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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Quartieren verlangt man ihr Urtheil über einen Arzt, dessen man sich bedienen
will. Natürlich geben sie ihren Freunden den Vorzug, d. h. denen, welche
sich durch die Länge und Kostspieligkeit ihrer Recepte vor andern auszeichnen.

Aber nicht blos die Apotheker practiciren, auch andere Leute aus dem
Volke haben sich durch Behandlung gewisser Krankheiten einen bedeutenden Ruf
erworben, und je nach den einzelnen Methoden und dem Gegenstande ihrer
Kunst führen sie verschiedene Namen. Der Kirikdji beschäftigt sich vorzüglich
mit der Heilung von Knochenbrüchen und Verrenkungen. Man hört oft be¬
haupten, daß ihnen an Geschicklichkeit selten ein europäischer Wundarzt an die
Seite gestellt werden könne. Es ist dies sehr leicht erklärlich, denn wegen des
bedeutenden Zulaufes und langjähriger Erfahrung erlangen sie gewiß eine be¬
deutende Kunstfertigkeit und Sicherheit. Der Kassekdji behandelt Unterleibs¬
krankheiten; der Kalmudji endlich heilt die sogenannten Gerstenkörner, indem
er sie mit einem Gerstenkorne comprimirt, und auf ähnliche Weise.

Um die Liste der Quacksalber vollzählig zu machen, müssen wir noch der
Barbiere gedenken. Ihr eigentliches Geschäft ist, zur Ader zu lassen, zu
schröpfen, Pflaster aller Arten aufzulegen und ähnliche Verrichtungen. Nach
einigen Jahren geben sie ihr bescheidenes Handwerk auf, nehmen eine wichtige
Miene an und etabliren sich als Aerzte oder Chirurgen. Die Umwandlung
geschieht oft an dem Schauplatze ihrer frühern Wirksamkeit, häufiger aber wäh¬
len sie eine andere Localität. Auf ihrem neuen Gebiete haben sie völlige
Freiheit zu schalten und zu walten, und es fehlt ihnen sogar nicht an öffentlichen
Anstellungen. Wir müssen noch hinzufügen, daß, so lange sie Barbiere waren,
die Zähne und Füße in ihrem Bereiche lagen. Man hat zwar sehr geschickte
Zahn- und Fußärzte von auswärts, aber sie sind zu theuer, und man zieht
deshalb den billigeren Barbier vor.

Noch andere höchst merkwürdige Erscheinungen müssen wir hier erwähnen.
Den Bulundju, (so bezeichnet man im Allgemeinen alle Neuralgien, rheumati¬
sche Schmerzen ceo.) behandeln gewisse Tischler mit der Acnpunctur, was
nicht selten von großen Wirkungen begleitet ist. Der Jelendjik (Gesichts¬
rose) wird von den Scherisen, den Nachkommen Mohammeds, behandelt. Nach
einer weitverbreiteten Ansicht sind diese mit einer besonderen Kraft begabt,
welche sich am wirksamsten in ihrem Hause offenbaren soll, und bei keiner
Krankheit ohne heilsame Wirkung bleibt. Offenbar beruht dies auf dem Mes-
werismus; denn nur durch ihren Blick und ihr Anhauchen behaupten die
Scherife eine Heilung herbeiführen zu können. Man bedient sich ihrer Hilfe
auch bei sehr starkem Kopfweh, bei Gesichtsschmerzen, und nirgend soll sie
unwirksam bleiben. Gegen die Gelbsucht gebraucht das Volk sehr häufig sym¬
pathetische Mittel. Gewöhnlich werden einige Nadeln in ein Gefäß mit Wasser
geworfen und der Kranke muß beständig in dasselbe hineinsehen. Sobald die


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Quartieren verlangt man ihr Urtheil über einen Arzt, dessen man sich bedienen
will. Natürlich geben sie ihren Freunden den Vorzug, d. h. denen, welche
sich durch die Länge und Kostspieligkeit ihrer Recepte vor andern auszeichnen.

Aber nicht blos die Apotheker practiciren, auch andere Leute aus dem
Volke haben sich durch Behandlung gewisser Krankheiten einen bedeutenden Ruf
erworben, und je nach den einzelnen Methoden und dem Gegenstande ihrer
Kunst führen sie verschiedene Namen. Der Kirikdji beschäftigt sich vorzüglich
mit der Heilung von Knochenbrüchen und Verrenkungen. Man hört oft be¬
haupten, daß ihnen an Geschicklichkeit selten ein europäischer Wundarzt an die
Seite gestellt werden könne. Es ist dies sehr leicht erklärlich, denn wegen des
bedeutenden Zulaufes und langjähriger Erfahrung erlangen sie gewiß eine be¬
deutende Kunstfertigkeit und Sicherheit. Der Kassekdji behandelt Unterleibs¬
krankheiten; der Kalmudji endlich heilt die sogenannten Gerstenkörner, indem
er sie mit einem Gerstenkorne comprimirt, und auf ähnliche Weise.

Um die Liste der Quacksalber vollzählig zu machen, müssen wir noch der
Barbiere gedenken. Ihr eigentliches Geschäft ist, zur Ader zu lassen, zu
schröpfen, Pflaster aller Arten aufzulegen und ähnliche Verrichtungen. Nach
einigen Jahren geben sie ihr bescheidenes Handwerk auf, nehmen eine wichtige
Miene an und etabliren sich als Aerzte oder Chirurgen. Die Umwandlung
geschieht oft an dem Schauplatze ihrer frühern Wirksamkeit, häufiger aber wäh¬
len sie eine andere Localität. Auf ihrem neuen Gebiete haben sie völlige
Freiheit zu schalten und zu walten, und es fehlt ihnen sogar nicht an öffentlichen
Anstellungen. Wir müssen noch hinzufügen, daß, so lange sie Barbiere waren,
die Zähne und Füße in ihrem Bereiche lagen. Man hat zwar sehr geschickte
Zahn- und Fußärzte von auswärts, aber sie sind zu theuer, und man zieht
deshalb den billigeren Barbier vor.

Noch andere höchst merkwürdige Erscheinungen müssen wir hier erwähnen.
Den Bulundju, (so bezeichnet man im Allgemeinen alle Neuralgien, rheumati¬
sche Schmerzen ceo.) behandeln gewisse Tischler mit der Acnpunctur, was
nicht selten von großen Wirkungen begleitet ist. Der Jelendjik (Gesichts¬
rose) wird von den Scherisen, den Nachkommen Mohammeds, behandelt. Nach
einer weitverbreiteten Ansicht sind diese mit einer besonderen Kraft begabt,
welche sich am wirksamsten in ihrem Hause offenbaren soll, und bei keiner
Krankheit ohne heilsame Wirkung bleibt. Offenbar beruht dies auf dem Mes-
werismus; denn nur durch ihren Blick und ihr Anhauchen behaupten die
Scherife eine Heilung herbeiführen zu können. Man bedient sich ihrer Hilfe
auch bei sehr starkem Kopfweh, bei Gesichtsschmerzen, und nirgend soll sie
unwirksam bleiben. Gegen die Gelbsucht gebraucht das Volk sehr häufig sym¬
pathetische Mittel. Gewöhnlich werden einige Nadeln in ein Gefäß mit Wasser
geworfen und der Kranke muß beständig in dasselbe hineinsehen. Sobald die


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[0235] Quartieren verlangt man ihr Urtheil über einen Arzt, dessen man sich bedienen will. Natürlich geben sie ihren Freunden den Vorzug, d. h. denen, welche sich durch die Länge und Kostspieligkeit ihrer Recepte vor andern auszeichnen. Aber nicht blos die Apotheker practiciren, auch andere Leute aus dem Volke haben sich durch Behandlung gewisser Krankheiten einen bedeutenden Ruf erworben, und je nach den einzelnen Methoden und dem Gegenstande ihrer Kunst führen sie verschiedene Namen. Der Kirikdji beschäftigt sich vorzüglich mit der Heilung von Knochenbrüchen und Verrenkungen. Man hört oft be¬ haupten, daß ihnen an Geschicklichkeit selten ein europäischer Wundarzt an die Seite gestellt werden könne. Es ist dies sehr leicht erklärlich, denn wegen des bedeutenden Zulaufes und langjähriger Erfahrung erlangen sie gewiß eine be¬ deutende Kunstfertigkeit und Sicherheit. Der Kassekdji behandelt Unterleibs¬ krankheiten; der Kalmudji endlich heilt die sogenannten Gerstenkörner, indem er sie mit einem Gerstenkorne comprimirt, und auf ähnliche Weise. Um die Liste der Quacksalber vollzählig zu machen, müssen wir noch der Barbiere gedenken. Ihr eigentliches Geschäft ist, zur Ader zu lassen, zu schröpfen, Pflaster aller Arten aufzulegen und ähnliche Verrichtungen. Nach einigen Jahren geben sie ihr bescheidenes Handwerk auf, nehmen eine wichtige Miene an und etabliren sich als Aerzte oder Chirurgen. Die Umwandlung geschieht oft an dem Schauplatze ihrer frühern Wirksamkeit, häufiger aber wäh¬ len sie eine andere Localität. Auf ihrem neuen Gebiete haben sie völlige Freiheit zu schalten und zu walten, und es fehlt ihnen sogar nicht an öffentlichen Anstellungen. Wir müssen noch hinzufügen, daß, so lange sie Barbiere waren, die Zähne und Füße in ihrem Bereiche lagen. Man hat zwar sehr geschickte Zahn- und Fußärzte von auswärts, aber sie sind zu theuer, und man zieht deshalb den billigeren Barbier vor. Noch andere höchst merkwürdige Erscheinungen müssen wir hier erwähnen. Den Bulundju, (so bezeichnet man im Allgemeinen alle Neuralgien, rheumati¬ sche Schmerzen ceo.) behandeln gewisse Tischler mit der Acnpunctur, was nicht selten von großen Wirkungen begleitet ist. Der Jelendjik (Gesichts¬ rose) wird von den Scherisen, den Nachkommen Mohammeds, behandelt. Nach einer weitverbreiteten Ansicht sind diese mit einer besonderen Kraft begabt, welche sich am wirksamsten in ihrem Hause offenbaren soll, und bei keiner Krankheit ohne heilsame Wirkung bleibt. Offenbar beruht dies auf dem Mes- werismus; denn nur durch ihren Blick und ihr Anhauchen behaupten die Scherife eine Heilung herbeiführen zu können. Man bedient sich ihrer Hilfe auch bei sehr starkem Kopfweh, bei Gesichtsschmerzen, und nirgend soll sie unwirksam bleiben. Gegen die Gelbsucht gebraucht das Volk sehr häufig sym¬ pathetische Mittel. Gewöhnlich werden einige Nadeln in ein Gefäß mit Wasser geworfen und der Kranke muß beständig in dasselbe hineinsehen. Sobald die 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/235>, abgerufen am 23.07.2024.