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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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diesen Theil der Stadt. Der Widerstand, der ihnen geleistet wurde, war
nicht von Bedeutung. Sie rückten dann gegen die innere Stapt, wo die Mand-
schugarnison, damals 7 bis 8000 waffenfähige Männer stark, mit etwa doppelt
so vielen Weibern und Kindern ihren Wohnsitz hatte. Diese Mandschus hatten
für den Kaiser, der sie stets gut behandelt, für die Ehre ihres Stammes gegen¬
über verachteten Chinese", für ihr eignes Leben und, da die Rebellen einem
Mandschu gegenüber durchaus kein Erbarmeir. kannten, für das Leben ihrer
Frauen und Kinder zu kämpfen. Man sollte glauben, sie hätten sich verzwei¬
felt wehren müssen. Aber sie benahmen sich wie der Vogel vor dem Zauber¬
blick der Schlange. Das unwiderstehliche Vordringen der Rebellen, die als
Rächer deS ungeheuren Blutbades kamen, welches die Mandschns vor zwei¬
hundert Jahren in Kanton angerichtet, hatte ihnen alles Selbstvertrauen und
alle Mannheit genommen. Sie warfen sich vor dem himmlischen Fürsten nie¬
der und baten jämmerlich um Gnade. Die alleinige Antwort war der Befehl,
sie sämmtlich niederzuhauen. Nur etwa hundert entkamen, alle übrigen fielen
Unter dem Schwerte der "Kämpfer des Friedensreichs."

Am 1. April kam die Flotte der Insurgenten von Nanking herab nach
Tschinkiang, wie bemerkt, dem Hafen von Nanking. Nur die Lorchas (halb
chinesische, halb europäische Fahrzeuge, das Eigenthum von Makaoportugiesen
Und hauptsächlich mit solchen bemannt), welche der Intendant von Makao den
Strom heraufgesendet hatte, versuchten Widerstand zu leisten, die kaiserlichen
Schiffe wendeten sich schon beim Erscheinen deö ungeheuren Geschwaders der
Feinde zur Flucht. Auch die Lorchas wurden bald zum Rückzug gezwungen.
Dann besetzten die Sieger das von seiner Mandschugarnison verlassene Tschin¬
kiang und Tags nachher Kwa Tschau und die am Nordufer gelegene große
Stadt Uang Tschau, und zwar wurde auch in den letzten beiden Städten nicht
ein Geschütz der sie deckenden gewaltigen Batterien gegen die Angreifer ab¬
gefeuert.

Die Taipings beeilten sich nun, wo das Ziel ihres großen Feldzugs er¬
reicht war, sich in ihrer Eroberung zu befestigen. Sie waren Herren der alten
Reichshauptstadt und, indem sie Kwa Tschau und Tschinkiang besaßen, voll"
bändige Herren zugleich der Hauptverbindung zwischen Nord- und Südchina,
wfern dieselbe durch den Kaiser- oder Korntransportkanal vermittelt wird. Die
dresche in der Mauer Nankings war in wenigen Tagen wieder verschwunden,
allen wichtigen Punkten wurden von den Insurgenten Verhaue, Schanzen
und Batterien angelegt, die Bemannung ihrer Flotte füllte die Magazine der
Stadt mit Reis und andern Vorräthen auf mehre Jahre, jede Woche wurde
b'e Stellung unangreifbarer für ein kaiserliches Belagerungsheer. Das Heer
H'Mg sin TsiuenS mochte um diese Zeit 60 bis 80,000 Mann zählen, da¬
runter etwa 40,000 "langhaarige Rebellen" aus Kwangsi, Kwangtung und


diesen Theil der Stadt. Der Widerstand, der ihnen geleistet wurde, war
nicht von Bedeutung. Sie rückten dann gegen die innere Stapt, wo die Mand-
schugarnison, damals 7 bis 8000 waffenfähige Männer stark, mit etwa doppelt
so vielen Weibern und Kindern ihren Wohnsitz hatte. Diese Mandschus hatten
für den Kaiser, der sie stets gut behandelt, für die Ehre ihres Stammes gegen¬
über verachteten Chinese», für ihr eignes Leben und, da die Rebellen einem
Mandschu gegenüber durchaus kein Erbarmeir. kannten, für das Leben ihrer
Frauen und Kinder zu kämpfen. Man sollte glauben, sie hätten sich verzwei¬
felt wehren müssen. Aber sie benahmen sich wie der Vogel vor dem Zauber¬
blick der Schlange. Das unwiderstehliche Vordringen der Rebellen, die als
Rächer deS ungeheuren Blutbades kamen, welches die Mandschns vor zwei¬
hundert Jahren in Kanton angerichtet, hatte ihnen alles Selbstvertrauen und
alle Mannheit genommen. Sie warfen sich vor dem himmlischen Fürsten nie¬
der und baten jämmerlich um Gnade. Die alleinige Antwort war der Befehl,
sie sämmtlich niederzuhauen. Nur etwa hundert entkamen, alle übrigen fielen
Unter dem Schwerte der „Kämpfer des Friedensreichs."

Am 1. April kam die Flotte der Insurgenten von Nanking herab nach
Tschinkiang, wie bemerkt, dem Hafen von Nanking. Nur die Lorchas (halb
chinesische, halb europäische Fahrzeuge, das Eigenthum von Makaoportugiesen
Und hauptsächlich mit solchen bemannt), welche der Intendant von Makao den
Strom heraufgesendet hatte, versuchten Widerstand zu leisten, die kaiserlichen
Schiffe wendeten sich schon beim Erscheinen deö ungeheuren Geschwaders der
Feinde zur Flucht. Auch die Lorchas wurden bald zum Rückzug gezwungen.
Dann besetzten die Sieger das von seiner Mandschugarnison verlassene Tschin¬
kiang und Tags nachher Kwa Tschau und die am Nordufer gelegene große
Stadt Uang Tschau, und zwar wurde auch in den letzten beiden Städten nicht
ein Geschütz der sie deckenden gewaltigen Batterien gegen die Angreifer ab¬
gefeuert.

Die Taipings beeilten sich nun, wo das Ziel ihres großen Feldzugs er¬
reicht war, sich in ihrer Eroberung zu befestigen. Sie waren Herren der alten
Reichshauptstadt und, indem sie Kwa Tschau und Tschinkiang besaßen, voll»
bändige Herren zugleich der Hauptverbindung zwischen Nord- und Südchina,
wfern dieselbe durch den Kaiser- oder Korntransportkanal vermittelt wird. Die
dresche in der Mauer Nankings war in wenigen Tagen wieder verschwunden,
allen wichtigen Punkten wurden von den Insurgenten Verhaue, Schanzen
und Batterien angelegt, die Bemannung ihrer Flotte füllte die Magazine der
Stadt mit Reis und andern Vorräthen auf mehre Jahre, jede Woche wurde
b'e Stellung unangreifbarer für ein kaiserliches Belagerungsheer. Das Heer
H'Mg sin TsiuenS mochte um diese Zeit 60 bis 80,000 Mann zählen, da¬
runter etwa 40,000 „langhaarige Rebellen" aus Kwangsi, Kwangtung und


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[0229] diesen Theil der Stadt. Der Widerstand, der ihnen geleistet wurde, war nicht von Bedeutung. Sie rückten dann gegen die innere Stapt, wo die Mand- schugarnison, damals 7 bis 8000 waffenfähige Männer stark, mit etwa doppelt so vielen Weibern und Kindern ihren Wohnsitz hatte. Diese Mandschus hatten für den Kaiser, der sie stets gut behandelt, für die Ehre ihres Stammes gegen¬ über verachteten Chinese», für ihr eignes Leben und, da die Rebellen einem Mandschu gegenüber durchaus kein Erbarmeir. kannten, für das Leben ihrer Frauen und Kinder zu kämpfen. Man sollte glauben, sie hätten sich verzwei¬ felt wehren müssen. Aber sie benahmen sich wie der Vogel vor dem Zauber¬ blick der Schlange. Das unwiderstehliche Vordringen der Rebellen, die als Rächer deS ungeheuren Blutbades kamen, welches die Mandschns vor zwei¬ hundert Jahren in Kanton angerichtet, hatte ihnen alles Selbstvertrauen und alle Mannheit genommen. Sie warfen sich vor dem himmlischen Fürsten nie¬ der und baten jämmerlich um Gnade. Die alleinige Antwort war der Befehl, sie sämmtlich niederzuhauen. Nur etwa hundert entkamen, alle übrigen fielen Unter dem Schwerte der „Kämpfer des Friedensreichs." Am 1. April kam die Flotte der Insurgenten von Nanking herab nach Tschinkiang, wie bemerkt, dem Hafen von Nanking. Nur die Lorchas (halb chinesische, halb europäische Fahrzeuge, das Eigenthum von Makaoportugiesen Und hauptsächlich mit solchen bemannt), welche der Intendant von Makao den Strom heraufgesendet hatte, versuchten Widerstand zu leisten, die kaiserlichen Schiffe wendeten sich schon beim Erscheinen deö ungeheuren Geschwaders der Feinde zur Flucht. Auch die Lorchas wurden bald zum Rückzug gezwungen. Dann besetzten die Sieger das von seiner Mandschugarnison verlassene Tschin¬ kiang und Tags nachher Kwa Tschau und die am Nordufer gelegene große Stadt Uang Tschau, und zwar wurde auch in den letzten beiden Städten nicht ein Geschütz der sie deckenden gewaltigen Batterien gegen die Angreifer ab¬ gefeuert. Die Taipings beeilten sich nun, wo das Ziel ihres großen Feldzugs er¬ reicht war, sich in ihrer Eroberung zu befestigen. Sie waren Herren der alten Reichshauptstadt und, indem sie Kwa Tschau und Tschinkiang besaßen, voll» bändige Herren zugleich der Hauptverbindung zwischen Nord- und Südchina, wfern dieselbe durch den Kaiser- oder Korntransportkanal vermittelt wird. Die dresche in der Mauer Nankings war in wenigen Tagen wieder verschwunden, allen wichtigen Punkten wurden von den Insurgenten Verhaue, Schanzen und Batterien angelegt, die Bemannung ihrer Flotte füllte die Magazine der Stadt mit Reis und andern Vorräthen auf mehre Jahre, jede Woche wurde b'e Stellung unangreifbarer für ein kaiserliches Belagerungsheer. Das Heer H'Mg sin TsiuenS mochte um diese Zeit 60 bis 80,000 Mann zählen, da¬ runter etwa 40,000 „langhaarige Rebellen" aus Kwangsi, Kwangtung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/229>, abgerufen am 23.07.2024.