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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Verkehrsbedrängniß hingewiesen haben, daß sie zunächst weit mehr die oberen
als die untern Regionen trifft. Fast jede frühere ähnliche Krisis wurde von
industriellen Nothständen begleitet, vom Stillstand der Fabriken und von
Arbeitseinstellungen. Aber die Consumtionsfähigkeit, mit andern Worten der
Wohlstand ist jetzt in den Massen so gestiegen, daß das Unglück dies Mal sich
nicht auf die Industrie ausdehnt; mindestens liegt noch nicht ein einziges
Symptom vor, aus dem man auf die Möglichkeit einer solchen Ausdehnung
schließen könnte. Wo die Wirkung partiell ist, kann es auch die Ursache nur
sein, und es liegt diese, wir wiederholen es, an jenem tiefgehenden Mißtrauen
in die nächste Zukunft, der sich auch die Vertrauensseligkeit selber nicht ent¬
ziehen kann. Es ist daher um so eher zu vermuthen, daß das wirkliche Ende
der Krisis auf einem andern als dem blos wirthschaftlichen Boden ausgetragen
werden wird.

Noch eine andere Bemerkung drängt sich dem Beobachter auf, der heutige
Mißbrauch des Bankwesens. Es sind in Europa und in Amerika vorzugs¬
weise und zuerst Bankinstitute, an welchen die Zeichen der Zeit sich kundgaben.
Und doch waren grabe die Banken als die Felsen aufgestellt, an welchen die
regellosen Wellen des täglichen Verkehrs sich unschädlich brechen sollten. De
Mißbrauch des Bankwesens liegt aber vorzugsweise an der falschen Stellung,
welche sie dem Verkehr gegenüber einnehmen. Sie haben meistentheils ihr
besonderes Recht und daher auch ganz eigenthümliche Begriffe von Pflicht.
Ihr Recht besteht eben darin, daß ihre Nutznießer, bei einer unbeschränkten
Höhe deS Verdienstes, nur für einen gewissen Schaden, der nicht ihre Actien
übersteigt, privilegirt sind, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Rechte, die sich
sogar bis auf die Verwaltungen erstreckt. Die natürliche Folge davon ist,
daß die Kräfte einer jeden Bank aufs Aeußerste angespannt werden, entgegen¬
gesetzt dem Privatmanne, der in der Möglichkeit eines umfassendern Verlustes
eine frühere Grenze seines Unternehmungsgeistes findet. Treten nun schlimme
Zeiten ein, so sind natürlich solche Banken weit eher in Verlegenheit, als der
Kaufmann oder Fabrikant -- leider aber ist das Privilegium und ist der
Nimbus, den die Banken genießen, so mächtig, daß diese in ruhigen Zeiten sich
auf sie stützen, um, wenn es am meisten noth thut, keine Stütze mehr zu finden.
In Sturmperioden wie die jetzige wird man immer sehen, baß Banken und
Institute, deren Verwaltungen mindestens einen reichlichen Grad von persön¬
licher Verantwortlichkeit tragen, auch am sichersten stehen.

Wir schließen an diese Bemerkungen die Betrachtung zweier neuer
literarischen Erscheinungen aus dem Gebiete des heutigen Gelvwesens:

"I. E. Horn, bas Creditwesen in Frankreich. Eine nationalökonomische
Skizze." Der Versasser dieser trefflichen Broschüre die im Wesentlichen aus
Artikeln der loin. Ztg. zusammengestellt ist, hat sich bereits durch mehre


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Verkehrsbedrängniß hingewiesen haben, daß sie zunächst weit mehr die oberen
als die untern Regionen trifft. Fast jede frühere ähnliche Krisis wurde von
industriellen Nothständen begleitet, vom Stillstand der Fabriken und von
Arbeitseinstellungen. Aber die Consumtionsfähigkeit, mit andern Worten der
Wohlstand ist jetzt in den Massen so gestiegen, daß das Unglück dies Mal sich
nicht auf die Industrie ausdehnt; mindestens liegt noch nicht ein einziges
Symptom vor, aus dem man auf die Möglichkeit einer solchen Ausdehnung
schließen könnte. Wo die Wirkung partiell ist, kann es auch die Ursache nur
sein, und es liegt diese, wir wiederholen es, an jenem tiefgehenden Mißtrauen
in die nächste Zukunft, der sich auch die Vertrauensseligkeit selber nicht ent¬
ziehen kann. Es ist daher um so eher zu vermuthen, daß das wirkliche Ende
der Krisis auf einem andern als dem blos wirthschaftlichen Boden ausgetragen
werden wird.

Noch eine andere Bemerkung drängt sich dem Beobachter auf, der heutige
Mißbrauch des Bankwesens. Es sind in Europa und in Amerika vorzugs¬
weise und zuerst Bankinstitute, an welchen die Zeichen der Zeit sich kundgaben.
Und doch waren grabe die Banken als die Felsen aufgestellt, an welchen die
regellosen Wellen des täglichen Verkehrs sich unschädlich brechen sollten. De
Mißbrauch des Bankwesens liegt aber vorzugsweise an der falschen Stellung,
welche sie dem Verkehr gegenüber einnehmen. Sie haben meistentheils ihr
besonderes Recht und daher auch ganz eigenthümliche Begriffe von Pflicht.
Ihr Recht besteht eben darin, daß ihre Nutznießer, bei einer unbeschränkten
Höhe deS Verdienstes, nur für einen gewissen Schaden, der nicht ihre Actien
übersteigt, privilegirt sind, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Rechte, die sich
sogar bis auf die Verwaltungen erstreckt. Die natürliche Folge davon ist,
daß die Kräfte einer jeden Bank aufs Aeußerste angespannt werden, entgegen¬
gesetzt dem Privatmanne, der in der Möglichkeit eines umfassendern Verlustes
eine frühere Grenze seines Unternehmungsgeistes findet. Treten nun schlimme
Zeiten ein, so sind natürlich solche Banken weit eher in Verlegenheit, als der
Kaufmann oder Fabrikant — leider aber ist das Privilegium und ist der
Nimbus, den die Banken genießen, so mächtig, daß diese in ruhigen Zeiten sich
auf sie stützen, um, wenn es am meisten noth thut, keine Stütze mehr zu finden.
In Sturmperioden wie die jetzige wird man immer sehen, baß Banken und
Institute, deren Verwaltungen mindestens einen reichlichen Grad von persön¬
licher Verantwortlichkeit tragen, auch am sichersten stehen.

Wir schließen an diese Bemerkungen die Betrachtung zweier neuer
literarischen Erscheinungen aus dem Gebiete des heutigen Gelvwesens:

„I. E. Horn, bas Creditwesen in Frankreich. Eine nationalökonomische
Skizze." Der Versasser dieser trefflichen Broschüre die im Wesentlichen aus
Artikeln der loin. Ztg. zusammengestellt ist, hat sich bereits durch mehre


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[0211] Verkehrsbedrängniß hingewiesen haben, daß sie zunächst weit mehr die oberen als die untern Regionen trifft. Fast jede frühere ähnliche Krisis wurde von industriellen Nothständen begleitet, vom Stillstand der Fabriken und von Arbeitseinstellungen. Aber die Consumtionsfähigkeit, mit andern Worten der Wohlstand ist jetzt in den Massen so gestiegen, daß das Unglück dies Mal sich nicht auf die Industrie ausdehnt; mindestens liegt noch nicht ein einziges Symptom vor, aus dem man auf die Möglichkeit einer solchen Ausdehnung schließen könnte. Wo die Wirkung partiell ist, kann es auch die Ursache nur sein, und es liegt diese, wir wiederholen es, an jenem tiefgehenden Mißtrauen in die nächste Zukunft, der sich auch die Vertrauensseligkeit selber nicht ent¬ ziehen kann. Es ist daher um so eher zu vermuthen, daß das wirkliche Ende der Krisis auf einem andern als dem blos wirthschaftlichen Boden ausgetragen werden wird. Noch eine andere Bemerkung drängt sich dem Beobachter auf, der heutige Mißbrauch des Bankwesens. Es sind in Europa und in Amerika vorzugs¬ weise und zuerst Bankinstitute, an welchen die Zeichen der Zeit sich kundgaben. Und doch waren grabe die Banken als die Felsen aufgestellt, an welchen die regellosen Wellen des täglichen Verkehrs sich unschädlich brechen sollten. De Mißbrauch des Bankwesens liegt aber vorzugsweise an der falschen Stellung, welche sie dem Verkehr gegenüber einnehmen. Sie haben meistentheils ihr besonderes Recht und daher auch ganz eigenthümliche Begriffe von Pflicht. Ihr Recht besteht eben darin, daß ihre Nutznießer, bei einer unbeschränkten Höhe deS Verdienstes, nur für einen gewissen Schaden, der nicht ihre Actien übersteigt, privilegirt sind, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Rechte, die sich sogar bis auf die Verwaltungen erstreckt. Die natürliche Folge davon ist, daß die Kräfte einer jeden Bank aufs Aeußerste angespannt werden, entgegen¬ gesetzt dem Privatmanne, der in der Möglichkeit eines umfassendern Verlustes eine frühere Grenze seines Unternehmungsgeistes findet. Treten nun schlimme Zeiten ein, so sind natürlich solche Banken weit eher in Verlegenheit, als der Kaufmann oder Fabrikant — leider aber ist das Privilegium und ist der Nimbus, den die Banken genießen, so mächtig, daß diese in ruhigen Zeiten sich auf sie stützen, um, wenn es am meisten noth thut, keine Stütze mehr zu finden. In Sturmperioden wie die jetzige wird man immer sehen, baß Banken und Institute, deren Verwaltungen mindestens einen reichlichen Grad von persön¬ licher Verantwortlichkeit tragen, auch am sichersten stehen. Wir schließen an diese Bemerkungen die Betrachtung zweier neuer literarischen Erscheinungen aus dem Gebiete des heutigen Gelvwesens: „I. E. Horn, bas Creditwesen in Frankreich. Eine nationalökonomische Skizze." Der Versasser dieser trefflichen Broschüre die im Wesentlichen aus Artikeln der loin. Ztg. zusammengestellt ist, hat sich bereits durch mehre 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/211>, abgerufen am 23.07.2024.