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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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dern auch alle dramatischen Anforderungen geringschätzig von sich weist, ein
Bild seiner politischen Ideale aufstellt. Es ist im gewissen Sinn eine lyrische
Philosophie der Geschichte. Die allmälige Entwicklung und der Contrast
zwischen dem Leben der Jäger, Nomaden und Ackerbauer wird dargestellt; es
wird gezeigt, wie die wilden Stämme der Hirten neben dem fest gefugten Land¬
bau nicht bestehen können, und wie die Bauern genöthigt werden, um den
ewigen Beunruhigungen und Angriffen zu entgehen, sich militärisch zu orga-
nisiren,, mit andern Worten, einen Fürsten an ihre Spitze zu stellen; wie
dieser kräftige und wohlgesinnte Fürst der Cultur großartige Perspectiven er¬
öffnet, mächtige Städte gründet, Handelswege nach dem fernen Süden und
Westen anbahnt und sichert, freilich daneben auch strenge Gerechtigkeit aus¬
übt und um die unbändigen Naturen, denen es äußerst unbequem fällt, einem
fremden, wenn auch vernünftigen Willen dienstbar zu sein, an seine Autorität
ZU gewöhnen, sich mit dem Priesterorden verbindet, der in Bezug auf Wissen¬
schaft und Kunst zuerst das Mittel der Association mit Erfolg angewendet und
das frühere nur zufällige Wissen in einer Schule firirt hat. Freilich ist man
nicht ungestraft Herr eines Welttheils. Nimrod erreicht zwar politisch seine
Zwecke, aber auf Kosten seines Gemüths, er muß seinen Sohn zum Tode ver-
Urtheilen, den seine unklaren Nelleitäten verleitet haben, sich mit den Feinden
seines Vaters gegen sein Leben zu verschwören. G. Kinkel nimmt nun mit
diesem Sohn, ferner mit einer romantischen Prinzessin Ada, die für die süße
Gewohnheit der Blutrache schwärmt, und mit den wilden Häuptlingen der
Nomadenstämme gegen das historische Reich Partei. Von poetischem Stand¬
punkt ist nichts dagegen einzuwenden; der Dichter steht auf einer andern
Warte als auf den Zinne" der Partei, da das Ganze aber zugleich eine po-
!ltijchc Allegorie sein soll, so müssen wir uns vom Standpunkte der Geschichte
sür das Cullurreich gegen die romantischen Passionen der Blutrache und des
Nomadenlebens aussprechen. Nie wurde ein gerechteres Todesurtheil gefällt,
"is das über deu Prinzen Assur, der ein dreifacher Verräther ist. Gemüthlich
sind die Gründer neuer Monarchien gewiß nicht gewesen, aber ihnen verdanken
^r doch, baß wir nicht mehr mit den Mohikanern in den Urwald rü den
Büffel jagen, uns tättowiren und mit den Stirnhäuten erschlagener Feinde
Ichmücken. Soviel zur Abwehr etwaiger politischer Folgerungen; die Sprache
^u, wie gesagt, sehr große Schönheiten, und man erkennt auch hier wieder,
"U'hr in der Textur einzelner Empfindungen als in der Composition des Gän-
sen, in Kinkel eine echte Dichternatur.

Das Jahrbuch deutscher Belletristik auf 1858 herausgegeben von
Siegfried Kapper (Prag, Bellmann) enthält auch dies Mal Beiträge von
^".haften Dichtern: Hieronymus Lorm, A. Meißner, Bodenstedt,
^ternberg, E. Geibel, L. Schefer und andern. Die Auswahl ist für


dern auch alle dramatischen Anforderungen geringschätzig von sich weist, ein
Bild seiner politischen Ideale aufstellt. Es ist im gewissen Sinn eine lyrische
Philosophie der Geschichte. Die allmälige Entwicklung und der Contrast
zwischen dem Leben der Jäger, Nomaden und Ackerbauer wird dargestellt; es
wird gezeigt, wie die wilden Stämme der Hirten neben dem fest gefugten Land¬
bau nicht bestehen können, und wie die Bauern genöthigt werden, um den
ewigen Beunruhigungen und Angriffen zu entgehen, sich militärisch zu orga-
nisiren,, mit andern Worten, einen Fürsten an ihre Spitze zu stellen; wie
dieser kräftige und wohlgesinnte Fürst der Cultur großartige Perspectiven er¬
öffnet, mächtige Städte gründet, Handelswege nach dem fernen Süden und
Westen anbahnt und sichert, freilich daneben auch strenge Gerechtigkeit aus¬
übt und um die unbändigen Naturen, denen es äußerst unbequem fällt, einem
fremden, wenn auch vernünftigen Willen dienstbar zu sein, an seine Autorität
ZU gewöhnen, sich mit dem Priesterorden verbindet, der in Bezug auf Wissen¬
schaft und Kunst zuerst das Mittel der Association mit Erfolg angewendet und
das frühere nur zufällige Wissen in einer Schule firirt hat. Freilich ist man
nicht ungestraft Herr eines Welttheils. Nimrod erreicht zwar politisch seine
Zwecke, aber auf Kosten seines Gemüths, er muß seinen Sohn zum Tode ver-
Urtheilen, den seine unklaren Nelleitäten verleitet haben, sich mit den Feinden
seines Vaters gegen sein Leben zu verschwören. G. Kinkel nimmt nun mit
diesem Sohn, ferner mit einer romantischen Prinzessin Ada, die für die süße
Gewohnheit der Blutrache schwärmt, und mit den wilden Häuptlingen der
Nomadenstämme gegen das historische Reich Partei. Von poetischem Stand¬
punkt ist nichts dagegen einzuwenden; der Dichter steht auf einer andern
Warte als auf den Zinne» der Partei, da das Ganze aber zugleich eine po-
!ltijchc Allegorie sein soll, so müssen wir uns vom Standpunkte der Geschichte
sür das Cullurreich gegen die romantischen Passionen der Blutrache und des
Nomadenlebens aussprechen. Nie wurde ein gerechteres Todesurtheil gefällt,
"is das über deu Prinzen Assur, der ein dreifacher Verräther ist. Gemüthlich
sind die Gründer neuer Monarchien gewiß nicht gewesen, aber ihnen verdanken
^r doch, baß wir nicht mehr mit den Mohikanern in den Urwald rü den
Büffel jagen, uns tättowiren und mit den Stirnhäuten erschlagener Feinde
Ichmücken. Soviel zur Abwehr etwaiger politischer Folgerungen; die Sprache
^u, wie gesagt, sehr große Schönheiten, und man erkennt auch hier wieder,
"U'hr in der Textur einzelner Empfindungen als in der Composition des Gän-
sen, in Kinkel eine echte Dichternatur.

Das Jahrbuch deutscher Belletristik auf 1858 herausgegeben von
Siegfried Kapper (Prag, Bellmann) enthält auch dies Mal Beiträge von
^».haften Dichtern: Hieronymus Lorm, A. Meißner, Bodenstedt,
^ternberg, E. Geibel, L. Schefer und andern. Die Auswahl ist für


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[0351] dern auch alle dramatischen Anforderungen geringschätzig von sich weist, ein Bild seiner politischen Ideale aufstellt. Es ist im gewissen Sinn eine lyrische Philosophie der Geschichte. Die allmälige Entwicklung und der Contrast zwischen dem Leben der Jäger, Nomaden und Ackerbauer wird dargestellt; es wird gezeigt, wie die wilden Stämme der Hirten neben dem fest gefugten Land¬ bau nicht bestehen können, und wie die Bauern genöthigt werden, um den ewigen Beunruhigungen und Angriffen zu entgehen, sich militärisch zu orga- nisiren,, mit andern Worten, einen Fürsten an ihre Spitze zu stellen; wie dieser kräftige und wohlgesinnte Fürst der Cultur großartige Perspectiven er¬ öffnet, mächtige Städte gründet, Handelswege nach dem fernen Süden und Westen anbahnt und sichert, freilich daneben auch strenge Gerechtigkeit aus¬ übt und um die unbändigen Naturen, denen es äußerst unbequem fällt, einem fremden, wenn auch vernünftigen Willen dienstbar zu sein, an seine Autorität ZU gewöhnen, sich mit dem Priesterorden verbindet, der in Bezug auf Wissen¬ schaft und Kunst zuerst das Mittel der Association mit Erfolg angewendet und das frühere nur zufällige Wissen in einer Schule firirt hat. Freilich ist man nicht ungestraft Herr eines Welttheils. Nimrod erreicht zwar politisch seine Zwecke, aber auf Kosten seines Gemüths, er muß seinen Sohn zum Tode ver- Urtheilen, den seine unklaren Nelleitäten verleitet haben, sich mit den Feinden seines Vaters gegen sein Leben zu verschwören. G. Kinkel nimmt nun mit diesem Sohn, ferner mit einer romantischen Prinzessin Ada, die für die süße Gewohnheit der Blutrache schwärmt, und mit den wilden Häuptlingen der Nomadenstämme gegen das historische Reich Partei. Von poetischem Stand¬ punkt ist nichts dagegen einzuwenden; der Dichter steht auf einer andern Warte als auf den Zinne» der Partei, da das Ganze aber zugleich eine po- !ltijchc Allegorie sein soll, so müssen wir uns vom Standpunkte der Geschichte sür das Cullurreich gegen die romantischen Passionen der Blutrache und des Nomadenlebens aussprechen. Nie wurde ein gerechteres Todesurtheil gefällt, "is das über deu Prinzen Assur, der ein dreifacher Verräther ist. Gemüthlich sind die Gründer neuer Monarchien gewiß nicht gewesen, aber ihnen verdanken ^r doch, baß wir nicht mehr mit den Mohikanern in den Urwald rü den Büffel jagen, uns tättowiren und mit den Stirnhäuten erschlagener Feinde Ichmücken. Soviel zur Abwehr etwaiger politischer Folgerungen; die Sprache ^u, wie gesagt, sehr große Schönheiten, und man erkennt auch hier wieder, "U'hr in der Textur einzelner Empfindungen als in der Composition des Gän- sen, in Kinkel eine echte Dichternatur. Das Jahrbuch deutscher Belletristik auf 1858 herausgegeben von Siegfried Kapper (Prag, Bellmann) enthält auch dies Mal Beiträge von ^».haften Dichtern: Hieronymus Lorm, A. Meißner, Bodenstedt, ^ternberg, E. Geibel, L. Schefer und andern. Die Auswahl ist für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/351>, abgerufen am 23.07.2024.