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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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trefflich befestigt hat, würde der Kaiser dem alten Verbündeten reichliche Ent¬
schädigungen in Italien ohne Zweifel freigebig bewilligen.

Diese Gedanken deS Kaisers sind den großen Cabineten Europas zur
Genüge bekannt und wie sehr jede einzelne Negierung für sich selbst von der
Zukunft Vergrößerungen hofft, so sind doch alle darin einig, die französischen Pro-
jecte für Regulirung der europäischen Verhältnisse mit einem ähnlichen Mi߬
trauen zu betrachten, wie ein altes Handlungshaus etwa gegen die umfang¬
reichen Operationen eines junge" Speculanten empfindet. Und die Gefahr
für Napoleon liegt gegenwärtig darin, daß ein einziger Fehler, den er in
seinem politischen Calcul bei. Realisirung solcher Pläne begeht, ganz Europa
in Waffen gegen ihn vereinigen wird. Auf der schwindelnden Höhe, in der
er wandelt, mit festem Schritt und mit langsamer Ueberlegung und doch
einem Nachtwandler nicht unähnlich, genügt ein Ausgleiten, ihn zu verderben.
Das ist der Fluch, der seit der Zeit, wo er noch als Abenteurer erperimcntirte,
an seinen Sohlen haftet.

Die Kaiserbesuche habe" in der Hauptsache diejV Pläne nicht gefördert.
Rußland braucht Zeit, um neue Kräfte zu sammeln. Mit Ernst hat man.
dort sociale und industrielle Reformen eingeleitet, welche viele Jahre verlangen,
um dem Staat Früchte zu tragen. Für diese Zeit sind die hochfliegenden
Pläne des Kaiser Nikolaus vertagt. Man wünscht in Petersburg die Lösung
der orientalischen Frage hinauszuschieben, allen kriegerischen Trommelschlag
Europas zu verhindern, und man ist deshalb noch gar nicht entschlossen, wel¬
ches Bündinß für die nächste Zukunft Rußlands das heilsamste sei, ob das
neue mit dem veräuderuugslustige" Frankreich, oder das aufgelöste alte mit dem
benachbarten Oestreich, einem Staat, welcher sich in ganz ähnlicher Reform-
bewegungbefindet, wie Nußland. Dierussischen StaatsmännerNesselrodeund Gort-
schakvff stehn an der Spitze der beiden entgegengesetzten Parteien. Allerdings ist das
französische Bündniß in Rußland unendlich viel populärer und an sich den natür¬
lichen Interessen Rußlands am meisten entsprechend. Die Traditionen d,er
heiligen Allianz werden in Petersburg verlacht; was man dort die
Undankbarkeit Oestreichs nennt, und was östreichische Höflinge in Weimar selbst
so genannt haben sollen, hat einen lange anhaltenden Groll erregt. Schwerer
"ber fällt gegen Oestreich in die Wagschale, daß dieser Nachbar bereits einmal
^me Hund begehrlich über die Donaumüudung ausgestreckt hat. Das wird
u>e vergessen werden, und von Oestreich würden andere Bürgschaften der
Reue verlangt werden, als die persönliche Zuvorkommenheit seines Kaisers.

In Wahrheit des ist die Lage großen Donaustaates in diesem Augenblick
uicht beneidenswerth. In der auswärtigen Politik ist Oestreich wegen Italien
der Gegner Sardiniens und Frankreichs, wegen der Donaumündungcn der
Gegner Rußlands, mit Preußen findet seit Schwarzenberg ein unaufhörlicher


trefflich befestigt hat, würde der Kaiser dem alten Verbündeten reichliche Ent¬
schädigungen in Italien ohne Zweifel freigebig bewilligen.

Diese Gedanken deS Kaisers sind den großen Cabineten Europas zur
Genüge bekannt und wie sehr jede einzelne Negierung für sich selbst von der
Zukunft Vergrößerungen hofft, so sind doch alle darin einig, die französischen Pro-
jecte für Regulirung der europäischen Verhältnisse mit einem ähnlichen Mi߬
trauen zu betrachten, wie ein altes Handlungshaus etwa gegen die umfang¬
reichen Operationen eines junge» Speculanten empfindet. Und die Gefahr
für Napoleon liegt gegenwärtig darin, daß ein einziger Fehler, den er in
seinem politischen Calcul bei. Realisirung solcher Pläne begeht, ganz Europa
in Waffen gegen ihn vereinigen wird. Auf der schwindelnden Höhe, in der
er wandelt, mit festem Schritt und mit langsamer Ueberlegung und doch
einem Nachtwandler nicht unähnlich, genügt ein Ausgleiten, ihn zu verderben.
Das ist der Fluch, der seit der Zeit, wo er noch als Abenteurer erperimcntirte,
an seinen Sohlen haftet.

Die Kaiserbesuche habe» in der Hauptsache diejV Pläne nicht gefördert.
Rußland braucht Zeit, um neue Kräfte zu sammeln. Mit Ernst hat man.
dort sociale und industrielle Reformen eingeleitet, welche viele Jahre verlangen,
um dem Staat Früchte zu tragen. Für diese Zeit sind die hochfliegenden
Pläne des Kaiser Nikolaus vertagt. Man wünscht in Petersburg die Lösung
der orientalischen Frage hinauszuschieben, allen kriegerischen Trommelschlag
Europas zu verhindern, und man ist deshalb noch gar nicht entschlossen, wel¬
ches Bündinß für die nächste Zukunft Rußlands das heilsamste sei, ob das
neue mit dem veräuderuugslustige» Frankreich, oder das aufgelöste alte mit dem
benachbarten Oestreich, einem Staat, welcher sich in ganz ähnlicher Reform-
bewegungbefindet, wie Nußland. Dierussischen StaatsmännerNesselrodeund Gort-
schakvff stehn an der Spitze der beiden entgegengesetzten Parteien. Allerdings ist das
französische Bündniß in Rußland unendlich viel populärer und an sich den natür¬
lichen Interessen Rußlands am meisten entsprechend. Die Traditionen d,er
heiligen Allianz werden in Petersburg verlacht; was man dort die
Undankbarkeit Oestreichs nennt, und was östreichische Höflinge in Weimar selbst
so genannt haben sollen, hat einen lange anhaltenden Groll erregt. Schwerer
"ber fällt gegen Oestreich in die Wagschale, daß dieser Nachbar bereits einmal
^me Hund begehrlich über die Donaumüudung ausgestreckt hat. Das wird
u>e vergessen werden, und von Oestreich würden andere Bürgschaften der
Reue verlangt werden, als die persönliche Zuvorkommenheit seines Kaisers.

In Wahrheit des ist die Lage großen Donaustaates in diesem Augenblick
uicht beneidenswerth. In der auswärtigen Politik ist Oestreich wegen Italien
der Gegner Sardiniens und Frankreichs, wegen der Donaumündungcn der
Gegner Rußlands, mit Preußen findet seit Schwarzenberg ein unaufhörlicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/333>, abgerufen am 23.07.2024.