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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Lebens in bestimmte Formen zu bringen, ist in dieser Zeitschrift schon früher
die Rede gewesen.

Freilich entsprach die Praxis nicht immer der Theorie und nicht allein
die Schüler, sondern mitunter auch die Lehrer der Hochschule erlaubten sich
manche Crcentricitäten. Zu den wildesten dieser Gelehrten, die man in ge¬
wisser Beziehung mit Frischlin vergleichen kann, gehört Jacob Locher, genannt
Philomusus geb. 1470; der als berühmter Dichter 1497 vor Kaiser Maxi¬
milian ein Schauspiel über den Türkenkrieg aufführte. Im ersten Act tritt,
unter weiblicher Gestalt, der bedrängte und wehklagende Christenglaube auf, in
dessen Jammer der Chor einstimmt. Im zweiten verhandelt das Christenvolk,
und der Chor fleht zu Gott um Einigung der Fürsten. Nun erscheinen Papst
und Kaiser nebst den Gesandten zur Berathschlagung. Der Chor verwünscht
die Türken. Im vierten Act berathen sich die Türken mit dem Sultan; ein
Kriegsgesang ruft sie zusammen. Der fünfte führt das Christenheer mit seinen
Anführern über die Bühne. Fama berichtet dessen Sieg. Ein Triumphzug
mit Gesang macht den Schluß. -- Grade wie bei Frischlin stellte sich auch
bei unserm Dichter bei den großen Erfolgen seiner poetischen Versuche ein
Uebermuth heraus, der aller akademischen Gesetze spottete. Mit seinen Vor¬
gesetzten und College" war er in beständigen Händeln, und erlaubte sich so¬
gar Pasquille, was durch die Vorschriften aufs strengste untersagt war. AIS
er einmal von der Behörde deshalb zur Rede gestellt wurde, antwortete er,
er habe die Verse nur im Zur gemacht. Dagegen nahm er es im höchsten
Grad übel, wenn man ihm mit gleichen Waffen begegnete. Ein junger Poet
hatte einige satirische Verse gegen ihn gemacht, Locher wurde dadurch so auf¬
gebracht, daß er dem bartlosen Jungen empfindliche Rache schwur. Als der¬
selbe zu Ende des Jahres 1S0S auf einer Geschäftsreise nach Freiburg kam,
Und seinen Weg auf den Schwarzwald fortsetzen wollte, lauerte ihm Locher
Mit acht bewaffneten Landsleuten bei der Karthause auf, ließ den Wehrlosen
niederwerfen, ihm die Beinkleider abstreifen, und gab ihm eigenhändig mit
einer bereit gehaltenen Ruthe einen tüchtigen Schilling." Es fruchtete auch
"ichls, wenn von Seite der Behörde gegen ihn eingeschritten wurde. AIS am
30. Jan. 1S06 nach seiner Vorlesung um 12 Uhr ihm ein Bote eine päpst¬
liche Citation überreichte, ging er auf denselben mit Faustschlägen los, warf
dem Fliehenden seinen Dolch nach und zerriß die Citation in Stücke. Auf
das hierdurch verursachte Getümmel eilte der Rector, welcher soeben Sitzung
hielt, herbei und wollte Locher zur Rede stellen, der jedoch in seinem Grimm
"indes von ihm wissen wollte, sich an den König zu wenden drohte, und gegen
feine Begleiter prahlte: er sei allein so viel werth, alö ihrer der übrigen
Professoren 60. Dies Mal wurde es der Universität doch zu viel, sie tun-


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Lebens in bestimmte Formen zu bringen, ist in dieser Zeitschrift schon früher
die Rede gewesen.

Freilich entsprach die Praxis nicht immer der Theorie und nicht allein
die Schüler, sondern mitunter auch die Lehrer der Hochschule erlaubten sich
manche Crcentricitäten. Zu den wildesten dieser Gelehrten, die man in ge¬
wisser Beziehung mit Frischlin vergleichen kann, gehört Jacob Locher, genannt
Philomusus geb. 1470; der als berühmter Dichter 1497 vor Kaiser Maxi¬
milian ein Schauspiel über den Türkenkrieg aufführte. Im ersten Act tritt,
unter weiblicher Gestalt, der bedrängte und wehklagende Christenglaube auf, in
dessen Jammer der Chor einstimmt. Im zweiten verhandelt das Christenvolk,
und der Chor fleht zu Gott um Einigung der Fürsten. Nun erscheinen Papst
und Kaiser nebst den Gesandten zur Berathschlagung. Der Chor verwünscht
die Türken. Im vierten Act berathen sich die Türken mit dem Sultan; ein
Kriegsgesang ruft sie zusammen. Der fünfte führt das Christenheer mit seinen
Anführern über die Bühne. Fama berichtet dessen Sieg. Ein Triumphzug
mit Gesang macht den Schluß. — Grade wie bei Frischlin stellte sich auch
bei unserm Dichter bei den großen Erfolgen seiner poetischen Versuche ein
Uebermuth heraus, der aller akademischen Gesetze spottete. Mit seinen Vor¬
gesetzten und College« war er in beständigen Händeln, und erlaubte sich so¬
gar Pasquille, was durch die Vorschriften aufs strengste untersagt war. AIS
er einmal von der Behörde deshalb zur Rede gestellt wurde, antwortete er,
er habe die Verse nur im Zur gemacht. Dagegen nahm er es im höchsten
Grad übel, wenn man ihm mit gleichen Waffen begegnete. Ein junger Poet
hatte einige satirische Verse gegen ihn gemacht, Locher wurde dadurch so auf¬
gebracht, daß er dem bartlosen Jungen empfindliche Rache schwur. Als der¬
selbe zu Ende des Jahres 1S0S auf einer Geschäftsreise nach Freiburg kam,
Und seinen Weg auf den Schwarzwald fortsetzen wollte, lauerte ihm Locher
Mit acht bewaffneten Landsleuten bei der Karthause auf, ließ den Wehrlosen
niederwerfen, ihm die Beinkleider abstreifen, und gab ihm eigenhändig mit
einer bereit gehaltenen Ruthe einen tüchtigen Schilling." Es fruchtete auch
»ichls, wenn von Seite der Behörde gegen ihn eingeschritten wurde. AIS am
30. Jan. 1S06 nach seiner Vorlesung um 12 Uhr ihm ein Bote eine päpst¬
liche Citation überreichte, ging er auf denselben mit Faustschlägen los, warf
dem Fliehenden seinen Dolch nach und zerriß die Citation in Stücke. Auf
das hierdurch verursachte Getümmel eilte der Rector, welcher soeben Sitzung
hielt, herbei und wollte Locher zur Rede stellen, der jedoch in seinem Grimm
"indes von ihm wissen wollte, sich an den König zu wenden drohte, und gegen
feine Begleiter prahlte: er sei allein so viel werth, alö ihrer der übrigen
Professoren 60. Dies Mal wurde es der Universität doch zu viel, sie tun-


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[0219] Lebens in bestimmte Formen zu bringen, ist in dieser Zeitschrift schon früher die Rede gewesen. Freilich entsprach die Praxis nicht immer der Theorie und nicht allein die Schüler, sondern mitunter auch die Lehrer der Hochschule erlaubten sich manche Crcentricitäten. Zu den wildesten dieser Gelehrten, die man in ge¬ wisser Beziehung mit Frischlin vergleichen kann, gehört Jacob Locher, genannt Philomusus geb. 1470; der als berühmter Dichter 1497 vor Kaiser Maxi¬ milian ein Schauspiel über den Türkenkrieg aufführte. Im ersten Act tritt, unter weiblicher Gestalt, der bedrängte und wehklagende Christenglaube auf, in dessen Jammer der Chor einstimmt. Im zweiten verhandelt das Christenvolk, und der Chor fleht zu Gott um Einigung der Fürsten. Nun erscheinen Papst und Kaiser nebst den Gesandten zur Berathschlagung. Der Chor verwünscht die Türken. Im vierten Act berathen sich die Türken mit dem Sultan; ein Kriegsgesang ruft sie zusammen. Der fünfte führt das Christenheer mit seinen Anführern über die Bühne. Fama berichtet dessen Sieg. Ein Triumphzug mit Gesang macht den Schluß. — Grade wie bei Frischlin stellte sich auch bei unserm Dichter bei den großen Erfolgen seiner poetischen Versuche ein Uebermuth heraus, der aller akademischen Gesetze spottete. Mit seinen Vor¬ gesetzten und College« war er in beständigen Händeln, und erlaubte sich so¬ gar Pasquille, was durch die Vorschriften aufs strengste untersagt war. AIS er einmal von der Behörde deshalb zur Rede gestellt wurde, antwortete er, er habe die Verse nur im Zur gemacht. Dagegen nahm er es im höchsten Grad übel, wenn man ihm mit gleichen Waffen begegnete. Ein junger Poet hatte einige satirische Verse gegen ihn gemacht, Locher wurde dadurch so auf¬ gebracht, daß er dem bartlosen Jungen empfindliche Rache schwur. Als der¬ selbe zu Ende des Jahres 1S0S auf einer Geschäftsreise nach Freiburg kam, Und seinen Weg auf den Schwarzwald fortsetzen wollte, lauerte ihm Locher Mit acht bewaffneten Landsleuten bei der Karthause auf, ließ den Wehrlosen niederwerfen, ihm die Beinkleider abstreifen, und gab ihm eigenhändig mit einer bereit gehaltenen Ruthe einen tüchtigen Schilling." Es fruchtete auch »ichls, wenn von Seite der Behörde gegen ihn eingeschritten wurde. AIS am 30. Jan. 1S06 nach seiner Vorlesung um 12 Uhr ihm ein Bote eine päpst¬ liche Citation überreichte, ging er auf denselben mit Faustschlägen los, warf dem Fliehenden seinen Dolch nach und zerriß die Citation in Stücke. Auf das hierdurch verursachte Getümmel eilte der Rector, welcher soeben Sitzung hielt, herbei und wollte Locher zur Rede stellen, der jedoch in seinem Grimm "indes von ihm wissen wollte, sich an den König zu wenden drohte, und gegen feine Begleiter prahlte: er sei allein so viel werth, alö ihrer der übrigen Professoren 60. Dies Mal wurde es der Universität doch zu viel, sie tun- 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/219>, abgerufen am 23.07.2024.