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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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digte ihm auf und Locher fand eine Anstellung in Ingolstadt, wo er 1ö28
starb.*)

Die Hauptunterhaltung auf der Universität Freiburg bildeten die Dis¬
putationen, die sogar während der Ferien stattfanden uno sich hauptsächlich
auf die Sätze des Petrus Lombardus, des sogenannten wsxister sentenUarmn
bezogen. Hatte! ein Zögling der theologischen Facultät seinen Lehrcurs voll¬
endet und wollte sich auch deren Würden theilhaft machen, so wendete er sich
an einen Doctor und Consiliarius derselben, der ihn in Gegenwart der ub-^
rigen Doctoren und Licenciaten prüfte; wobei er eidlich versicherte, er sei
2S Jahr alt und habe seit 5 Jahren an einer Hochschule den ordentlichen
Lehrstunden der Doctoren eines Oursvr biblieus und des ganzen ma^istöi' gen-
teiNiarum beigewohnt; habe serner mindestens eine lateinische Rede gehalten,
und in zwei Fericndisputationen geantwortet. Auf den Antrag dieses Mei¬
sters, welchen der Candidat zu seinem Beschützer und Vater wählt, werden
ihm von der Facultät zwei beliebige Bücher, eines des alten und neuen Te¬
staments zugewiesen, deren Erklärung aus der Vulgata mit Benutzung der
wichtigeren Glossen er, wenn er täglich liest, in einem halben Jahre, oder^
unterbrochen in einem Jahr beendigen kann. Der Candidat ist nun selber
Baccalaureus oder Oursor biblieus. Ein Jahr darauf, unter ähnlichen Förm¬
lichkeiten, beginnt er seine Vorlesungen über Petrus Lombardus mit einer
Lobrede auf die Theologie, gibt einen Ueberblick seiner vier Bücher und er¬
läutert dann mit möglichstem Scharfsinn einen Artikel des ersten; damit ist er
Söntontiarius. nach dem Schluß der Vorlesungen über die vier Bücher Lao-
ealaurous toi-natus. Nachdem er diese niedern Weihen erlangt, wendet er
sich an den Kanzler, unter Fürsprache der Facultät, indem er eidlich versichert,
dreißig Jahre alt zu sein, die höhern kirchlichen Weihen zu besitzen und nach
Empfang des Doctorats noch ein Jahr auf der Universität Freiburg die crotus
maZistrirles ausüben zu wollen. In deS Kanzlers Gegenwart wird dus Exa¬
men rixorosum vorgenommen. Tags zuvor werden in einer Sitzung ver
Facultät dem Kandidaten die Sentenzen des Lombardus vorgelegt, die er zwei¬
mal auf Gerathewohl aufschlägt. Die Punkte, welche herauskommen, liegen
der Prüfung zu Grunde; über jeden derselben macht er drei Schlußsätze, die
er sofort seinen Examinatoren zuschickt. Am folgenden Morgen werde" in einer
beliebigen Kirche die Schlußsätze des Candidaten vorgelesen, und von den
Examinatoren der Reihe nach bekämpft. Am folgenden Tag empfängt der
Candidat nach Disputation und lateinischer Rede kniend die Licenz. Am
Sonntag vor Ertheilung des Doctorats macht der Licentiat, in Begleitung
eines Vaccalaureus und unter Vortragung des Scepters der Universität durch



^ Auch Dr. Eck und Th. Murncr, die beiden wüsten K-u"pfhähne und leidenschaft¬
lichen Bekämpfer der Reformation, gingen ans dieser Schule hervor.

digte ihm auf und Locher fand eine Anstellung in Ingolstadt, wo er 1ö28
starb.*)

Die Hauptunterhaltung auf der Universität Freiburg bildeten die Dis¬
putationen, die sogar während der Ferien stattfanden uno sich hauptsächlich
auf die Sätze des Petrus Lombardus, des sogenannten wsxister sentenUarmn
bezogen. Hatte! ein Zögling der theologischen Facultät seinen Lehrcurs voll¬
endet und wollte sich auch deren Würden theilhaft machen, so wendete er sich
an einen Doctor und Consiliarius derselben, der ihn in Gegenwart der ub-^
rigen Doctoren und Licenciaten prüfte; wobei er eidlich versicherte, er sei
2S Jahr alt und habe seit 5 Jahren an einer Hochschule den ordentlichen
Lehrstunden der Doctoren eines Oursvr biblieus und des ganzen ma^istöi' gen-
teiNiarum beigewohnt; habe serner mindestens eine lateinische Rede gehalten,
und in zwei Fericndisputationen geantwortet. Auf den Antrag dieses Mei¬
sters, welchen der Candidat zu seinem Beschützer und Vater wählt, werden
ihm von der Facultät zwei beliebige Bücher, eines des alten und neuen Te¬
staments zugewiesen, deren Erklärung aus der Vulgata mit Benutzung der
wichtigeren Glossen er, wenn er täglich liest, in einem halben Jahre, oder^
unterbrochen in einem Jahr beendigen kann. Der Candidat ist nun selber
Baccalaureus oder Oursor biblieus. Ein Jahr darauf, unter ähnlichen Förm¬
lichkeiten, beginnt er seine Vorlesungen über Petrus Lombardus mit einer
Lobrede auf die Theologie, gibt einen Ueberblick seiner vier Bücher und er¬
läutert dann mit möglichstem Scharfsinn einen Artikel des ersten; damit ist er
Söntontiarius. nach dem Schluß der Vorlesungen über die vier Bücher Lao-
ealaurous toi-natus. Nachdem er diese niedern Weihen erlangt, wendet er
sich an den Kanzler, unter Fürsprache der Facultät, indem er eidlich versichert,
dreißig Jahre alt zu sein, die höhern kirchlichen Weihen zu besitzen und nach
Empfang des Doctorats noch ein Jahr auf der Universität Freiburg die crotus
maZistrirles ausüben zu wollen. In deS Kanzlers Gegenwart wird dus Exa¬
men rixorosum vorgenommen. Tags zuvor werden in einer Sitzung ver
Facultät dem Kandidaten die Sentenzen des Lombardus vorgelegt, die er zwei¬
mal auf Gerathewohl aufschlägt. Die Punkte, welche herauskommen, liegen
der Prüfung zu Grunde; über jeden derselben macht er drei Schlußsätze, die
er sofort seinen Examinatoren zuschickt. Am folgenden Morgen werde» in einer
beliebigen Kirche die Schlußsätze des Candidaten vorgelesen, und von den
Examinatoren der Reihe nach bekämpft. Am folgenden Tag empfängt der
Candidat nach Disputation und lateinischer Rede kniend die Licenz. Am
Sonntag vor Ertheilung des Doctorats macht der Licentiat, in Begleitung
eines Vaccalaureus und unter Vortragung des Scepters der Universität durch



^ Auch Dr. Eck und Th. Murncr, die beiden wüsten K-u»pfhähne und leidenschaft¬
lichen Bekämpfer der Reformation, gingen ans dieser Schule hervor.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/220>, abgerufen am 23.07.2024.