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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Zwar, daß er als Vater so viel Einfluß auf seine Söhne behalten werde, um
sie nicht in dem hierarchischen Zauberkreise zu verlieren, allein die Ehefrau
wies auf die g^genrheiligcn Erfahrungen hin, welche von so vielen Familien
gemacht worden waren, und aus ihren Händen, erklärte sie mit Energie,
würden die Jesuiten nie eine Tochter oder einen Sohn empfangen.

Wie steht es nun mit der Religiosität der La im in O estrei es? Hat
diese an Intensität, an Einfluß aus die Sittlichkeit während der letztern Jcihre
gleichen Schritt gehalten mit der Anspannung der hierarchischen Mittel? Ich
glaube es nicht. Die höheren Classen fühlen und wissen, daß die vereinten
Anstrengungen des Thrones und des Altares hauptsächlich den Zweck haben,
den ersteren zu befestigen und politische Zwecke zu befördern, daß hierzu die
Hierarchie mithelfen soll. Aber die Oestreicher sind jetzt so still, so vorsichtig in
ihren Aeußerungen hierüber, daß es mir nie gelungen ist, die Rede in diesen
Gegenstand eindringen zu lassen. Ja ich glaube, daß sich, wie in vielen
evangelischen Ländern, so auch in Oestreich jetzt ein sehr bedenklicher Proceß
vollzieht: je mehr man über religiöse, politische und philosophische Themata
schweigt oder schweigen muß, desto mehr wirft sich die Thätigkeit auf eine
andere Seile und die Krankheit auf andere Organe; d. h. man kommt immer
wehr in den Materialismus deS Essens, deS Trinkens u. s. w. hinein , und
dieser ist schon früher die Stärke und die Schwäche des östreichische" Volkes
gewesen. Und hiermit pflegt eine gewisse Frivolität des Geistes, der Sittlich¬
keit verbunden zu sein. Ich erinnere an die Zahl der unehelichen Kinder,
welche seil 1848 sich nicht vermindert hat, und andererseits an den frivolen
Geschmack in Theaterstücken, Gesängen u. s. w., der immer noch der frühere ist.
Zwar hat die Polizei mehren Volkssängern ihre Kunst gelegt; allein was ich
hiervon z. B. in Wien (aus dem Munde des gefeierten Moser), in Salzburg
s. w. hörte, war gespickt mit schlüpfrigen Phrasen und Anspielungen auf
geschlechtliche Verhältnisse, und das hörten Hunderte von Frauen und Mäd¬
chen aus allen Ständen mit an, und lachten mit Papa und Mama um die
Wette.

In katholischen Ländern trifft man bekanntlich auch außerhalb der Kirchen,
Klöster u. f. w. auf viele Statuen und Bilder von Christus, der Mutter
Gottes und den verschiedenen Heiligen. Aber die Zahl derselben habe ich
'u den einzelnen Provinzen sehe verschieden gefunden. Während in Prag so
wie fast in ganz Böhmen diese religiösen Zeichen außerordentlich häufig sind,
schwinden sie in Wien und Gratz bedeutend zusammen, und Oberitalien ist
keineswegs reich an ihnen. In Tirol dagegen ist deS HutabnehmcnS und deS
Krcuzschlagenö vor solchen meist abschreckend häßlichen Bildern kein Ende.
Ich habe in Tirol wenigstens 36 Meilen gemacht, meist zu Fuß, und bin dabei
mindestens alle zweihundert Schritte, besonders an den Landstraßen, auf ein


Zwar, daß er als Vater so viel Einfluß auf seine Söhne behalten werde, um
sie nicht in dem hierarchischen Zauberkreise zu verlieren, allein die Ehefrau
wies auf die g^genrheiligcn Erfahrungen hin, welche von so vielen Familien
gemacht worden waren, und aus ihren Händen, erklärte sie mit Energie,
würden die Jesuiten nie eine Tochter oder einen Sohn empfangen.

Wie steht es nun mit der Religiosität der La im in O estrei es? Hat
diese an Intensität, an Einfluß aus die Sittlichkeit während der letztern Jcihre
gleichen Schritt gehalten mit der Anspannung der hierarchischen Mittel? Ich
glaube es nicht. Die höheren Classen fühlen und wissen, daß die vereinten
Anstrengungen des Thrones und des Altares hauptsächlich den Zweck haben,
den ersteren zu befestigen und politische Zwecke zu befördern, daß hierzu die
Hierarchie mithelfen soll. Aber die Oestreicher sind jetzt so still, so vorsichtig in
ihren Aeußerungen hierüber, daß es mir nie gelungen ist, die Rede in diesen
Gegenstand eindringen zu lassen. Ja ich glaube, daß sich, wie in vielen
evangelischen Ländern, so auch in Oestreich jetzt ein sehr bedenklicher Proceß
vollzieht: je mehr man über religiöse, politische und philosophische Themata
schweigt oder schweigen muß, desto mehr wirft sich die Thätigkeit auf eine
andere Seile und die Krankheit auf andere Organe; d. h. man kommt immer
wehr in den Materialismus deS Essens, deS Trinkens u. s. w. hinein , und
dieser ist schon früher die Stärke und die Schwäche des östreichische» Volkes
gewesen. Und hiermit pflegt eine gewisse Frivolität des Geistes, der Sittlich¬
keit verbunden zu sein. Ich erinnere an die Zahl der unehelichen Kinder,
welche seil 1848 sich nicht vermindert hat, und andererseits an den frivolen
Geschmack in Theaterstücken, Gesängen u. s. w., der immer noch der frühere ist.
Zwar hat die Polizei mehren Volkssängern ihre Kunst gelegt; allein was ich
hiervon z. B. in Wien (aus dem Munde des gefeierten Moser), in Salzburg
s. w. hörte, war gespickt mit schlüpfrigen Phrasen und Anspielungen auf
geschlechtliche Verhältnisse, und das hörten Hunderte von Frauen und Mäd¬
chen aus allen Ständen mit an, und lachten mit Papa und Mama um die
Wette.

In katholischen Ländern trifft man bekanntlich auch außerhalb der Kirchen,
Klöster u. f. w. auf viele Statuen und Bilder von Christus, der Mutter
Gottes und den verschiedenen Heiligen. Aber die Zahl derselben habe ich
'u den einzelnen Provinzen sehe verschieden gefunden. Während in Prag so
wie fast in ganz Böhmen diese religiösen Zeichen außerordentlich häufig sind,
schwinden sie in Wien und Gratz bedeutend zusammen, und Oberitalien ist
keineswegs reich an ihnen. In Tirol dagegen ist deS HutabnehmcnS und deS
Krcuzschlagenö vor solchen meist abschreckend häßlichen Bildern kein Ende.
Ich habe in Tirol wenigstens 36 Meilen gemacht, meist zu Fuß, und bin dabei
mindestens alle zweihundert Schritte, besonders an den Landstraßen, auf ein


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[0269] Zwar, daß er als Vater so viel Einfluß auf seine Söhne behalten werde, um sie nicht in dem hierarchischen Zauberkreise zu verlieren, allein die Ehefrau wies auf die g^genrheiligcn Erfahrungen hin, welche von so vielen Familien gemacht worden waren, und aus ihren Händen, erklärte sie mit Energie, würden die Jesuiten nie eine Tochter oder einen Sohn empfangen. Wie steht es nun mit der Religiosität der La im in O estrei es? Hat diese an Intensität, an Einfluß aus die Sittlichkeit während der letztern Jcihre gleichen Schritt gehalten mit der Anspannung der hierarchischen Mittel? Ich glaube es nicht. Die höheren Classen fühlen und wissen, daß die vereinten Anstrengungen des Thrones und des Altares hauptsächlich den Zweck haben, den ersteren zu befestigen und politische Zwecke zu befördern, daß hierzu die Hierarchie mithelfen soll. Aber die Oestreicher sind jetzt so still, so vorsichtig in ihren Aeußerungen hierüber, daß es mir nie gelungen ist, die Rede in diesen Gegenstand eindringen zu lassen. Ja ich glaube, daß sich, wie in vielen evangelischen Ländern, so auch in Oestreich jetzt ein sehr bedenklicher Proceß vollzieht: je mehr man über religiöse, politische und philosophische Themata schweigt oder schweigen muß, desto mehr wirft sich die Thätigkeit auf eine andere Seile und die Krankheit auf andere Organe; d. h. man kommt immer wehr in den Materialismus deS Essens, deS Trinkens u. s. w. hinein , und dieser ist schon früher die Stärke und die Schwäche des östreichische» Volkes gewesen. Und hiermit pflegt eine gewisse Frivolität des Geistes, der Sittlich¬ keit verbunden zu sein. Ich erinnere an die Zahl der unehelichen Kinder, welche seil 1848 sich nicht vermindert hat, und andererseits an den frivolen Geschmack in Theaterstücken, Gesängen u. s. w., der immer noch der frühere ist. Zwar hat die Polizei mehren Volkssängern ihre Kunst gelegt; allein was ich hiervon z. B. in Wien (aus dem Munde des gefeierten Moser), in Salzburg s. w. hörte, war gespickt mit schlüpfrigen Phrasen und Anspielungen auf geschlechtliche Verhältnisse, und das hörten Hunderte von Frauen und Mäd¬ chen aus allen Ständen mit an, und lachten mit Papa und Mama um die Wette. In katholischen Ländern trifft man bekanntlich auch außerhalb der Kirchen, Klöster u. f. w. auf viele Statuen und Bilder von Christus, der Mutter Gottes und den verschiedenen Heiligen. Aber die Zahl derselben habe ich 'u den einzelnen Provinzen sehe verschieden gefunden. Während in Prag so wie fast in ganz Böhmen diese religiösen Zeichen außerordentlich häufig sind, schwinden sie in Wien und Gratz bedeutend zusammen, und Oberitalien ist keineswegs reich an ihnen. In Tirol dagegen ist deS HutabnehmcnS und deS Krcuzschlagenö vor solchen meist abschreckend häßlichen Bildern kein Ende. Ich habe in Tirol wenigstens 36 Meilen gemacht, meist zu Fuß, und bin dabei mindestens alle zweihundert Schritte, besonders an den Landstraßen, auf ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/269>, abgerufen am 23.07.2024.