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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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genöthigt, auf ihre Spekulationen einzugehen und sie durch anderweitige Spe¬
kulationen zu widerlegen. Dabei begegnete eS ihnen zuweilen wider Wissen
und Willen, daß sie in dem heftigsten Eifer gegen den Antichrist sich der Waffen
bedienten, die dieser ihnen geliefert, und daß sie Gefahr liefen, die Teufel aus¬
zutreiben durch Beelzebub, der Teufel Obersten. Rosenkranz, der eifrige
Schüler Hegels, der schon, als er in Halle debütirte, entschieden der liberalen
Richtung angehörte, sraternisirte mit Leo, dem geistvollen Kapuziner: er war
sein Bruder in Hegel, d. h. er wußte sich der hegelianischen Floskeln und der
Ars magna dieses neuen scholastischen Systems zum Behuf seiner gottseliger
Absichten mit demselben Geschick oder Ungeschick zu bedienen, als einer der
Eingeweihten und Restgnirten, denen die Identität des Seins und Nichtseins
im Werden wichtiger war als die Frage, ob Jesus ChnstuS der Gekreuzigte
auch wirklich der eingeborene Sohn Gottes sei.

Während nun in Berlin, jener großen und leichtsinnigen Stadt, der auch
die gewaltigsten Kräfte auf die Länge nicht imponiren, eine gewisse Neutralisa¬
tion der Gegensätze eintrat, fand in Halle eine ganz merkwürdige Ablagerung
der verschiedenen Schichten statt, aus denen die hegelsche Schule zusammen¬
gesetzt war. Leo und Tholuck (der letztere ist, wie wir hören, durch die
reißenden Fortschritte des höhern Christenthums jetzt beseitigt und wird von
den Teufelsbannern aus der Schule Vilmars für einen ebenso argen Ketzer
gehalten als Strauß und Bruno Bauer) vertraten die äußerste Rechte, Erd¬
mann schloß sich ihnen an, Schalter stand im Centrum und Arnold Rüge
mit seinen Jahrbüchern schlug rüstig das Feldlager der äußersten Linken auf.
Bei der fortwährenden Berührung, die eine verhältnißmäßig kleine Stadt her¬
beiführt, fand eine beständige elektrische Friction statt. ES war ein lebhafter
ununterbrochener Krieg, der auch die Persönlichkeiten nicht ganz vermied, dabei
aber zugleich eine gewisse Einheit, und man wurde an die amerikanischen Frei¬
maurer erinnert, welche die wildesten Gegensätze in sich vereinigen, aber trotz
deS blutigen Hasses, den sie gegen einander hegen, doch, wenn es eine ge¬
meinschaftliche Sache der Maurerei gilt, Front gegen die Uneingeweihten
machen.

Die Jahrbücher waren zwar meist außerhalb Halle geschrieben, aber Halle
war doch der Focus, in welchem die Slandpunkie regulirt, der Feldzugsplan
entworfen, der neue Fortschritt angebahnt wurde, bis endlich Rüge den preu¬
ßischen Staat verließ. In diesem lebhast erregten Kreise der leidenschaftlichsten
Contraste wuchs Duncker als junger Docent aus, und ursprünglich gleich all
seinen College" von der hegelschen Philosophie ausgegangen, erkannte er mehr
und mehr die Schwächen in dem theoretischen Fundament derselben und die
Bedenken, die mit der Anwendung auf daS praktische Leben verbunden waren-
Er bildete in sich jene Ueberzeugung aus, die jetzt allmälig die Ueberzeugung


genöthigt, auf ihre Spekulationen einzugehen und sie durch anderweitige Spe¬
kulationen zu widerlegen. Dabei begegnete eS ihnen zuweilen wider Wissen
und Willen, daß sie in dem heftigsten Eifer gegen den Antichrist sich der Waffen
bedienten, die dieser ihnen geliefert, und daß sie Gefahr liefen, die Teufel aus¬
zutreiben durch Beelzebub, der Teufel Obersten. Rosenkranz, der eifrige
Schüler Hegels, der schon, als er in Halle debütirte, entschieden der liberalen
Richtung angehörte, sraternisirte mit Leo, dem geistvollen Kapuziner: er war
sein Bruder in Hegel, d. h. er wußte sich der hegelianischen Floskeln und der
Ars magna dieses neuen scholastischen Systems zum Behuf seiner gottseliger
Absichten mit demselben Geschick oder Ungeschick zu bedienen, als einer der
Eingeweihten und Restgnirten, denen die Identität des Seins und Nichtseins
im Werden wichtiger war als die Frage, ob Jesus ChnstuS der Gekreuzigte
auch wirklich der eingeborene Sohn Gottes sei.

Während nun in Berlin, jener großen und leichtsinnigen Stadt, der auch
die gewaltigsten Kräfte auf die Länge nicht imponiren, eine gewisse Neutralisa¬
tion der Gegensätze eintrat, fand in Halle eine ganz merkwürdige Ablagerung
der verschiedenen Schichten statt, aus denen die hegelsche Schule zusammen¬
gesetzt war. Leo und Tholuck (der letztere ist, wie wir hören, durch die
reißenden Fortschritte des höhern Christenthums jetzt beseitigt und wird von
den Teufelsbannern aus der Schule Vilmars für einen ebenso argen Ketzer
gehalten als Strauß und Bruno Bauer) vertraten die äußerste Rechte, Erd¬
mann schloß sich ihnen an, Schalter stand im Centrum und Arnold Rüge
mit seinen Jahrbüchern schlug rüstig das Feldlager der äußersten Linken auf.
Bei der fortwährenden Berührung, die eine verhältnißmäßig kleine Stadt her¬
beiführt, fand eine beständige elektrische Friction statt. ES war ein lebhafter
ununterbrochener Krieg, der auch die Persönlichkeiten nicht ganz vermied, dabei
aber zugleich eine gewisse Einheit, und man wurde an die amerikanischen Frei¬
maurer erinnert, welche die wildesten Gegensätze in sich vereinigen, aber trotz
deS blutigen Hasses, den sie gegen einander hegen, doch, wenn es eine ge¬
meinschaftliche Sache der Maurerei gilt, Front gegen die Uneingeweihten
machen.

Die Jahrbücher waren zwar meist außerhalb Halle geschrieben, aber Halle
war doch der Focus, in welchem die Slandpunkie regulirt, der Feldzugsplan
entworfen, der neue Fortschritt angebahnt wurde, bis endlich Rüge den preu¬
ßischen Staat verließ. In diesem lebhast erregten Kreise der leidenschaftlichsten
Contraste wuchs Duncker als junger Docent aus, und ursprünglich gleich all
seinen College« von der hegelschen Philosophie ausgegangen, erkannte er mehr
und mehr die Schwächen in dem theoretischen Fundament derselben und die
Bedenken, die mit der Anwendung auf daS praktische Leben verbunden waren-
Er bildete in sich jene Ueberzeugung aus, die jetzt allmälig die Ueberzeugung


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[0242] genöthigt, auf ihre Spekulationen einzugehen und sie durch anderweitige Spe¬ kulationen zu widerlegen. Dabei begegnete eS ihnen zuweilen wider Wissen und Willen, daß sie in dem heftigsten Eifer gegen den Antichrist sich der Waffen bedienten, die dieser ihnen geliefert, und daß sie Gefahr liefen, die Teufel aus¬ zutreiben durch Beelzebub, der Teufel Obersten. Rosenkranz, der eifrige Schüler Hegels, der schon, als er in Halle debütirte, entschieden der liberalen Richtung angehörte, sraternisirte mit Leo, dem geistvollen Kapuziner: er war sein Bruder in Hegel, d. h. er wußte sich der hegelianischen Floskeln und der Ars magna dieses neuen scholastischen Systems zum Behuf seiner gottseliger Absichten mit demselben Geschick oder Ungeschick zu bedienen, als einer der Eingeweihten und Restgnirten, denen die Identität des Seins und Nichtseins im Werden wichtiger war als die Frage, ob Jesus ChnstuS der Gekreuzigte auch wirklich der eingeborene Sohn Gottes sei. Während nun in Berlin, jener großen und leichtsinnigen Stadt, der auch die gewaltigsten Kräfte auf die Länge nicht imponiren, eine gewisse Neutralisa¬ tion der Gegensätze eintrat, fand in Halle eine ganz merkwürdige Ablagerung der verschiedenen Schichten statt, aus denen die hegelsche Schule zusammen¬ gesetzt war. Leo und Tholuck (der letztere ist, wie wir hören, durch die reißenden Fortschritte des höhern Christenthums jetzt beseitigt und wird von den Teufelsbannern aus der Schule Vilmars für einen ebenso argen Ketzer gehalten als Strauß und Bruno Bauer) vertraten die äußerste Rechte, Erd¬ mann schloß sich ihnen an, Schalter stand im Centrum und Arnold Rüge mit seinen Jahrbüchern schlug rüstig das Feldlager der äußersten Linken auf. Bei der fortwährenden Berührung, die eine verhältnißmäßig kleine Stadt her¬ beiführt, fand eine beständige elektrische Friction statt. ES war ein lebhafter ununterbrochener Krieg, der auch die Persönlichkeiten nicht ganz vermied, dabei aber zugleich eine gewisse Einheit, und man wurde an die amerikanischen Frei¬ maurer erinnert, welche die wildesten Gegensätze in sich vereinigen, aber trotz deS blutigen Hasses, den sie gegen einander hegen, doch, wenn es eine ge¬ meinschaftliche Sache der Maurerei gilt, Front gegen die Uneingeweihten machen. Die Jahrbücher waren zwar meist außerhalb Halle geschrieben, aber Halle war doch der Focus, in welchem die Slandpunkie regulirt, der Feldzugsplan entworfen, der neue Fortschritt angebahnt wurde, bis endlich Rüge den preu¬ ßischen Staat verließ. In diesem lebhast erregten Kreise der leidenschaftlichsten Contraste wuchs Duncker als junger Docent aus, und ursprünglich gleich all seinen College« von der hegelschen Philosophie ausgegangen, erkannte er mehr und mehr die Schwächen in dem theoretischen Fundament derselben und die Bedenken, die mit der Anwendung auf daS praktische Leben verbunden waren- Er bildete in sich jene Ueberzeugung aus, die jetzt allmälig die Ueberzeugung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/242>, abgerufen am 23.07.2024.