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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Grunde ruhe und daß sein Glanz ein halb erborgter, halb erkünstelter sei.
Daß ihn ..nichtsdestoweniger jene realistische Tendenz in eine so schiefe und
unnationale Richtung drängte, hatte noch einen andern Grund. Die zweite
Hälfte der Schuld trug grade das phantastische und spiritualistische Moment
seiner Denkweise. Was ihn verlockte, war die Größe, die Macht, die Sicht¬
barkeit und Greifbarkeit des damals triumphirenden Princips; was ihn cor-
rumpirte, bis zum Verrath der vaterländischen Interessen corrumpirte, war
die Gewohnheit, das Eingebildete und metaphysisch Construirte auf gleichem
Fuße und als gleichen Werths mit dem. Wirklichen zu behandeln. In diesem
Sinne hatte Stein Recht, wenn er nicht müde wurde, die Metaphysik zu ver¬
klagen, welche zugleich die Thatkraft und das natürliche Gefühl der Nation
untergrabe. Ich enthalte mich, die bitteren Worte zu wiederholen, mit denen
der patriotische Mann die Indifferenz und die falsche, scheinbar historische Un¬
parteilichkeit charakterisirt, mit der ein Theil der zeitgenössischen deutschen
Schriftsteller über daS Unglück des Zeitalters zu sprechen gewohnt sei. Nicht
wellig jedoch, -- es muß ausgesprochen werden -- erinnert die Haltung der
bamberger Zeitung an diese von Stein so hart gebrandmarkte Denkweise, und
zu einem guten Theil ist diese Denkweise die Frucht der phantastischen An¬
schauungen, zu denen die Phänomenologie den Verstand zu persuadiren ver¬
sucht hatte. An dem Faden der Metaphysik ist in diesem Werke daS Leben,
die individuelle Freiheit und die Geschichte aufgehängt. Nur eine Konsequenz
dieser metaphysischen Illusion war die Ruhe, mit welcher der Verfasser der
Phänomenologie als politischer Schriftsteller den Glauben an sein Volk dem
Trugbilde der napoleonischen Herrlichkeit und der Scheingröße des dänischen
Vasallenstaates zum Opfer brachte."

Wir haben diese Episode hier eingeschaltet, weil für jene Zeit die Philo¬
sophie die wesentliche Ergänzung der Dichtkunst bildet, weil beide aus derselben
Quelle entspringen, beide dieselbe Größe und dieselben Schwächen zeigen.
Wir wollen die Erinnerung an jene Zeit unter unsern köstlichsten Gütern auf¬
bewahren, aber wir wollen sie nicht wieder zurückrufen. .Betrachten wir nur
die Erscheinungen, die auf der Oberfläche schwimmen, so erscheint unsere Pe¬
riode als farblos und unkrÄftig, wenn man sie mit jenen glänzenden Tagen
von Weimar vergleicht; was aber den sittlichen, den nationalen Kern betrifft,
so sind wir weiter gekommen und können den Gründern unserer nationalen
Größe den besten Dank dadurch abstatten, daß wir ihrer Lebensweisheit einen
I. S. tiefern, anscheinend widersprechenden Inhalt geben.




Grunde ruhe und daß sein Glanz ein halb erborgter, halb erkünstelter sei.
Daß ihn ..nichtsdestoweniger jene realistische Tendenz in eine so schiefe und
unnationale Richtung drängte, hatte noch einen andern Grund. Die zweite
Hälfte der Schuld trug grade das phantastische und spiritualistische Moment
seiner Denkweise. Was ihn verlockte, war die Größe, die Macht, die Sicht¬
barkeit und Greifbarkeit des damals triumphirenden Princips; was ihn cor-
rumpirte, bis zum Verrath der vaterländischen Interessen corrumpirte, war
die Gewohnheit, das Eingebildete und metaphysisch Construirte auf gleichem
Fuße und als gleichen Werths mit dem. Wirklichen zu behandeln. In diesem
Sinne hatte Stein Recht, wenn er nicht müde wurde, die Metaphysik zu ver¬
klagen, welche zugleich die Thatkraft und das natürliche Gefühl der Nation
untergrabe. Ich enthalte mich, die bitteren Worte zu wiederholen, mit denen
der patriotische Mann die Indifferenz und die falsche, scheinbar historische Un¬
parteilichkeit charakterisirt, mit der ein Theil der zeitgenössischen deutschen
Schriftsteller über daS Unglück des Zeitalters zu sprechen gewohnt sei. Nicht
wellig jedoch, — es muß ausgesprochen werden — erinnert die Haltung der
bamberger Zeitung an diese von Stein so hart gebrandmarkte Denkweise, und
zu einem guten Theil ist diese Denkweise die Frucht der phantastischen An¬
schauungen, zu denen die Phänomenologie den Verstand zu persuadiren ver¬
sucht hatte. An dem Faden der Metaphysik ist in diesem Werke daS Leben,
die individuelle Freiheit und die Geschichte aufgehängt. Nur eine Konsequenz
dieser metaphysischen Illusion war die Ruhe, mit welcher der Verfasser der
Phänomenologie als politischer Schriftsteller den Glauben an sein Volk dem
Trugbilde der napoleonischen Herrlichkeit und der Scheingröße des dänischen
Vasallenstaates zum Opfer brachte."

Wir haben diese Episode hier eingeschaltet, weil für jene Zeit die Philo¬
sophie die wesentliche Ergänzung der Dichtkunst bildet, weil beide aus derselben
Quelle entspringen, beide dieselbe Größe und dieselben Schwächen zeigen.
Wir wollen die Erinnerung an jene Zeit unter unsern köstlichsten Gütern auf¬
bewahren, aber wir wollen sie nicht wieder zurückrufen. .Betrachten wir nur
die Erscheinungen, die auf der Oberfläche schwimmen, so erscheint unsere Pe¬
riode als farblos und unkrÄftig, wenn man sie mit jenen glänzenden Tagen
von Weimar vergleicht; was aber den sittlichen, den nationalen Kern betrifft,
so sind wir weiter gekommen und können den Gründern unserer nationalen
Größe den besten Dank dadurch abstatten, daß wir ihrer Lebensweisheit einen
I. S. tiefern, anscheinend widersprechenden Inhalt geben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/101>, abgerufen am 23.07.2024.