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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Als die nächste Aufgabe erscheint dem Kaiser Napoleon deshalb vor
allem, die englische Allianz festzuhalten, England und Rußland- einander zu
nähern und Preußen als Vierten im Bunde aus Rücksicht auf Rußland und
England anzunehmen. Es ist klar, daß eine solche Union Europa beherrschen
würde, aber es gehört die Ausdauer des Kaisers dazu, um auf die Festigkeit
einer solchen Allianz zu hoffen. Denn die Eifersucht, mit welcher Engländer
und Russen ihre gegenseitigen Fortschritte in Asien betrachten, wird sich um so
schwerer überwinden lassen, je wichtiger die asiatischen Fragen sür das Leben
beider Staaten werden. Und die Nöthigung, Preußen in ein solches Bündniß
aufzunehmen, welche bestehen wird, so lange Preußen nicht durch eine ver¬
kehrte Politik sich selbst isolirt, droht dem Kaiser gar die letzten Früchte der
ersehnten Union zu verkümmern. Denn die Morgengabe, welche er am liebsten
seinem Frankreich bringen möchte, ist die linke Rheinseite. Es ist dies keine
willkürliche Annahme, denn er selbst und seine inspirirter Diener machen gar
kein Geheimniß daraus. Er würde eine Entschädigung Preußens nach andrer
Richtung vorzuschlagen haben. Als in dem orientalischen Kriege von den
Westmächten lebhaft empfunden wurde, daß Preußen nicht groß genug sei, um
unter den gegebenen Verhältnissen große Politik treiben zu müssen, war ein¬
mal die Rede davon, diesem Staate die Herzogthümer anzubieten. Die reser-
virte Stellung, welche Frankreich jetzt in der Frage der Herzogthümer beobach¬
tet, gründet sich möglicherweise auf dieselbe Ansicht über eine künftige Dotation
Preußens. Unterdes; hat der Kaiser keine Gelegenheit vorübergehn lassen, die
kleineren Regierungen des Rheinbundes für sich zu interessiren. Die franzö¬
sische Speculation hat in den darmstädter Geldinstituten einen Mittelpunkt
Pfunden, und die preußischen Prohilntivmaßregeln gegen nicht preußische Geld-
assvciationen sind in Wahrheit ein eifriger, wenn auch ungeschickter Protest
gegen die französische Geldwirthschaft zu Darmstadt. Mit Baden ist der Ver¬
mag über eine feste Rheinbrücke abgeschlossen worden, welche von der franzö¬
sischen Festung Strasburg aus die bequemste Passage über den Grenzstrom
sichert und es scheint, daß die meisten deutschen Regierungen sich beeifern,
durch gefälliges Entgegenkommen auch hierin den großen Nachbar zu verpflichten,
^ut ein oder zwei mürrische Mitglieder deö deutschen Bundes ausgenommen,
hat dies Brückenproject bei uns wol nur einen Gegner, die deutsche Nation.
Mit Würtemberg sind von dem Kaiser verwandtschaftliche Beziehungen wieder
wendig gemacht worden. Die vielbesprochene Helena-Medaille soll nicht die
^"brauchbaren Invaliden, deren greise Eitelkeit sich an dem runden Blech er-
^eut, mit Frankreich befreunden, sondern die Deutschen daran erinnern, daß
^ größte Theil der deutschen Heere jahrelang für die Familie Napoleon ge¬
rupft und geblutet hat. Der friedliche Nheinübergang deS Kaisers in diesem
"5ahre erschien nicht wenigen aus seiner Umgebung als die Einleitung zu


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Als die nächste Aufgabe erscheint dem Kaiser Napoleon deshalb vor
allem, die englische Allianz festzuhalten, England und Rußland- einander zu
nähern und Preußen als Vierten im Bunde aus Rücksicht auf Rußland und
England anzunehmen. Es ist klar, daß eine solche Union Europa beherrschen
würde, aber es gehört die Ausdauer des Kaisers dazu, um auf die Festigkeit
einer solchen Allianz zu hoffen. Denn die Eifersucht, mit welcher Engländer
und Russen ihre gegenseitigen Fortschritte in Asien betrachten, wird sich um so
schwerer überwinden lassen, je wichtiger die asiatischen Fragen sür das Leben
beider Staaten werden. Und die Nöthigung, Preußen in ein solches Bündniß
aufzunehmen, welche bestehen wird, so lange Preußen nicht durch eine ver¬
kehrte Politik sich selbst isolirt, droht dem Kaiser gar die letzten Früchte der
ersehnten Union zu verkümmern. Denn die Morgengabe, welche er am liebsten
seinem Frankreich bringen möchte, ist die linke Rheinseite. Es ist dies keine
willkürliche Annahme, denn er selbst und seine inspirirter Diener machen gar
kein Geheimniß daraus. Er würde eine Entschädigung Preußens nach andrer
Richtung vorzuschlagen haben. Als in dem orientalischen Kriege von den
Westmächten lebhaft empfunden wurde, daß Preußen nicht groß genug sei, um
unter den gegebenen Verhältnissen große Politik treiben zu müssen, war ein¬
mal die Rede davon, diesem Staate die Herzogthümer anzubieten. Die reser-
virte Stellung, welche Frankreich jetzt in der Frage der Herzogthümer beobach¬
tet, gründet sich möglicherweise auf dieselbe Ansicht über eine künftige Dotation
Preußens. Unterdes; hat der Kaiser keine Gelegenheit vorübergehn lassen, die
kleineren Regierungen des Rheinbundes für sich zu interessiren. Die franzö¬
sische Speculation hat in den darmstädter Geldinstituten einen Mittelpunkt
Pfunden, und die preußischen Prohilntivmaßregeln gegen nicht preußische Geld-
assvciationen sind in Wahrheit ein eifriger, wenn auch ungeschickter Protest
gegen die französische Geldwirthschaft zu Darmstadt. Mit Baden ist der Ver¬
mag über eine feste Rheinbrücke abgeschlossen worden, welche von der franzö¬
sischen Festung Strasburg aus die bequemste Passage über den Grenzstrom
sichert und es scheint, daß die meisten deutschen Regierungen sich beeifern,
durch gefälliges Entgegenkommen auch hierin den großen Nachbar zu verpflichten,
^ut ein oder zwei mürrische Mitglieder deö deutschen Bundes ausgenommen,
hat dies Brückenproject bei uns wol nur einen Gegner, die deutsche Nation.
Mit Würtemberg sind von dem Kaiser verwandtschaftliche Beziehungen wieder
wendig gemacht worden. Die vielbesprochene Helena-Medaille soll nicht die
^"brauchbaren Invaliden, deren greise Eitelkeit sich an dem runden Blech er-
^eut, mit Frankreich befreunden, sondern die Deutschen daran erinnern, daß
^ größte Theil der deutschen Heere jahrelang für die Familie Napoleon ge¬
rupft und geblutet hat. Der friedliche Nheinübergang deS Kaisers in diesem
"5ahre erschien nicht wenigen aus seiner Umgebung als die Einleitung zu


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[0331] Als die nächste Aufgabe erscheint dem Kaiser Napoleon deshalb vor allem, die englische Allianz festzuhalten, England und Rußland- einander zu nähern und Preußen als Vierten im Bunde aus Rücksicht auf Rußland und England anzunehmen. Es ist klar, daß eine solche Union Europa beherrschen würde, aber es gehört die Ausdauer des Kaisers dazu, um auf die Festigkeit einer solchen Allianz zu hoffen. Denn die Eifersucht, mit welcher Engländer und Russen ihre gegenseitigen Fortschritte in Asien betrachten, wird sich um so schwerer überwinden lassen, je wichtiger die asiatischen Fragen sür das Leben beider Staaten werden. Und die Nöthigung, Preußen in ein solches Bündniß aufzunehmen, welche bestehen wird, so lange Preußen nicht durch eine ver¬ kehrte Politik sich selbst isolirt, droht dem Kaiser gar die letzten Früchte der ersehnten Union zu verkümmern. Denn die Morgengabe, welche er am liebsten seinem Frankreich bringen möchte, ist die linke Rheinseite. Es ist dies keine willkürliche Annahme, denn er selbst und seine inspirirter Diener machen gar kein Geheimniß daraus. Er würde eine Entschädigung Preußens nach andrer Richtung vorzuschlagen haben. Als in dem orientalischen Kriege von den Westmächten lebhaft empfunden wurde, daß Preußen nicht groß genug sei, um unter den gegebenen Verhältnissen große Politik treiben zu müssen, war ein¬ mal die Rede davon, diesem Staate die Herzogthümer anzubieten. Die reser- virte Stellung, welche Frankreich jetzt in der Frage der Herzogthümer beobach¬ tet, gründet sich möglicherweise auf dieselbe Ansicht über eine künftige Dotation Preußens. Unterdes; hat der Kaiser keine Gelegenheit vorübergehn lassen, die kleineren Regierungen des Rheinbundes für sich zu interessiren. Die franzö¬ sische Speculation hat in den darmstädter Geldinstituten einen Mittelpunkt Pfunden, und die preußischen Prohilntivmaßregeln gegen nicht preußische Geld- assvciationen sind in Wahrheit ein eifriger, wenn auch ungeschickter Protest gegen die französische Geldwirthschaft zu Darmstadt. Mit Baden ist der Ver¬ mag über eine feste Rheinbrücke abgeschlossen worden, welche von der franzö¬ sischen Festung Strasburg aus die bequemste Passage über den Grenzstrom sichert und es scheint, daß die meisten deutschen Regierungen sich beeifern, durch gefälliges Entgegenkommen auch hierin den großen Nachbar zu verpflichten, ^ut ein oder zwei mürrische Mitglieder deö deutschen Bundes ausgenommen, hat dies Brückenproject bei uns wol nur einen Gegner, die deutsche Nation. Mit Würtemberg sind von dem Kaiser verwandtschaftliche Beziehungen wieder wendig gemacht worden. Die vielbesprochene Helena-Medaille soll nicht die ^"brauchbaren Invaliden, deren greise Eitelkeit sich an dem runden Blech er- ^eut, mit Frankreich befreunden, sondern die Deutschen daran erinnern, daß ^ größte Theil der deutschen Heere jahrelang für die Familie Napoleon ge¬ rupft und geblutet hat. Der friedliche Nheinübergang deS Kaisers in diesem "5ahre erschien nicht wenigen aus seiner Umgebung als die Einleitung zu i< *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/331>, abgerufen am 23.07.2024.