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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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verneur noch in der Provinzialhauptstadt sein specielles Corps, welches, zwei
bis dreitausend Mann stark, von seinem Adjutanten commandirt wird.

Die Provinzen endlich haben ihren Mittelpunkt in Peking, wo sich eine
Anzahl von Centralvehörden befinden, die, unsern Ministerien entsprechend,
jede mit einem speciellen Verwaltungszweige für das gestimmte Reich betraut
sind. Ueber diesen aber stehen noch zwei höchste Kollegien, die wieder die Con-
trole über jene Ministerien führen, der innere Rath (Nur) Kö) und der "Ort
der militärischen Bewegungen" (Kinn Ke Tschu), Behörden, von denen die letztere
nicht so sehr ein Oberkricgörath, als vielmehr der Geheimrath des Kaisers ist,
indem in ihren Händen die höchsten legislativen und erccutiven Befugnisse des
Reichs liegen. Schließlich ist noch eine Behörde zu erwähnen, welche in Eu¬
ropa nur in dem russischen Institut der Generaladjutanten ihres Gleichen hat.
Es ist die? der Hof der allgemeinen Aufsicht lTu Tschä Auen), dessen Mit¬
glieder vom Kaiser benutzt werden, um das gestimmte Beamtenheer des Reichs
zu überwache", über ungeschickte oder ungetreue Mandarinen Erkundigung ein¬
zuziehen, Mißstände zu untersuchen und überhaupt das zu sein, als waS sie
von dem Volksmunde bezeichnet werden: "die Augen und Ohren des Kaisers."

Der regierende Kaiser ist als Tim Tszi d. i. Sohn des Himmels, Ver¬
treter Gottes, in seinem Willen durch nichts als durch das göttliche Gesetz
beschränkt. Dagegen wissen die Chinesen nichts von einem Anrecht auf die
Souveränetät durch die Geburt. Im Gegentheil ist von den ältesten Zeiten
an sowo! durch Beispiel wie durch ausdrückliche Vorschrift gelehrt worden, daß
kein Mensch ein erbliches Recht auf den Thron habe, weder der erstgeborne
noch irgend ein Sohn des letzten Inhabers. Der Kaiser ernennt durch Testa¬
ment seinen Nachfolger, und die natürliche Zuneigung hat fast immer zur Waljl
eines Verwandten, meist eines Sohnes geführt. Allein von den sieben Herr¬
schern der jetzigen Dynastie waren sechs nicht die ältesten Söhne ihrer Väter,
und die beiden ruhmvollsten Kaiser der alten Zeit Uao und Sebum übergingen
ihre eignen Söhne als unwürdig und ernannten einen Fremden zum Thron¬
folger. Dazukommt aber noch, daß dem Volke ein solcher gesetzlich Ernannter
erst dann als wirklich vom Himmel Gewollter gilt, wenn er gut regiert und
dem Reiche Ruhe und Ueberfluß gibt. Ja selbst Mißwachs, Erdbeben, Über¬
schwemmungen, die daS Land heimsuchen, machen das Volk in seinem Glauben
ein die Bestätigung der väterlichen Wahl durch den Himmel irre, indem sie als
Zeichen der göttlichen Macht, daß sie die Regierungsweise des Kaisers mi߬
billige, gelten, und der letztere demüthigt sich dann in der Regel vor dem zür¬
nenden Himmrl und seinen Unterthanen durch jene Bekanntmachungen voll
reuiger Selbstanklage, welche den Europäern so viel zu spotten geben, die aber
seinem Stolze durch wirkliche Furcht, sei es nun vor der Gottheit oder vor Aus¬
brüchen des Volksunwillcns, abgerungen sind. Verliert ein Kaiser das Ver-


verneur noch in der Provinzialhauptstadt sein specielles Corps, welches, zwei
bis dreitausend Mann stark, von seinem Adjutanten commandirt wird.

Die Provinzen endlich haben ihren Mittelpunkt in Peking, wo sich eine
Anzahl von Centralvehörden befinden, die, unsern Ministerien entsprechend,
jede mit einem speciellen Verwaltungszweige für das gestimmte Reich betraut
sind. Ueber diesen aber stehen noch zwei höchste Kollegien, die wieder die Con-
trole über jene Ministerien führen, der innere Rath (Nur) Kö) und der „Ort
der militärischen Bewegungen" (Kinn Ke Tschu), Behörden, von denen die letztere
nicht so sehr ein Oberkricgörath, als vielmehr der Geheimrath des Kaisers ist,
indem in ihren Händen die höchsten legislativen und erccutiven Befugnisse des
Reichs liegen. Schließlich ist noch eine Behörde zu erwähnen, welche in Eu¬
ropa nur in dem russischen Institut der Generaladjutanten ihres Gleichen hat.
Es ist die? der Hof der allgemeinen Aufsicht lTu Tschä Auen), dessen Mit¬
glieder vom Kaiser benutzt werden, um das gestimmte Beamtenheer des Reichs
zu überwache», über ungeschickte oder ungetreue Mandarinen Erkundigung ein¬
zuziehen, Mißstände zu untersuchen und überhaupt das zu sein, als waS sie
von dem Volksmunde bezeichnet werden: „die Augen und Ohren des Kaisers."

Der regierende Kaiser ist als Tim Tszi d. i. Sohn des Himmels, Ver¬
treter Gottes, in seinem Willen durch nichts als durch das göttliche Gesetz
beschränkt. Dagegen wissen die Chinesen nichts von einem Anrecht auf die
Souveränetät durch die Geburt. Im Gegentheil ist von den ältesten Zeiten
an sowo! durch Beispiel wie durch ausdrückliche Vorschrift gelehrt worden, daß
kein Mensch ein erbliches Recht auf den Thron habe, weder der erstgeborne
noch irgend ein Sohn des letzten Inhabers. Der Kaiser ernennt durch Testa¬
ment seinen Nachfolger, und die natürliche Zuneigung hat fast immer zur Waljl
eines Verwandten, meist eines Sohnes geführt. Allein von den sieben Herr¬
schern der jetzigen Dynastie waren sechs nicht die ältesten Söhne ihrer Väter,
und die beiden ruhmvollsten Kaiser der alten Zeit Uao und Sebum übergingen
ihre eignen Söhne als unwürdig und ernannten einen Fremden zum Thron¬
folger. Dazukommt aber noch, daß dem Volke ein solcher gesetzlich Ernannter
erst dann als wirklich vom Himmel Gewollter gilt, wenn er gut regiert und
dem Reiche Ruhe und Ueberfluß gibt. Ja selbst Mißwachs, Erdbeben, Über¬
schwemmungen, die daS Land heimsuchen, machen das Volk in seinem Glauben
ein die Bestätigung der väterlichen Wahl durch den Himmel irre, indem sie als
Zeichen der göttlichen Macht, daß sie die Regierungsweise des Kaisers mi߬
billige, gelten, und der letztere demüthigt sich dann in der Regel vor dem zür¬
nenden Himmrl und seinen Unterthanen durch jene Bekanntmachungen voll
reuiger Selbstanklage, welche den Europäern so viel zu spotten geben, die aber
seinem Stolze durch wirkliche Furcht, sei es nun vor der Gottheit oder vor Aus¬
brüchen des Volksunwillcns, abgerungen sind. Verliert ein Kaiser das Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/172>, abgerufen am 23.07.2024.