Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht zur Uebung, als Spielerei oder Ausfüllung müßiger Augenblicke, son¬
dern mit der Prätention betrieb, in der Dichterwelt eine hervorragende Stelle
einzunehmen. Ernste und gründliche Bildung war ihm fremd geblieben, theils
hielt ihn sein Naturell, theils seine Umgebung davon zurück. Von dem Stu¬
dium der Philosophie soll ihm seine Mutter abgerathen haben, da sie einem
künftigen Regenten unzuträglich sei, von dem Studium der ältern Literatur
sein Lehrer Seneca" um ihn desto länger bei der Bewunderung seiner eignen
Schriften zu erhalten. Obgleich er vor und nach seiner Thronbesteigung sich mit
Nebungsreden vor großen Versammlungen hören ließ (was einen großen Zu-
drang von Lehrern und Virtuosen der Rhetorik zur Folge hatte und ihre ge¬
sellschaftliche Stellung ungemein hob), mußte er sich doch seine öffentlichen Re¬
den oval Seneca schreiben lassen. Dies erregte viel Aussehn; denn er war der
erste Kaiser, der sich einer fremden Feder bediente. 'Je weniger aber NeroS
Bildung wissenschaftlich war, desto vielseitiger war sein Dilettantismus in den
schönen Künsten, und in einigen wenigstens strebte und glaubte er mehr als
Dilettant zu sein; bekanntlich waren seine letzten Worte: "Welcher Künstler
geht in mir verloren!" Daß er sich hauptsächlich auf Musik legte und diese
für seine Force hielt, ist bekannt und früher ausführlich besprochen worden;
er malte auch, machte sich mit dem Modellirstab und Meißel ziemlich viel zu
thun, und dichtete fast ebenso eifrig als er sang und spielte, dies letzte (wie
Taeitus meint) zugleich in der Absicht, daß diese Beschäftigung seinen andern,
einem Fürsten weniger anständigen Kunstübungen 'in der öffentlichen Meinung
das Gleichgewicht halten sollte. Wie viel oder wenig Talent er zur Poesie
hatte, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Tacitus spricht es ihm völlig
ab. Nach ihm "umgab er sich mit solchen, die im Dichten eine gewisse Routine,
aber keine hervorragende Berühmtheit besaßen. Diese vereinten sich, verbanden
die mitgebrachten oder auf der Stelle erdachten Verse zu einem Ganzen und
ergänzten seine irgendwie hingeworfenen Worte. Das zeigt auch der Charakter
dieser Gedichte, die ohne Schwung und Ursprünglichkeit und nicht aus einem
Gusse sind." Beiläufig gesagt wird man nicht irren, wenn man annimmt,
daß gar mancher poetische Versuch der damaligen vornehmen Dilettanten auf
diese Art zu Stande kam. Neros dichterische Ehre jedoch nimmt Sueton aufs
entschiedenste in Schutz: er habe um so weniger nöthig gehabt, sich mit frem¬
den Federn zu schmücken, da ihm die Verse leicht geflossen seien. Sueton,
dem als Secretär Hadrians die kaiserlichen Archive offen standen, hatte NeroS
Gedichte zum Theil in seiner eignen Handschrift vor Augen gehabt; sie waren,
wie er sagte, offenbar nicht nach einem Dictat oder fremden Original hinge¬
schrieben, sondern trugen alle Spuren eigner Abfassung, so vieles war aus¬
gestrichen, übergeschrieben und hinein corrigirt. Freilich ist auch dies kein
stringenter Beweis. Er inclinirte, wie es scheint, zu langathmigen Epopöen, ein


Grenzboten. IV. 18ü7. 2

nicht zur Uebung, als Spielerei oder Ausfüllung müßiger Augenblicke, son¬
dern mit der Prätention betrieb, in der Dichterwelt eine hervorragende Stelle
einzunehmen. Ernste und gründliche Bildung war ihm fremd geblieben, theils
hielt ihn sein Naturell, theils seine Umgebung davon zurück. Von dem Stu¬
dium der Philosophie soll ihm seine Mutter abgerathen haben, da sie einem
künftigen Regenten unzuträglich sei, von dem Studium der ältern Literatur
sein Lehrer Seneca» um ihn desto länger bei der Bewunderung seiner eignen
Schriften zu erhalten. Obgleich er vor und nach seiner Thronbesteigung sich mit
Nebungsreden vor großen Versammlungen hören ließ (was einen großen Zu-
drang von Lehrern und Virtuosen der Rhetorik zur Folge hatte und ihre ge¬
sellschaftliche Stellung ungemein hob), mußte er sich doch seine öffentlichen Re¬
den oval Seneca schreiben lassen. Dies erregte viel Aussehn; denn er war der
erste Kaiser, der sich einer fremden Feder bediente. 'Je weniger aber NeroS
Bildung wissenschaftlich war, desto vielseitiger war sein Dilettantismus in den
schönen Künsten, und in einigen wenigstens strebte und glaubte er mehr als
Dilettant zu sein; bekanntlich waren seine letzten Worte: „Welcher Künstler
geht in mir verloren!" Daß er sich hauptsächlich auf Musik legte und diese
für seine Force hielt, ist bekannt und früher ausführlich besprochen worden;
er malte auch, machte sich mit dem Modellirstab und Meißel ziemlich viel zu
thun, und dichtete fast ebenso eifrig als er sang und spielte, dies letzte (wie
Taeitus meint) zugleich in der Absicht, daß diese Beschäftigung seinen andern,
einem Fürsten weniger anständigen Kunstübungen 'in der öffentlichen Meinung
das Gleichgewicht halten sollte. Wie viel oder wenig Talent er zur Poesie
hatte, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Tacitus spricht es ihm völlig
ab. Nach ihm „umgab er sich mit solchen, die im Dichten eine gewisse Routine,
aber keine hervorragende Berühmtheit besaßen. Diese vereinten sich, verbanden
die mitgebrachten oder auf der Stelle erdachten Verse zu einem Ganzen und
ergänzten seine irgendwie hingeworfenen Worte. Das zeigt auch der Charakter
dieser Gedichte, die ohne Schwung und Ursprünglichkeit und nicht aus einem
Gusse sind." Beiläufig gesagt wird man nicht irren, wenn man annimmt,
daß gar mancher poetische Versuch der damaligen vornehmen Dilettanten auf
diese Art zu Stande kam. Neros dichterische Ehre jedoch nimmt Sueton aufs
entschiedenste in Schutz: er habe um so weniger nöthig gehabt, sich mit frem¬
den Federn zu schmücken, da ihm die Verse leicht geflossen seien. Sueton,
dem als Secretär Hadrians die kaiserlichen Archive offen standen, hatte NeroS
Gedichte zum Theil in seiner eignen Handschrift vor Augen gehabt; sie waren,
wie er sagte, offenbar nicht nach einem Dictat oder fremden Original hinge¬
schrieben, sondern trugen alle Spuren eigner Abfassung, so vieles war aus¬
gestrichen, übergeschrieben und hinein corrigirt. Freilich ist auch dies kein
stringenter Beweis. Er inclinirte, wie es scheint, zu langathmigen Epopöen, ein


Grenzboten. IV. 18ü7. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104752"/>
            <p xml:id="ID_18" prev="#ID_17" next="#ID_19"> nicht zur Uebung, als Spielerei oder Ausfüllung müßiger Augenblicke, son¬<lb/>
dern mit der Prätention betrieb, in der Dichterwelt eine hervorragende Stelle<lb/>
einzunehmen.  Ernste und gründliche Bildung war ihm fremd geblieben, theils<lb/>
hielt ihn sein Naturell, theils seine Umgebung davon zurück. Von dem Stu¬<lb/>
dium der Philosophie soll ihm seine Mutter abgerathen haben, da sie einem<lb/>
künftigen Regenten unzuträglich sei, von dem Studium der ältern Literatur<lb/>
sein Lehrer Seneca» um ihn desto länger bei der Bewunderung seiner eignen<lb/>
Schriften zu erhalten. Obgleich er vor und nach seiner Thronbesteigung sich mit<lb/>
Nebungsreden vor großen Versammlungen hören ließ (was einen großen Zu-<lb/>
drang von Lehrern und Virtuosen der Rhetorik zur Folge hatte und ihre ge¬<lb/>
sellschaftliche Stellung ungemein hob), mußte er sich doch seine öffentlichen Re¬<lb/>
den oval Seneca schreiben lassen. Dies erregte viel Aussehn; denn er war der<lb/>
erste Kaiser, der sich einer fremden Feder bediente.  'Je weniger aber NeroS<lb/>
Bildung wissenschaftlich war, desto vielseitiger war sein Dilettantismus in den<lb/>
schönen Künsten, und in einigen wenigstens strebte und glaubte er mehr als<lb/>
Dilettant zu sein; bekanntlich waren seine letzten Worte: &#x201E;Welcher Künstler<lb/>
geht in mir verloren!" Daß er sich hauptsächlich auf Musik legte und diese<lb/>
für seine Force hielt, ist bekannt und früher ausführlich besprochen worden;<lb/>
er malte auch, machte sich mit dem Modellirstab und Meißel ziemlich viel zu<lb/>
thun, und dichtete fast ebenso eifrig als er sang und spielte, dies letzte (wie<lb/>
Taeitus meint) zugleich in der Absicht, daß diese Beschäftigung seinen andern,<lb/>
einem Fürsten weniger anständigen Kunstübungen 'in der öffentlichen Meinung<lb/>
das Gleichgewicht halten sollte.  Wie viel oder wenig Talent er zur Poesie<lb/>
hatte, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden.  Tacitus spricht es ihm völlig<lb/>
ab.  Nach ihm &#x201E;umgab er sich mit solchen, die im Dichten eine gewisse Routine,<lb/>
aber keine hervorragende Berühmtheit besaßen. Diese vereinten sich, verbanden<lb/>
die mitgebrachten oder auf der Stelle erdachten Verse zu einem Ganzen und<lb/>
ergänzten seine irgendwie hingeworfenen Worte. Das zeigt auch der Charakter<lb/>
dieser Gedichte, die ohne Schwung und Ursprünglichkeit und nicht aus einem<lb/>
Gusse sind."  Beiläufig gesagt wird man nicht irren, wenn man annimmt,<lb/>
daß gar mancher poetische Versuch der damaligen vornehmen Dilettanten auf<lb/>
diese Art zu Stande kam. Neros dichterische Ehre jedoch nimmt Sueton aufs<lb/>
entschiedenste in Schutz: er habe um so weniger nöthig gehabt, sich mit frem¬<lb/>
den Federn zu schmücken, da ihm die Verse leicht geflossen seien. Sueton,<lb/>
dem als Secretär Hadrians die kaiserlichen Archive offen standen, hatte NeroS<lb/>
Gedichte zum Theil in seiner eignen Handschrift vor Augen gehabt; sie waren,<lb/>
wie er sagte, offenbar nicht nach einem Dictat oder fremden Original hinge¬<lb/>
schrieben, sondern trugen alle Spuren eigner Abfassung, so vieles war aus¬<lb/>
gestrichen, übergeschrieben und hinein corrigirt.  Freilich ist auch dies kein<lb/>
stringenter Beweis. Er inclinirte, wie es scheint, zu langathmigen Epopöen, ein</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. IV. 18ü7. 2</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] nicht zur Uebung, als Spielerei oder Ausfüllung müßiger Augenblicke, son¬ dern mit der Prätention betrieb, in der Dichterwelt eine hervorragende Stelle einzunehmen. Ernste und gründliche Bildung war ihm fremd geblieben, theils hielt ihn sein Naturell, theils seine Umgebung davon zurück. Von dem Stu¬ dium der Philosophie soll ihm seine Mutter abgerathen haben, da sie einem künftigen Regenten unzuträglich sei, von dem Studium der ältern Literatur sein Lehrer Seneca» um ihn desto länger bei der Bewunderung seiner eignen Schriften zu erhalten. Obgleich er vor und nach seiner Thronbesteigung sich mit Nebungsreden vor großen Versammlungen hören ließ (was einen großen Zu- drang von Lehrern und Virtuosen der Rhetorik zur Folge hatte und ihre ge¬ sellschaftliche Stellung ungemein hob), mußte er sich doch seine öffentlichen Re¬ den oval Seneca schreiben lassen. Dies erregte viel Aussehn; denn er war der erste Kaiser, der sich einer fremden Feder bediente. 'Je weniger aber NeroS Bildung wissenschaftlich war, desto vielseitiger war sein Dilettantismus in den schönen Künsten, und in einigen wenigstens strebte und glaubte er mehr als Dilettant zu sein; bekanntlich waren seine letzten Worte: „Welcher Künstler geht in mir verloren!" Daß er sich hauptsächlich auf Musik legte und diese für seine Force hielt, ist bekannt und früher ausführlich besprochen worden; er malte auch, machte sich mit dem Modellirstab und Meißel ziemlich viel zu thun, und dichtete fast ebenso eifrig als er sang und spielte, dies letzte (wie Taeitus meint) zugleich in der Absicht, daß diese Beschäftigung seinen andern, einem Fürsten weniger anständigen Kunstübungen 'in der öffentlichen Meinung das Gleichgewicht halten sollte. Wie viel oder wenig Talent er zur Poesie hatte, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Tacitus spricht es ihm völlig ab. Nach ihm „umgab er sich mit solchen, die im Dichten eine gewisse Routine, aber keine hervorragende Berühmtheit besaßen. Diese vereinten sich, verbanden die mitgebrachten oder auf der Stelle erdachten Verse zu einem Ganzen und ergänzten seine irgendwie hingeworfenen Worte. Das zeigt auch der Charakter dieser Gedichte, die ohne Schwung und Ursprünglichkeit und nicht aus einem Gusse sind." Beiläufig gesagt wird man nicht irren, wenn man annimmt, daß gar mancher poetische Versuch der damaligen vornehmen Dilettanten auf diese Art zu Stande kam. Neros dichterische Ehre jedoch nimmt Sueton aufs entschiedenste in Schutz: er habe um so weniger nöthig gehabt, sich mit frem¬ den Federn zu schmücken, da ihm die Verse leicht geflossen seien. Sueton, dem als Secretär Hadrians die kaiserlichen Archive offen standen, hatte NeroS Gedichte zum Theil in seiner eignen Handschrift vor Augen gehabt; sie waren, wie er sagte, offenbar nicht nach einem Dictat oder fremden Original hinge¬ schrieben, sondern trugen alle Spuren eigner Abfassung, so vieles war aus¬ gestrichen, übergeschrieben und hinein corrigirt. Freilich ist auch dies kein stringenter Beweis. Er inclinirte, wie es scheint, zu langathmigen Epopöen, ein Grenzboten. IV. 18ü7. 2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/17>, abgerufen am 23.07.2024.