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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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von vierhundert siebzigtausend Reitern auch Chorasan, Turkestan und --
China erobern zu wollen, verlegte in seinem Zorn gegen die Bewohner Delhis
um das Jahr 1330 die Residenz von da nach Deoghir (in zwanzig Grad
Breite), das ihm mehr in der Mitte seines Reichs zu liegen schien, und das
er Daulatabäd, "Stadt der Herrschaft", nannte. Lurus und Ueppigkeit, die
in Delhi bis zum Uebermaß gestiegen waren, ließen schnell nach; die Stadt
entvölkerte sich und ganze Quartiere wurden den Eulen und Raubthieren Preis
gegeben. Aber von den Dekhan-Radjahs angegriffen und geschlagen, sah der
hochmüthige Tyrann sich genöthigt, die Residenz wieder nach Delhi zurück zu
verlegen, und bald, unter seinem Nachfolger Ferüz Toghluk (133-1-86), einem
milden, gerechten Fürsten, einem Mäcen der Wissenschaften und Förderer des
Städtebaus und der Colonisation, so wie der großartigsten Kanalbauten, kamen
Land und Hauptstadt wieder zur Blüte, obschon ersteres durch die Losreißung
VengalenS im Osten und aller südlichen Provinzen sehr an Umfang verlor.

Aber auch Delhis Glanz sollte nur wenige Jahre noch dauern. Timur
(oder Tamerlan), der grausame Tarlarenfürst, der bereits die halbe Welt erobert
hatte und am Ende seiner Tage (1i0S) siebenundzwanzig Kronen auf feinem
blulbeladenen Haupte vereinigte, brach in das Land ein (1397) und verwüstete
es mit Feuer und Schwert. Am 3. Januar 1398 schlug er die Schlacht von
Delhi und Delhis Schicksal war entschieden: der schreckliche Eroberer zog ein
und was Jahrhunderte geschaffen und gesammelt hatten, wurde in kurzer Zeit
ein Raub der Flammen, eine Beute räuberischer Horden. Zwar verließ Timur
Delhi schon nach fünfzehn Tagen, um in seine Heimath, Samarkand, zurück¬
zukehren, aber diese kurze Frist hatte dem Wütherich genügt, sie in einen rau¬
chenden Trümmerhaufen zu verwandeln, umstanden von Siegespyramiden, die
er, ähnlich wie auf Bagdads Ruinen, aus Tausenden von Menschenschäveln
hatte errichten lassen.

Der einmal eingetretene Zustand der Auflösung und Zerrüttung dauerte
unter den nun folgenden Afghanendynastien der Sabath und Lvdis das ganze
fünfzehnte Jahrhundert hindurch fort. Um dessen Mitte war Indien bereits
in achtzehn Königreiche zerfallen, die in beständigen Fehden untereinander lagen
und deren kleinstes das einst so mächtige Delhi war. Aehnlich blieb es bis
zum Auftreten des Sultans Baber von Kabul, zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts. Ein Enkel Timurs und der Alexander seiner Zeit, unternahm
er 1519--1S26 fünf Feldzüge über den Indus und eroberte so zunächst daS
seit Timurs Zeit von Tartaren beherrscht gebliebene Pandjah, nach dem Siege
bei Panipat (20. April 1S26) aber auch den Kaiserthron von Delhi und Agra
und daS später, wiewol ganz mit Unrecht, sogenannte Reich der "Großmoguls",
deren heutiger Repräsentant ebenfalls noch zu der von ihm gegründeten Dynastie
der Baburiden gehört.


von vierhundert siebzigtausend Reitern auch Chorasan, Turkestan und —
China erobern zu wollen, verlegte in seinem Zorn gegen die Bewohner Delhis
um das Jahr 1330 die Residenz von da nach Deoghir (in zwanzig Grad
Breite), das ihm mehr in der Mitte seines Reichs zu liegen schien, und das
er Daulatabäd, „Stadt der Herrschaft", nannte. Lurus und Ueppigkeit, die
in Delhi bis zum Uebermaß gestiegen waren, ließen schnell nach; die Stadt
entvölkerte sich und ganze Quartiere wurden den Eulen und Raubthieren Preis
gegeben. Aber von den Dekhan-Radjahs angegriffen und geschlagen, sah der
hochmüthige Tyrann sich genöthigt, die Residenz wieder nach Delhi zurück zu
verlegen, und bald, unter seinem Nachfolger Ferüz Toghluk (133-1-86), einem
milden, gerechten Fürsten, einem Mäcen der Wissenschaften und Förderer des
Städtebaus und der Colonisation, so wie der großartigsten Kanalbauten, kamen
Land und Hauptstadt wieder zur Blüte, obschon ersteres durch die Losreißung
VengalenS im Osten und aller südlichen Provinzen sehr an Umfang verlor.

Aber auch Delhis Glanz sollte nur wenige Jahre noch dauern. Timur
(oder Tamerlan), der grausame Tarlarenfürst, der bereits die halbe Welt erobert
hatte und am Ende seiner Tage (1i0S) siebenundzwanzig Kronen auf feinem
blulbeladenen Haupte vereinigte, brach in das Land ein (1397) und verwüstete
es mit Feuer und Schwert. Am 3. Januar 1398 schlug er die Schlacht von
Delhi und Delhis Schicksal war entschieden: der schreckliche Eroberer zog ein
und was Jahrhunderte geschaffen und gesammelt hatten, wurde in kurzer Zeit
ein Raub der Flammen, eine Beute räuberischer Horden. Zwar verließ Timur
Delhi schon nach fünfzehn Tagen, um in seine Heimath, Samarkand, zurück¬
zukehren, aber diese kurze Frist hatte dem Wütherich genügt, sie in einen rau¬
chenden Trümmerhaufen zu verwandeln, umstanden von Siegespyramiden, die
er, ähnlich wie auf Bagdads Ruinen, aus Tausenden von Menschenschäveln
hatte errichten lassen.

Der einmal eingetretene Zustand der Auflösung und Zerrüttung dauerte
unter den nun folgenden Afghanendynastien der Sabath und Lvdis das ganze
fünfzehnte Jahrhundert hindurch fort. Um dessen Mitte war Indien bereits
in achtzehn Königreiche zerfallen, die in beständigen Fehden untereinander lagen
und deren kleinstes das einst so mächtige Delhi war. Aehnlich blieb es bis
zum Auftreten des Sultans Baber von Kabul, zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts. Ein Enkel Timurs und der Alexander seiner Zeit, unternahm
er 1519—1S26 fünf Feldzüge über den Indus und eroberte so zunächst daS
seit Timurs Zeit von Tartaren beherrscht gebliebene Pandjah, nach dem Siege
bei Panipat (20. April 1S26) aber auch den Kaiserthron von Delhi und Agra
und daS später, wiewol ganz mit Unrecht, sogenannte Reich der „Großmoguls",
deren heutiger Repräsentant ebenfalls noch zu der von ihm gegründeten Dynastie
der Baburiden gehört.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/34>, abgerufen am 23.07.2024.