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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Also mehr als einmal trat- das Bild Athens an Hamburgs Namen heran,
im 17. Jahrhundert als Ebenbild und jetzt als Zukunftsbild, dem Hamburg
nacheifern soll, Ich will mit jenem Gleichniß und diesen Hoffnungen nicht
weiter rechten, aber wol wird es der Mühe werth sein, einmal zu prüfen, ob
denn die Spuren geistigen Lebens in Hamburg wirklich so gering sind, wie
die allgemeine Rede geht; ob wirklich die geistige Nahrung hier so kärglich
fließt, wie die leibliche reichlich. Und um meine Meinung gleich von vorn¬
herein kund zu geben: ich denke, eS geht selbst manchem Einheimischen wie dem
genn'lhvollen Pastor Schuppius, der lange in Hamburg lebte, ehe er wußte,
wie mancher gute Kopf darin verborgen war. Ohne Hamburg zum griechischen
Musensitze heraus zu brüsten glaube ich doch, daß es an Sinn für Kunst und
Wissenschaft keineswegs so arm ist, wie daS Gerücht sagt. Ueberzeugt, daß
diese idealeren Interessen überall nur in einer Minderzahl lebendig sind, will
ich zu zeigen suchen, daß eine solche Minderzahl auch hier nicht fehlt, und daß
sie von andern Strömungen durchaus so sehr verschlungen wird, wie viele
meinen.

Schon die Geschichte Hamburgs bürgt dafür, daß man nach solchen Ele¬
menten hier nicht ganz vergebens suchen muß. Kein Kundiger wird in Abrede
stellen, daß Hamburg im 17. Jahrhundert eine berühmte Stätte der Wissenschaft
war; wohl bekannt ist, daß es auch später noch eine Zeit gab, wo im Kreise
von Reimarus und andern ein sehr reges geistiges Leben herrschte, und jeder
weiß, daß damals das Hamburger Theater eine der edelsten Kunstanstalten
Deutschlands war.

Nun sind die dramatische Kunst wie die Musik allerdings flatterhafte Mu¬
sen, sie kommen, erfreuen und erheben die Generation eines Ortes, aber sie
hinterlassen hier nicht nothwendig bleibende Spuren. Anders ist eS mit andern
Künsten und mit der Wissenschaft. Sie gründen Institute, die ihren Werth
beHallen, selbst wenn einmal eine Generation vergessen sollte, mit tieferem Inter¬
esse sie zu hegen.

Es wird nicht unrichtig sein, von .'lesen bleibenden Instituten geistig^
Nahrung, unter denen wir außer den Bibliotheken auch Museen und Galerien
verstehen, eher zu sprechen, als von dem geistigen Leben, das in gar mannig-
faltiger Fluktuation an sie sich angelehnt hat.

Als 1847 davon die Rede war, in Hamburg eine Universität zu gründe",
wurde der Bestand sämmtlicher zu benutzenden Bibliotheken auf 200,000 Bände
und 3000 Handschriften angeschlagen; eine Zahl, mit der man mancher kleinen
Universitätsstadt sehr wohl an die Seite treten konnte. Und gewiß hatte man
damals zu knapp gezählt; die besonders seit 1833 fast um die Hälfte der frühe"'
Bäudezahl bereicherte Stadtbibliothek kann jetzt allein schon aus jene Anzahl
Anspruch machen. Und neben ihr bestehen noch die bedeutende, seit


Also mehr als einmal trat- das Bild Athens an Hamburgs Namen heran,
im 17. Jahrhundert als Ebenbild und jetzt als Zukunftsbild, dem Hamburg
nacheifern soll, Ich will mit jenem Gleichniß und diesen Hoffnungen nicht
weiter rechten, aber wol wird es der Mühe werth sein, einmal zu prüfen, ob
denn die Spuren geistigen Lebens in Hamburg wirklich so gering sind, wie
die allgemeine Rede geht; ob wirklich die geistige Nahrung hier so kärglich
fließt, wie die leibliche reichlich. Und um meine Meinung gleich von vorn¬
herein kund zu geben: ich denke, eS geht selbst manchem Einheimischen wie dem
genn'lhvollen Pastor Schuppius, der lange in Hamburg lebte, ehe er wußte,
wie mancher gute Kopf darin verborgen war. Ohne Hamburg zum griechischen
Musensitze heraus zu brüsten glaube ich doch, daß es an Sinn für Kunst und
Wissenschaft keineswegs so arm ist, wie daS Gerücht sagt. Ueberzeugt, daß
diese idealeren Interessen überall nur in einer Minderzahl lebendig sind, will
ich zu zeigen suchen, daß eine solche Minderzahl auch hier nicht fehlt, und daß
sie von andern Strömungen durchaus so sehr verschlungen wird, wie viele
meinen.

Schon die Geschichte Hamburgs bürgt dafür, daß man nach solchen Ele¬
menten hier nicht ganz vergebens suchen muß. Kein Kundiger wird in Abrede
stellen, daß Hamburg im 17. Jahrhundert eine berühmte Stätte der Wissenschaft
war; wohl bekannt ist, daß es auch später noch eine Zeit gab, wo im Kreise
von Reimarus und andern ein sehr reges geistiges Leben herrschte, und jeder
weiß, daß damals das Hamburger Theater eine der edelsten Kunstanstalten
Deutschlands war.

Nun sind die dramatische Kunst wie die Musik allerdings flatterhafte Mu¬
sen, sie kommen, erfreuen und erheben die Generation eines Ortes, aber sie
hinterlassen hier nicht nothwendig bleibende Spuren. Anders ist eS mit andern
Künsten und mit der Wissenschaft. Sie gründen Institute, die ihren Werth
beHallen, selbst wenn einmal eine Generation vergessen sollte, mit tieferem Inter¬
esse sie zu hegen.

Es wird nicht unrichtig sein, von .'lesen bleibenden Instituten geistig^
Nahrung, unter denen wir außer den Bibliotheken auch Museen und Galerien
verstehen, eher zu sprechen, als von dem geistigen Leben, das in gar mannig-
faltiger Fluktuation an sie sich angelehnt hat.

Als 1847 davon die Rede war, in Hamburg eine Universität zu gründe»,
wurde der Bestand sämmtlicher zu benutzenden Bibliotheken auf 200,000 Bände
und 3000 Handschriften angeschlagen; eine Zahl, mit der man mancher kleinen
Universitätsstadt sehr wohl an die Seite treten konnte. Und gewiß hatte man
damals zu knapp gezählt; die besonders seit 1833 fast um die Hälfte der frühe"'
Bäudezahl bereicherte Stadtbibliothek kann jetzt allein schon aus jene Anzahl
Anspruch machen. Und neben ihr bestehen noch die bedeutende, seit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/306>, abgerufen am 23.07.2024.