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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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und den Eimer, -- kurz für alles, waS wir brauchen außer dem Brot und
Fleische, welches wir essen. Sollten wir jemals vom Norden getrennt werden
-- und niemand kann wissen, wie bald dies geschehen mag -- wir wären im
ganzen Süden nicht im Stande, uns zu kleiden, wir könnten unsere Baume
nicht füllen, unsere Aecker nicht pflügen, unsere Wiesen nicht mähen. Wir
würden in einen Zustand gerathen, so niedrig, daß man nicht daran denken
mag. Und doch, mit allen diesen Thatsachen, die uns in die Augen stieren,
gehen wir vorwärts ohne sie sehen zu wollen."

Wenn die Bevölkerung eines Landes, der es nicht an Stolz und Dünkel
fehlt, solche Urtheile über sich selbst ausspricht, muß der Fremde überzeugt
sein, daß etwas faul ist. In der That läßt sich das Gefühl des Zurückblei¬
bens und einer gewissen Inferiorität in einigen sehr wesentlichen Dingen --
ein Gefühl, dessen sich die Bevölkerung Virginiens wie anderer Sklavenstaaten,
trotz aller Selbsttäuschung und Arroganz, nicht erwehren kann -- mit dem Be¬
wußtsein deS Werfalles vergleichen, welches sich deö mexikanischen Volkes, und
man kann sagen, der ganzen spanisch-amerikanischen Race bemächtigt hat.
Auch im ganzen spanischen Amerika gehl Selbsttäuschung und Arroganz neben
dem unabweisbaren Gefühle der Inferiorität her, -- auch dort verfinstert der
Widerstreit, in den dieses Gefühl mit ererbten Dünkel tritt, das Urtheil, --
verleitet, die Quelle deS Uebels am falschen Orte zu suchen, Heilmittel anzu¬
wenden, welche ohnmächtig sind oder das Uebel schlimmer machen, und glück¬
lichere Eoncurrenten zu hassen und auf sie die Schuld deS Mißbehagens zu
schiebe". Wo aber die Schuld eigentlich sitzt, das will man sich hier so wenig
wie dort eingestehen. DaS Höchste, zu dem man sich erhebt, ist, daß man
gegen ein Symptom der Krankheit operirt, statt diese selbst in ihrem innersten
Grunde anzugreifen, der in den südlichen Staaten der Union die Sklaverei,
in den spanisch-amerikanischen Ländern die Herrschaft der Geistlichkeit und deS
Militärs ist, in beiden -- waS damit zusammenhängt -- der Mangel oder
die ungenügende Entwickelung eines selbstthätigen Mittelstandes, dessen
industrielle Sitten die Kraft und das Gedeihe" der jetzigen civilisirten Welt
bedingen, und dessen außerordentliches Ueberwiegen in den nördlichen Staaten
der Union die ebenso außerordentliche Kraftquelle derselben ist. Diesen,
mächtigen Volkselemente fallt nach dem natürlichen Gange der Dinge die
große Masse der Einwanderung zu. Virginien hat sich neuerdings große
Mühe gegeben, von dem Strome derselben einen Arm in den Staat
zu lenken. Allein es ist die große Frage, ob man sich in Birginie" klar
macht, daß, wenn dies gelänge, die Sklaverei weichen müßte, gerade wie in
Mexico, wo man auch angefangen hat, in der Einwanderung eine Rettung
zu suchen, der die Priesterherrschaft und die Militärdespotie würden weichen
müssen. Eine starke Einwanderung läßt sich mit der Sklaverei nicht vereinigen.


und den Eimer, — kurz für alles, waS wir brauchen außer dem Brot und
Fleische, welches wir essen. Sollten wir jemals vom Norden getrennt werden
— und niemand kann wissen, wie bald dies geschehen mag — wir wären im
ganzen Süden nicht im Stande, uns zu kleiden, wir könnten unsere Baume
nicht füllen, unsere Aecker nicht pflügen, unsere Wiesen nicht mähen. Wir
würden in einen Zustand gerathen, so niedrig, daß man nicht daran denken
mag. Und doch, mit allen diesen Thatsachen, die uns in die Augen stieren,
gehen wir vorwärts ohne sie sehen zu wollen."

Wenn die Bevölkerung eines Landes, der es nicht an Stolz und Dünkel
fehlt, solche Urtheile über sich selbst ausspricht, muß der Fremde überzeugt
sein, daß etwas faul ist. In der That läßt sich das Gefühl des Zurückblei¬
bens und einer gewissen Inferiorität in einigen sehr wesentlichen Dingen —
ein Gefühl, dessen sich die Bevölkerung Virginiens wie anderer Sklavenstaaten,
trotz aller Selbsttäuschung und Arroganz, nicht erwehren kann — mit dem Be¬
wußtsein deS Werfalles vergleichen, welches sich deö mexikanischen Volkes, und
man kann sagen, der ganzen spanisch-amerikanischen Race bemächtigt hat.
Auch im ganzen spanischen Amerika gehl Selbsttäuschung und Arroganz neben
dem unabweisbaren Gefühle der Inferiorität her, — auch dort verfinstert der
Widerstreit, in den dieses Gefühl mit ererbten Dünkel tritt, das Urtheil, —
verleitet, die Quelle deS Uebels am falschen Orte zu suchen, Heilmittel anzu¬
wenden, welche ohnmächtig sind oder das Uebel schlimmer machen, und glück¬
lichere Eoncurrenten zu hassen und auf sie die Schuld deS Mißbehagens zu
schiebe». Wo aber die Schuld eigentlich sitzt, das will man sich hier so wenig
wie dort eingestehen. DaS Höchste, zu dem man sich erhebt, ist, daß man
gegen ein Symptom der Krankheit operirt, statt diese selbst in ihrem innersten
Grunde anzugreifen, der in den südlichen Staaten der Union die Sklaverei,
in den spanisch-amerikanischen Ländern die Herrschaft der Geistlichkeit und deS
Militärs ist, in beiden — waS damit zusammenhängt — der Mangel oder
die ungenügende Entwickelung eines selbstthätigen Mittelstandes, dessen
industrielle Sitten die Kraft und das Gedeihe» der jetzigen civilisirten Welt
bedingen, und dessen außerordentliches Ueberwiegen in den nördlichen Staaten
der Union die ebenso außerordentliche Kraftquelle derselben ist. Diesen,
mächtigen Volkselemente fallt nach dem natürlichen Gange der Dinge die
große Masse der Einwanderung zu. Virginien hat sich neuerdings große
Mühe gegeben, von dem Strome derselben einen Arm in den Staat
zu lenken. Allein es ist die große Frage, ob man sich in Birginie» klar
macht, daß, wenn dies gelänge, die Sklaverei weichen müßte, gerade wie in
Mexico, wo man auch angefangen hat, in der Einwanderung eine Rettung
zu suchen, der die Priesterherrschaft und die Militärdespotie würden weichen
müssen. Eine starke Einwanderung läßt sich mit der Sklaverei nicht vereinigen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/117>, abgerufen am 23.07.2024.