male, obschon nur vorübergehend, 1788 an den Nohillafürsten Gholüm Kha-
dir, der die Grausamkeit hatte, ihn blenden zu lassen, aber durch Madhadji
Sindia wieder vertrieben wurde. Der schwergeprüfte Altum setzte seine Schein-
Herrschaft bis zum Jahre 1803 fort, wo ihn Lord Lake nach dem Siege bei
Delhi über die Mahratten vom Joch der letztern befreite, um ihn mit den Re-
venüen eines bestimmten Districts als jährliche Pension (damals 125,000 Pfund
Sterling, seitdem auf 144,000 Pfund Sterling gestiegen!) und dem pomphaften
Titel Schahschahi, "König der Könige", in völligen Ruhestand zu versetzen; sein
Reich wurde beschränkt auf die Citadelle und den Palast, dessen Eingänge bis auf
die letzten Ereignisse englische Truppen besetzt hielten, indeß ein englischer Re¬
sident (Lowmisssr^) unter dem Lieutcnantgovernor zu Agra stehend, das Land
regierte. 1806 starber, 82 Jahre alt, mit Hinterlassung von 52 Kindern. Der
älteste legitime Sohn bestieg, alö Titularkaiser Abkar II., den Thron und er¬
schwerte anfangsden Engländern die Erhaltung der Ruhe und Ordnung nicht
wenig durch seine Serailintriguen. Er starb 80 Jahre all im Jahr 1837 und
sein Sohn Bahadar Schah folgte ihm auf dem Throne, ein ausschweifender Mann,
der mit seinen Ministern und 600 Familiengliedern, darunter 200 Weiber, in
stetem Unfrieden lebt. Nur zweimal im Jahre erscheint er öffentlich: wenn er die
Djumamoschee und Humayuns Grab besucht. Wer ihm seine Aufwartung
machen will, hat sich beim Hausminister zu melden und als Zeichen der Unter-
thänigkeit den "Nagar" (circa 50 Thaler) zu zahlen, wofür er einen Ehrentitel,
einen unbrauchbaren Säbel und ein desgleichen Ehrenkleid, aber keinen Sessel


auf allen Seiten rissen sich die Subahdars und NewZ,bS bereits los und im Jahre
1717 war ganz Dekhan verloren. Nadir, Schah von Persten, der habgierige
blutdürstige Tyrann, während dieser fortwährenden Fehden vomSubahdar zur
Hilfe ins Land gerufen, siegte bei Delhi 1738, raubte dem Reiche mehre Pro¬
vinzen, dem Großmogul seinen Schatz, und verheerte Delhi selbst auf die grä߬
lichste Weise: er ließ dort dreißigtausend Menschen niedermetzeln und erbot»
eine Brandschatzung von mehr als zweihundert Millionen Thalern. Auch die
Siekhs machten sich frei, gründeten eine aristokratische Republik und plünderten
nebst den Djats daS Mogulreich, von Norden und Westen her; von Osten her
stürmte das Afghanenvolk der Rohillaö und von Süden her das durch glühen¬
den Religionshaß getriebene Volk der Mahratten, der Kern der alten Krieger-
kaste, den selbst Orangsib nicht hatte überwältigen können, in das unglückliche
Land, das bald aus der Reihe der selbstständigen Staaten scheiden sollte. Schah
Altum II., der neunte Kaiser feit Orangsib, und der letzte in der Reihe der
regierenden Großmoguls, bestieg 1761 den Thron, trat aber bereits 176S Ben¬
galen gegen die unbedeutende Jahresrente von sechsundzwanzig Lack'Rupien
(etwa ein Eilftel der jährlichen Einkü«ste aus dieser Provinz!) an die Englän¬
der ab und verlor 1770 die Hauptstadt selbst an die Mahratten und zum zwei¬
ten Male, obschon nur vorübergehend, 1788 an den Nohillafürsten Gholüm Kha-
dir, der die Grausamkeit hatte, ihn blenden zu lassen, aber durch Madhadji
Sindia wieder vertrieben wurde. Der schwergeprüfte Altum setzte seine Schein-
Herrschaft bis zum Jahre 1803 fort, wo ihn Lord Lake nach dem Siege bei
Delhi über die Mahratten vom Joch der letztern befreite, um ihn mit den Re-
venüen eines bestimmten Districts als jährliche Pension (damals 125,000 Pfund
Sterling, seitdem auf 144,000 Pfund Sterling gestiegen!) und dem pomphaften
Titel Schahschahi, „König der Könige", in völligen Ruhestand zu versetzen; sein
Reich wurde beschränkt auf die Citadelle und den Palast, dessen Eingänge bis auf
die letzten Ereignisse englische Truppen besetzt hielten, indeß ein englischer Re¬
sident (Lowmisssr^) unter dem Lieutcnantgovernor zu Agra stehend, das Land
regierte. 1806 starber, 82 Jahre alt, mit Hinterlassung von 52 Kindern. Der
älteste legitime Sohn bestieg, alö Titularkaiser Abkar II., den Thron und er¬
schwerte anfangsden Engländern die Erhaltung der Ruhe und Ordnung nicht
wenig durch seine Serailintriguen. Er starb 80 Jahre all im Jahr 1837 und
sein Sohn Bahadar Schah folgte ihm auf dem Throne, ein ausschweifender Mann,
der mit seinen Ministern und 600 Familiengliedern, darunter 200 Weiber, in
stetem Unfrieden lebt. Nur zweimal im Jahre erscheint er öffentlich: wenn er die
Djumamoschee und Humayuns Grab besucht. Wer ihm seine Aufwartung
machen will, hat sich beim Hausminister zu melden und als Zeichen der Unter-
thänigkeit den „Nagar" (circa 50 Thaler) zu zahlen, wofür er einen Ehrentitel,
einen unbrauchbaren Säbel und ein desgleichen Ehrenkleid, aber keinen Sessel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/36>, abgerufen am 23.07.2024.