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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Hunan, die tapfersten und feurigsten Anhänger des himmlischen Fürsten. Dazu
darf man noch reichlich hunderttausend, vielleicht doppelt so viele Chinesen
zählen, die in den drei zuletzt eroberten Städten mit ihren Frauen und Kin¬
dern zurückblieben und jetzt bei den Taipings als Lastträger, Schanzgräber
und Handwerker arbeiteten, nachdem aber die Befestigungsarbeiten vollendet
waren, ebenfalls als Soldaten des himmlischen Fürsten eingereiht und zur
Eroberung der übrigen Provinzen im Norden ausgeschickt wurden, während
ihre Familien in Nanking als Geißeln zurückbleiben mußten.

Von jetzt an nämlich hörten die Taipings auf, sich in einer geschlossenen
Masse von Ort zu Ort zu bewegen. Von ihrer Stellung im Herzen des Landes
am größten Flusse desselben, sehen wir sie nun mit getrennten Armeen strahlen-
oder fächerförmig nach Norden und Osten hin operiren, und auch hier erfoch¬
ten sie große, wenngleich bisher noch nicht entscheidende Erfolge.

Mitte Mai landete eine Armee der Taipings am Nordufer des N"Ngt-
sckiang und schlug rasch nacheinander zwei aus der Mandschurei herbeigeholte
Tatarencorps, auf welche der Kaiser großes Vertrauen gesetzt hatte. Dies
geschah in Ganhoei, der östlichen Nachbarprovinz von Kiangsu, dessen Haupt¬
stadt Nanking ist. Im Juni rückten sie bereits in der Provinz Honan ein,
wo die Kaiserlichen ihnen zum ersten Male einen erfolgreichen Widerstand ent¬
gegensetzten. Die Belagerung der Städte Kaifung lind Hoai King war trotz aller
Anstrengungen der Insurgenten vergeblich, und ihr beabsichtigtes Vordringen aus
dem Flusse Wei mußte infolge dessen unterbleiben. Sie ließen sich indeß durch
dieses Hinderniß nicht abschrecken, ihren Zug, dessen Ziel Peking war, fort¬
zusetzen. Westwärts vorrückend brachen sie in die Provinz scheinst ein, er¬
oberten alle Städte, durch die sie ihr Marsch führte, darunter auch die De¬
partementsstadt Pingyang, zogen durch den Bergpaß Linming zwischen den
Provinzen Honan und Tschilih und schlugen in der letztern wieder ein Mand-
schucorps, das sich ihnen entgegenstellte. Dieses Treffen fand am 29. Sep¬
tember statt.

Nun zogen sie immer in nördlicher Richtung weiter, bis sie Ende October
die am großen Kanal gelegene Districtöstadt Tsinghai erreichten, die nur noch
22 deutsche Meilen von Peking entfernt ist. Hier aber mußten sie Halt machen.
Eins ihrer vorgeschobenen Detacbements wurde am 30. October bei Tim sser
von den Kaiserlichen zurückgeschlagen, und in den nächsten Tagen sahen sie
sich von den Negierungstruppen, welche ihnen theils im Rücken gefolgt waren,
theils aus der Mandschugarnison von Peking und 4Si)0 Mongolen von jen¬
seits der großen Mauer bestanden, eng eingeschlossen.

Der Marsch dieser Taipingarmee von Nanking bis Tsinghai gehört zu
der merkwürdigsten der Geschichte. Ihr Führer war nur ein untergeordneter
General, keiner der Fürsten. Die Strecke, welche sie zurücklegte, betrug nicht


Hunan, die tapfersten und feurigsten Anhänger des himmlischen Fürsten. Dazu
darf man noch reichlich hunderttausend, vielleicht doppelt so viele Chinesen
zählen, die in den drei zuletzt eroberten Städten mit ihren Frauen und Kin¬
dern zurückblieben und jetzt bei den Taipings als Lastträger, Schanzgräber
und Handwerker arbeiteten, nachdem aber die Befestigungsarbeiten vollendet
waren, ebenfalls als Soldaten des himmlischen Fürsten eingereiht und zur
Eroberung der übrigen Provinzen im Norden ausgeschickt wurden, während
ihre Familien in Nanking als Geißeln zurückbleiben mußten.

Von jetzt an nämlich hörten die Taipings auf, sich in einer geschlossenen
Masse von Ort zu Ort zu bewegen. Von ihrer Stellung im Herzen des Landes
am größten Flusse desselben, sehen wir sie nun mit getrennten Armeen strahlen-
oder fächerförmig nach Norden und Osten hin operiren, und auch hier erfoch¬
ten sie große, wenngleich bisher noch nicht entscheidende Erfolge.

Mitte Mai landete eine Armee der Taipings am Nordufer des N"Ngt-
sckiang und schlug rasch nacheinander zwei aus der Mandschurei herbeigeholte
Tatarencorps, auf welche der Kaiser großes Vertrauen gesetzt hatte. Dies
geschah in Ganhoei, der östlichen Nachbarprovinz von Kiangsu, dessen Haupt¬
stadt Nanking ist. Im Juni rückten sie bereits in der Provinz Honan ein,
wo die Kaiserlichen ihnen zum ersten Male einen erfolgreichen Widerstand ent¬
gegensetzten. Die Belagerung der Städte Kaifung lind Hoai King war trotz aller
Anstrengungen der Insurgenten vergeblich, und ihr beabsichtigtes Vordringen aus
dem Flusse Wei mußte infolge dessen unterbleiben. Sie ließen sich indeß durch
dieses Hinderniß nicht abschrecken, ihren Zug, dessen Ziel Peking war, fort¬
zusetzen. Westwärts vorrückend brachen sie in die Provinz scheinst ein, er¬
oberten alle Städte, durch die sie ihr Marsch führte, darunter auch die De¬
partementsstadt Pingyang, zogen durch den Bergpaß Linming zwischen den
Provinzen Honan und Tschilih und schlugen in der letztern wieder ein Mand-
schucorps, das sich ihnen entgegenstellte. Dieses Treffen fand am 29. Sep¬
tember statt.

Nun zogen sie immer in nördlicher Richtung weiter, bis sie Ende October
die am großen Kanal gelegene Districtöstadt Tsinghai erreichten, die nur noch
22 deutsche Meilen von Peking entfernt ist. Hier aber mußten sie Halt machen.
Eins ihrer vorgeschobenen Detacbements wurde am 30. October bei Tim sser
von den Kaiserlichen zurückgeschlagen, und in den nächsten Tagen sahen sie
sich von den Negierungstruppen, welche ihnen theils im Rücken gefolgt waren,
theils aus der Mandschugarnison von Peking und 4Si)0 Mongolen von jen¬
seits der großen Mauer bestanden, eng eingeschlossen.

Der Marsch dieser Taipingarmee von Nanking bis Tsinghai gehört zu
der merkwürdigsten der Geschichte. Ihr Führer war nur ein untergeordneter
General, keiner der Fürsten. Die Strecke, welche sie zurücklegte, betrug nicht


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[0230] Hunan, die tapfersten und feurigsten Anhänger des himmlischen Fürsten. Dazu darf man noch reichlich hunderttausend, vielleicht doppelt so viele Chinesen zählen, die in den drei zuletzt eroberten Städten mit ihren Frauen und Kin¬ dern zurückblieben und jetzt bei den Taipings als Lastträger, Schanzgräber und Handwerker arbeiteten, nachdem aber die Befestigungsarbeiten vollendet waren, ebenfalls als Soldaten des himmlischen Fürsten eingereiht und zur Eroberung der übrigen Provinzen im Norden ausgeschickt wurden, während ihre Familien in Nanking als Geißeln zurückbleiben mußten. Von jetzt an nämlich hörten die Taipings auf, sich in einer geschlossenen Masse von Ort zu Ort zu bewegen. Von ihrer Stellung im Herzen des Landes am größten Flusse desselben, sehen wir sie nun mit getrennten Armeen strahlen- oder fächerförmig nach Norden und Osten hin operiren, und auch hier erfoch¬ ten sie große, wenngleich bisher noch nicht entscheidende Erfolge. Mitte Mai landete eine Armee der Taipings am Nordufer des N"Ngt- sckiang und schlug rasch nacheinander zwei aus der Mandschurei herbeigeholte Tatarencorps, auf welche der Kaiser großes Vertrauen gesetzt hatte. Dies geschah in Ganhoei, der östlichen Nachbarprovinz von Kiangsu, dessen Haupt¬ stadt Nanking ist. Im Juni rückten sie bereits in der Provinz Honan ein, wo die Kaiserlichen ihnen zum ersten Male einen erfolgreichen Widerstand ent¬ gegensetzten. Die Belagerung der Städte Kaifung lind Hoai King war trotz aller Anstrengungen der Insurgenten vergeblich, und ihr beabsichtigtes Vordringen aus dem Flusse Wei mußte infolge dessen unterbleiben. Sie ließen sich indeß durch dieses Hinderniß nicht abschrecken, ihren Zug, dessen Ziel Peking war, fort¬ zusetzen. Westwärts vorrückend brachen sie in die Provinz scheinst ein, er¬ oberten alle Städte, durch die sie ihr Marsch führte, darunter auch die De¬ partementsstadt Pingyang, zogen durch den Bergpaß Linming zwischen den Provinzen Honan und Tschilih und schlugen in der letztern wieder ein Mand- schucorps, das sich ihnen entgegenstellte. Dieses Treffen fand am 29. Sep¬ tember statt. Nun zogen sie immer in nördlicher Richtung weiter, bis sie Ende October die am großen Kanal gelegene Districtöstadt Tsinghai erreichten, die nur noch 22 deutsche Meilen von Peking entfernt ist. Hier aber mußten sie Halt machen. Eins ihrer vorgeschobenen Detacbements wurde am 30. October bei Tim sser von den Kaiserlichen zurückgeschlagen, und in den nächsten Tagen sahen sie sich von den Negierungstruppen, welche ihnen theils im Rücken gefolgt waren, theils aus der Mandschugarnison von Peking und 4Si)0 Mongolen von jen¬ seits der großen Mauer bestanden, eng eingeschlossen. Der Marsch dieser Taipingarmee von Nanking bis Tsinghai gehört zu der merkwürdigsten der Geschichte. Ihr Führer war nur ein untergeordneter General, keiner der Fürsten. Die Strecke, welche sie zurücklegte, betrug nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/230>, abgerufen am 23.07.2024.