Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.in den Vierzigern steht. Daß selten ganz ausgezeichnete Darsteller Italiens Dies ist auch der Grund, warum wir aller Orten auf Unbegreiflichkeiten in den Vierzigern steht. Daß selten ganz ausgezeichnete Darsteller Italiens Dies ist auch der Grund, warum wir aller Orten auf Unbegreiflichkeiten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104988"/> <p xml:id="ID_731" prev="#ID_730"> in den Vierzigern steht. Daß selten ganz ausgezeichnete Darsteller Italiens<lb/> Bühnen zieren, verschuldet zum größten Theil das Publicum. So wenig wie<lb/> es sich verletzt fühlt, wenn während eines Recitativs die erste Bratsche gestimmt<lb/> wird, ebensowenig legt eS Werth darauf, ob ein grade unbeschäftigter Mime<lb/> die ihm gegönnte Pause passend ausfüllt. Die allgemeine, unerhörte Noncha¬<lb/> lance in Orchester und Publicum bleibt auf die Darsteller nicht ohne Rück¬<lb/> wirkung, und das Bestreben, ein vollendetes Kunstwerk zu liefern, welches bei<lb/> uns so häufig die Schwäche der Mittel vergessen macht, ist den Bühnen Ita¬<lb/> liens im Allgemeinen ebenso fremd, wie dem Publicum das Verlangen nach<lb/> einem solchen Kunstwerk.</p><lb/> <p xml:id="ID_732" next="#ID_733"> Dies ist auch der Grund, warum wir aller Orten auf Unbegreiflichkeiten<lb/> stoßen, die den Kunstgenuß nach unsern Begriffen in Gefahr bringen, wäh¬<lb/> rend sie der Italiener kaum gewahrt. Wir treten z. B. in das Theater Valle.<lb/> I.u 8ublime er-ZAectia all VMorio Lilien: 8aut, ist angezeigt. Sign. Pez-<lb/> iano, belehrt uns der Zettel, wird den mißtrauischen König geben, Signora Fu-<lb/> magalli hat die Rolle der Mical übernommen. Wir versprechen uns einen<lb/> ernsten Genuß und sind von dem besten Willen beseelt, alle Vorurtheile gegen<lb/> den Erfinder der „Tramelogödie" schweigen zu lassen. Aber das Unglück will,<lb/> daß wir ein halbes Stündchen vor angesagtem Beginn kommen und so haben<lb/> wir erst die Nachttoilette deS Kunsttcmpels mit zu ertragen. Andere, die mit<lb/> uns zugleich kommen, und bei dem Streiflicht, welches des Portiers Oellampe<lb/> i» den düstern Raum wirst, nach ihren Plätzen tappen, haben kleine Wachs¬<lb/> lichter in Bereitschaft. Wie Irrlichter taucht bald hier, bald dort aus der<lb/> wüsten Finsterniß solch ein Nothmoccolo hervor und wird durch niedergetröp-<lb/> fc>tes- Wachs auf den Balustraden, oder wo sonst Platz ist, festgehalten Die<lb/> in Theatern ohnehin genügend große Feuersgefahr beunruhigt weder den Zu¬<lb/> schauer noch den lichtsparcnden Director. Zuweilen bläst auch eine Zugluft<lb/> diese private Beleuchtung aus. Buona molte! ruft unser Nachbar seinem ver¬<lb/> löschenden Moccolo nach und fügt sich dem Unvermeidlichen. Eine Viertelstunde<lb/> ist verstrichen. Endlich bewegt sich etwas Menschenähnliches in dem Mittcl-<lb/> gange der Platea. Die Gestalt streicht ein Zündholz über die nächste Bank<lb/> und schreit dann nach dem Schnürboden hinauf; es muß der Hutzliputzli der<lb/> Gesellschaft Pezzano sein, denn jetzt macht er sich allen Ernstes daran, den<lb/> Kronleuchter anzuzünden. Wir haben den letztern vergebens auf-seiner Nieder-<lb/> s"hre zu beobachten gesucht. Was wie eine aufgeknüpfte Schildkröte schon bei<lb/> unserm Eintritt ins Theater unten in dem Mittelgange hing, war der Kron¬<lb/> leuchter, und es ist nicht seine Schuld, daß wir uns an ihm nicht die Knie¬<lb/> lcheibe zertrümmerten. Jetzt aber hat man auf dem Schnurboden die Winde<lb/> "> Bewegung gesetzt. Sie könnte etwas weniger kreischen, doch sie genügt.<lb/> Um die erleuchtete Schildkröte emporzuwinden. Kaum ist sie in Bewegung, so</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
in den Vierzigern steht. Daß selten ganz ausgezeichnete Darsteller Italiens
Bühnen zieren, verschuldet zum größten Theil das Publicum. So wenig wie
es sich verletzt fühlt, wenn während eines Recitativs die erste Bratsche gestimmt
wird, ebensowenig legt eS Werth darauf, ob ein grade unbeschäftigter Mime
die ihm gegönnte Pause passend ausfüllt. Die allgemeine, unerhörte Noncha¬
lance in Orchester und Publicum bleibt auf die Darsteller nicht ohne Rück¬
wirkung, und das Bestreben, ein vollendetes Kunstwerk zu liefern, welches bei
uns so häufig die Schwäche der Mittel vergessen macht, ist den Bühnen Ita¬
liens im Allgemeinen ebenso fremd, wie dem Publicum das Verlangen nach
einem solchen Kunstwerk.
Dies ist auch der Grund, warum wir aller Orten auf Unbegreiflichkeiten
stoßen, die den Kunstgenuß nach unsern Begriffen in Gefahr bringen, wäh¬
rend sie der Italiener kaum gewahrt. Wir treten z. B. in das Theater Valle.
I.u 8ublime er-ZAectia all VMorio Lilien: 8aut, ist angezeigt. Sign. Pez-
iano, belehrt uns der Zettel, wird den mißtrauischen König geben, Signora Fu-
magalli hat die Rolle der Mical übernommen. Wir versprechen uns einen
ernsten Genuß und sind von dem besten Willen beseelt, alle Vorurtheile gegen
den Erfinder der „Tramelogödie" schweigen zu lassen. Aber das Unglück will,
daß wir ein halbes Stündchen vor angesagtem Beginn kommen und so haben
wir erst die Nachttoilette deS Kunsttcmpels mit zu ertragen. Andere, die mit
uns zugleich kommen, und bei dem Streiflicht, welches des Portiers Oellampe
i» den düstern Raum wirst, nach ihren Plätzen tappen, haben kleine Wachs¬
lichter in Bereitschaft. Wie Irrlichter taucht bald hier, bald dort aus der
wüsten Finsterniß solch ein Nothmoccolo hervor und wird durch niedergetröp-
fc>tes- Wachs auf den Balustraden, oder wo sonst Platz ist, festgehalten Die
in Theatern ohnehin genügend große Feuersgefahr beunruhigt weder den Zu¬
schauer noch den lichtsparcnden Director. Zuweilen bläst auch eine Zugluft
diese private Beleuchtung aus. Buona molte! ruft unser Nachbar seinem ver¬
löschenden Moccolo nach und fügt sich dem Unvermeidlichen. Eine Viertelstunde
ist verstrichen. Endlich bewegt sich etwas Menschenähnliches in dem Mittcl-
gange der Platea. Die Gestalt streicht ein Zündholz über die nächste Bank
und schreit dann nach dem Schnürboden hinauf; es muß der Hutzliputzli der
Gesellschaft Pezzano sein, denn jetzt macht er sich allen Ernstes daran, den
Kronleuchter anzuzünden. Wir haben den letztern vergebens auf-seiner Nieder-
s"hre zu beobachten gesucht. Was wie eine aufgeknüpfte Schildkröte schon bei
unserm Eintritt ins Theater unten in dem Mittelgange hing, war der Kron¬
leuchter, und es ist nicht seine Schuld, daß wir uns an ihm nicht die Knie¬
lcheibe zertrümmerten. Jetzt aber hat man auf dem Schnurboden die Winde
"> Bewegung gesetzt. Sie könnte etwas weniger kreischen, doch sie genügt.
Um die erleuchtete Schildkröte emporzuwinden. Kaum ist sie in Bewegung, so
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