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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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dirigiren muß, fast benommen. In der That ist der Mailänder Maestro sehr
ins Volk gedrungen. Daß er den Weltschmerz der Italiener ausspricht und
richtig trifft, wie etwa Chopin den der Polen, ist ohne Zweifel das Geheimniß
seiner Macht. Man darf, bei aller Abwehr seiner Berechtigung außerhalb
Italiens, im Lande selbst ihm in diesem Sinne nicht das Verdienst aberken¬
nen, daß er einem Bedürfnisse genügt. Es ist hierbei von Interesse, daß er
sich mit Vorliebe schillerscher Trauerspiele bemächtigt. Kaum hat man sich
über die vergiftete Limonade beruhigt, welche Ferdinand der Louise Miller
reicht, so kommen die Mcsnardi (Räuber) aus den böhmischen Wäldern, und
der rothhaarige Franz Moor jagt den Damen des ersten Ranges das Blut
aus den Wangen. Die Uebersetzungen der Schillerschen Stücke, wie sie Ferrari",
Vergani, Leone, Mad. Edviga de Scolari und besonders Massel lieferten, sind
mit großer Freiheit benutzt und der Schluß dem italienischen Pathos angepaßt.
Rossini kommt noch hin und wieder zur Aufführung, so namentlich sein Bar¬
biere und die niedliche Oper Aschenbrödel, wo sichs, abermals nach italie¬
nischem Geschmack, nicht um einen Pantoffel, sondern um ein Armband han¬
delt. Donizetti ist ziemlich verklungen. Bellini nachtwandelt noch hin und
wieder mit der Sonnambula über die einst von ihm beherrschten Bretter. Neben
diesen Verschollenen taucht Sangiorgi mit seiner Oper Edmondo near auf,
und Antonio Cagnani sucht mit der komischen Oper Don Buafalo die Lacher
auf seine Seite zu ziehen. Da Rossini noch immer in der Opera buffa aus¬
helfen muß, so fände ein musikalischer Humorist den dankbarsten Boden. ES
scheint indessen wie aller Orten, so auch in Italien Mangel daran zu sein-
Der Einfluß deutscher Musik ist jenseits der Alpen seit langem fast null. Mo¬
zart würde kaum noch gesungen, geschweige denn verstanden werde"
können. Selbst Meyerbeer ist ihnen zu wenig heroisch. ES wäre interessant,
wenn Rossini, der seil Jahren den durch ihn vorbereiteten Verfall der italieni¬
schen Musik schweigend beobachtet, einmal mit seinem Urtheil ausführlicher hervor¬
träte und in einige Richtungen minder bekannter Art die Streiflichter seines Witzes
würfe. Er sagt bei weitem noch nicht alles, wenn er der pariser Revue niU'
finale schreibt: "Von Mozart auf mich war der Verfall schon groß, von
aber auf Nervi ist er unermeßlich!" Vielleicht spielt er mit seinem Mops >>"
Arm und seiner Schwermuth über die zu hoch erstandene Villa bei Florenz nur
den Brutus; ist er dem Viehhandel doch bereits abtrünnig geworden; die Ze^
wird lehren, was er noch im Schilde führt.

Mit dem Trauerspiel war eS in Italien nie sonderlich bestellt. Alsierls
Saul gehl noch zuweilen über die Bühne, nicht minder Francesca da Rien"u
von Silvio Pelileo, hin und wieder auch ein Stück des Florentiners Niccolu",
pes Pisaners Rosini. Aber außer der Pia Tolomea, die stark an HebvelS
Genoveva mahnt, ist kaum etwas Neues erschienen. Die Ristori spielte "ich


dirigiren muß, fast benommen. In der That ist der Mailänder Maestro sehr
ins Volk gedrungen. Daß er den Weltschmerz der Italiener ausspricht und
richtig trifft, wie etwa Chopin den der Polen, ist ohne Zweifel das Geheimniß
seiner Macht. Man darf, bei aller Abwehr seiner Berechtigung außerhalb
Italiens, im Lande selbst ihm in diesem Sinne nicht das Verdienst aberken¬
nen, daß er einem Bedürfnisse genügt. Es ist hierbei von Interesse, daß er
sich mit Vorliebe schillerscher Trauerspiele bemächtigt. Kaum hat man sich
über die vergiftete Limonade beruhigt, welche Ferdinand der Louise Miller
reicht, so kommen die Mcsnardi (Räuber) aus den böhmischen Wäldern, und
der rothhaarige Franz Moor jagt den Damen des ersten Ranges das Blut
aus den Wangen. Die Uebersetzungen der Schillerschen Stücke, wie sie Ferrari»,
Vergani, Leone, Mad. Edviga de Scolari und besonders Massel lieferten, sind
mit großer Freiheit benutzt und der Schluß dem italienischen Pathos angepaßt.
Rossini kommt noch hin und wieder zur Aufführung, so namentlich sein Bar¬
biere und die niedliche Oper Aschenbrödel, wo sichs, abermals nach italie¬
nischem Geschmack, nicht um einen Pantoffel, sondern um ein Armband han¬
delt. Donizetti ist ziemlich verklungen. Bellini nachtwandelt noch hin und
wieder mit der Sonnambula über die einst von ihm beherrschten Bretter. Neben
diesen Verschollenen taucht Sangiorgi mit seiner Oper Edmondo near auf,
und Antonio Cagnani sucht mit der komischen Oper Don Buafalo die Lacher
auf seine Seite zu ziehen. Da Rossini noch immer in der Opera buffa aus¬
helfen muß, so fände ein musikalischer Humorist den dankbarsten Boden. ES
scheint indessen wie aller Orten, so auch in Italien Mangel daran zu sein-
Der Einfluß deutscher Musik ist jenseits der Alpen seit langem fast null. Mo¬
zart würde kaum noch gesungen, geschweige denn verstanden werde»
können. Selbst Meyerbeer ist ihnen zu wenig heroisch. ES wäre interessant,
wenn Rossini, der seil Jahren den durch ihn vorbereiteten Verfall der italieni¬
schen Musik schweigend beobachtet, einmal mit seinem Urtheil ausführlicher hervor¬
träte und in einige Richtungen minder bekannter Art die Streiflichter seines Witzes
würfe. Er sagt bei weitem noch nicht alles, wenn er der pariser Revue niU'
finale schreibt: „Von Mozart auf mich war der Verfall schon groß, von
aber auf Nervi ist er unermeßlich!" Vielleicht spielt er mit seinem Mops >>"
Arm und seiner Schwermuth über die zu hoch erstandene Villa bei Florenz nur
den Brutus; ist er dem Viehhandel doch bereits abtrünnig geworden; die Ze^
wird lehren, was er noch im Schilde führt.

Mit dem Trauerspiel war eS in Italien nie sonderlich bestellt. Alsierls
Saul gehl noch zuweilen über die Bühne, nicht minder Francesca da Rien»u
von Silvio Pelileo, hin und wieder auch ein Stück des Florentiners Niccolu»,
pes Pisaners Rosini. Aber außer der Pia Tolomea, die stark an HebvelS
Genoveva mahnt, ist kaum etwas Neues erschienen. Die Ristori spielte »ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/250>, abgerufen am 23.07.2024.