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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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tung. Die Führer aber wollten Einheit der Bewaffnung und da schien
nun der Spieß entschieden der Hellebarde oder sonstigen kurzen Waffen vor-
zuziehn, insbesondere, wenn man sich vorstellte, daß man als Hauptfeind eine
tüchtige Reiterei zu bekämpfen haben werde. Die Hellebarde ist ferner keine
Waffe für den geschlossenen Haufen, der persönliche kecke Muth der Einzelnen
muß daS Beste bei ihr thun und die Führung muß also die Einzelnen, wenn
die Hellebarde wirksam sein soll, mehr oder minder aus der Hand geben;
das aber will die Führung nicht, sie strebt nach mechanischer Einwirkung
auf die Truppe, die sie als ein Werkzeug betrachtet, mit dem sie handeln soll.
Die schweizerischen Führer also arbeiteten an der Abschaffung oder
wenigstens an der Verminderung der Zahl der Hellebarden. Sie
stießen dabei auf vielen Widerstand bei den gemeinen Soldaten, bei dem
Volke, welches diese Waffe liebte, einestheils wol, weil sie seinem kecken
trotzigen Sinn entsprach, anderntheils aber auch wegen ihrer Leichtigkeit
und Handlichkeit, weil sie auf dem Marsche nicht so lästig war als der
Spieß. Die obrigkeitlichen Verordnungen, welche auf Verminderung der
Hellebarden hinzielten, drangen daher nur sehr allmälig durch. Am schnellsten
machte sich die Sache noch bei einem Corps, welches auf gute Bedingungen,
von wegen der Eidgenossenschaft und auf längere Zeit in fremden Sold
gestellt wurde, also namentlich bei den 6000 Schweizern in französischem
Dienste; hier ging alles regelmäßiger zu, als in anderen Fällen und die
Führung hatte an und für sich hier einen erheblichen Einfluß. So kam denn
in dem Corps der 6000 Schweizer, welche Karl VIII. 1i9L nach Italien
führte, auf 3 Glieder Spieße nur 1 Glied Hellebardiere. Dasselbe Ver¬
hältniß scheint auch noch durch das ganze erste Viertel deö 16. Jahrhunderts
bestanden zu haben. Schon in der zweiten Hälfte des -16. Jahrhunderts
wollte man von Hellebardieren theilweis gar nichts wissen und Wallhausen
rechnet sie Anfangs des 17. Jahrhunderts gradezu zu denjenigen Truppen,
"welche im Feld nicht viel Nutz schaffen können."

Die Spieße der Schweizer Karls VIII. im Jahre N95 waren nur
^0 Fuß lang, aber stark und von eschenem Holz, waS von denen anderer
Nationen nicht gesagt werden konnte. Aber bald suchte man nun eS einander
>" der Länge der Spieße zuvorzuthun und dadurch einen Vortheil gegen den
Feind mit seinen kürzeren Waffen zu erlangen. Es ist nicht unwahrscheinlich,
daß die Italiener zu dieser Wettjagd den Anstoß gaben. In dem Streite
der Orsini mit dem Papste im Jahre -I49i wurden die päpstlichen Truppen
du Baceano von denen der Orsini geschlagen und den Ruhm deS Sieges
schrieb man vornehmlich dem Vitellozzo zu, welcher seine Truppen nach dem
Muster der Schweizer und Landsknechte erercirt und sie mit Spießen versehen
hatte, welche um zwei Fuß länger waren, als die bis dahin gebräuchlichen.


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tung. Die Führer aber wollten Einheit der Bewaffnung und da schien
nun der Spieß entschieden der Hellebarde oder sonstigen kurzen Waffen vor-
zuziehn, insbesondere, wenn man sich vorstellte, daß man als Hauptfeind eine
tüchtige Reiterei zu bekämpfen haben werde. Die Hellebarde ist ferner keine
Waffe für den geschlossenen Haufen, der persönliche kecke Muth der Einzelnen
muß daS Beste bei ihr thun und die Führung muß also die Einzelnen, wenn
die Hellebarde wirksam sein soll, mehr oder minder aus der Hand geben;
das aber will die Führung nicht, sie strebt nach mechanischer Einwirkung
auf die Truppe, die sie als ein Werkzeug betrachtet, mit dem sie handeln soll.
Die schweizerischen Führer also arbeiteten an der Abschaffung oder
wenigstens an der Verminderung der Zahl der Hellebarden. Sie
stießen dabei auf vielen Widerstand bei den gemeinen Soldaten, bei dem
Volke, welches diese Waffe liebte, einestheils wol, weil sie seinem kecken
trotzigen Sinn entsprach, anderntheils aber auch wegen ihrer Leichtigkeit
und Handlichkeit, weil sie auf dem Marsche nicht so lästig war als der
Spieß. Die obrigkeitlichen Verordnungen, welche auf Verminderung der
Hellebarden hinzielten, drangen daher nur sehr allmälig durch. Am schnellsten
machte sich die Sache noch bei einem Corps, welches auf gute Bedingungen,
von wegen der Eidgenossenschaft und auf längere Zeit in fremden Sold
gestellt wurde, also namentlich bei den 6000 Schweizern in französischem
Dienste; hier ging alles regelmäßiger zu, als in anderen Fällen und die
Führung hatte an und für sich hier einen erheblichen Einfluß. So kam denn
in dem Corps der 6000 Schweizer, welche Karl VIII. 1i9L nach Italien
führte, auf 3 Glieder Spieße nur 1 Glied Hellebardiere. Dasselbe Ver¬
hältniß scheint auch noch durch das ganze erste Viertel deö 16. Jahrhunderts
bestanden zu haben. Schon in der zweiten Hälfte des -16. Jahrhunderts
wollte man von Hellebardieren theilweis gar nichts wissen und Wallhausen
rechnet sie Anfangs des 17. Jahrhunderts gradezu zu denjenigen Truppen,
„welche im Feld nicht viel Nutz schaffen können."

Die Spieße der Schweizer Karls VIII. im Jahre N95 waren nur
^0 Fuß lang, aber stark und von eschenem Holz, waS von denen anderer
Nationen nicht gesagt werden konnte. Aber bald suchte man nun eS einander
>" der Länge der Spieße zuvorzuthun und dadurch einen Vortheil gegen den
Feind mit seinen kürzeren Waffen zu erlangen. Es ist nicht unwahrscheinlich,
daß die Italiener zu dieser Wettjagd den Anstoß gaben. In dem Streite
der Orsini mit dem Papste im Jahre -I49i wurden die päpstlichen Truppen
du Baceano von denen der Orsini geschlagen und den Ruhm deS Sieges
schrieb man vornehmlich dem Vitellozzo zu, welcher seine Truppen nach dem
Muster der Schweizer und Landsknechte erercirt und sie mit Spießen versehen
hatte, welche um zwei Fuß länger waren, als die bis dahin gebräuchlichen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/195>, abgerufen am 23.07.2024.