Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nur zu viele der Anleiher selbst werden dadurch in den Strudel der Agiotage
hinein gezogen d. h. in das Bestreben, nicht durch regelmäßige Thätigkeit,
sondern durch bloße Combinationen aus Coursverhältnisse möglichst rasch zu
Vermögen zu gelangen. Außerdem ist jede Umwandlung eines innerhalb des
gewöhnlichen Verkehrs flüssigen Geldes in eine feste Rente, sofern es nicht
in der Production oder im Handelsverkehr selbst angelegt wird, ein den all¬
gemeinen Interessen widersprechender Vorgang, nicht blos direct, weil der
Verkehr nun dieser Geldmittel entbehrt, sondern mehr noch, weil der indivi¬
duelle Unternehmungsgeist dadurch brach gelegt wird. Wir halten es daher
sür viel besser, daß der Staat einige Millionen einbüßt, als daß er, um
billiger anzuleihen, dem Landcsverkehr seine wesentlichsten Stützen entzieht.
Nicht darin besteht das Unglück, daß die Staaten ihre Anleihen bei den großen
Bankiers machen und denselben dadurch Gelegenheit bieten, Reichthümer zu sam¬
meln, sondern darin daß überhaupt Anleihen in so großem Maßstabe erforderlich
sind, und daß man nicht versteht, nur in den außerordentlichsten, in wahren Noth¬
fällen, als Krieg, öffentliche Unglücksfälle u. s. w. an sie sich zu halten.
Leider sind fast sämmtliche Staaten Europas tief, tief verschuldet, und leider
ist kein Zweifel, daß außerordentlich bedeutende Beträge dieser Anleihen bei
vernünftiger Politik und besser geordneten Finanzzuständen hätten vermieden
werden können. Das Gefühl dieser enormen Schuldenlast hat denn auch
mehrfach zu Einrichtungen geführt, welche wir wegen ihres Einflusses auf die
Fondsbörse nicht unerwähnt lassen wollen. Gänzlich verunglückt ist bereits
im vorigen Jahrhundert ein von dem Engländer Price erdachter und von den
damaligen englischen Staatsmännern eifrig aufgenommener Plan, durch den
jede fernere Staatsschuld sich selbst bezahlen sollte. Es sollte nämlich sofort
bei jeder neuen Aufnahme einer solchen jedes Mal ein kleines Capital zurück¬
gelegt und alljährlich um einen ähnlichen Betrag vermehrt werden, so daß eS
Zins auf Zins gerechnet im Verlaufe der Zeit dem Betrag des Anleihens
gleich kommen müßte. Dabei übersah man aber nur, daß dies regelmäßige
Anwachsen von Capitalien in den Händen der Finanzverwaltungen nichts we¬
niger als gesichert war, denn natürlich stand die damit verbundene Ausgabe
hu entfernten Zwecken jeder andern nähern unbedingt nach, außerdem erweckten
die großen unbenutzt liegenden Capitalien nothwendig die Begehrlichkeit der
Regierungen und der Steuerzahler, sie entzogen dem Geldmarkt unentbehrliche
Hilfsmittel, oder traten mit den Geldgeschäften der Privaten in Concurrenz
und endlich absorbirte die kostspielige Staatsverwaltung das Beste Vom gehofften
Vortheil. So hat man denn diesen Plan wieder fallen lassen, um auf einen
andern zu kommen, den der sogenannten S chuldentilgungökassen. Eine
solche Kasse ist vorzugsweise dazu bestimmt, um die Staatspapiere je nach dem
vorhandenen Geldvorrath zu möglichst niedrigen Coursen einzukaufen, um die


Nur zu viele der Anleiher selbst werden dadurch in den Strudel der Agiotage
hinein gezogen d. h. in das Bestreben, nicht durch regelmäßige Thätigkeit,
sondern durch bloße Combinationen aus Coursverhältnisse möglichst rasch zu
Vermögen zu gelangen. Außerdem ist jede Umwandlung eines innerhalb des
gewöhnlichen Verkehrs flüssigen Geldes in eine feste Rente, sofern es nicht
in der Production oder im Handelsverkehr selbst angelegt wird, ein den all¬
gemeinen Interessen widersprechender Vorgang, nicht blos direct, weil der
Verkehr nun dieser Geldmittel entbehrt, sondern mehr noch, weil der indivi¬
duelle Unternehmungsgeist dadurch brach gelegt wird. Wir halten es daher
sür viel besser, daß der Staat einige Millionen einbüßt, als daß er, um
billiger anzuleihen, dem Landcsverkehr seine wesentlichsten Stützen entzieht.
Nicht darin besteht das Unglück, daß die Staaten ihre Anleihen bei den großen
Bankiers machen und denselben dadurch Gelegenheit bieten, Reichthümer zu sam¬
meln, sondern darin daß überhaupt Anleihen in so großem Maßstabe erforderlich
sind, und daß man nicht versteht, nur in den außerordentlichsten, in wahren Noth¬
fällen, als Krieg, öffentliche Unglücksfälle u. s. w. an sie sich zu halten.
Leider sind fast sämmtliche Staaten Europas tief, tief verschuldet, und leider
ist kein Zweifel, daß außerordentlich bedeutende Beträge dieser Anleihen bei
vernünftiger Politik und besser geordneten Finanzzuständen hätten vermieden
werden können. Das Gefühl dieser enormen Schuldenlast hat denn auch
mehrfach zu Einrichtungen geführt, welche wir wegen ihres Einflusses auf die
Fondsbörse nicht unerwähnt lassen wollen. Gänzlich verunglückt ist bereits
im vorigen Jahrhundert ein von dem Engländer Price erdachter und von den
damaligen englischen Staatsmännern eifrig aufgenommener Plan, durch den
jede fernere Staatsschuld sich selbst bezahlen sollte. Es sollte nämlich sofort
bei jeder neuen Aufnahme einer solchen jedes Mal ein kleines Capital zurück¬
gelegt und alljährlich um einen ähnlichen Betrag vermehrt werden, so daß eS
Zins auf Zins gerechnet im Verlaufe der Zeit dem Betrag des Anleihens
gleich kommen müßte. Dabei übersah man aber nur, daß dies regelmäßige
Anwachsen von Capitalien in den Händen der Finanzverwaltungen nichts we¬
niger als gesichert war, denn natürlich stand die damit verbundene Ausgabe
hu entfernten Zwecken jeder andern nähern unbedingt nach, außerdem erweckten
die großen unbenutzt liegenden Capitalien nothwendig die Begehrlichkeit der
Regierungen und der Steuerzahler, sie entzogen dem Geldmarkt unentbehrliche
Hilfsmittel, oder traten mit den Geldgeschäften der Privaten in Concurrenz
und endlich absorbirte die kostspielige Staatsverwaltung das Beste Vom gehofften
Vortheil. So hat man denn diesen Plan wieder fallen lassen, um auf einen
andern zu kommen, den der sogenannten S chuldentilgungökassen. Eine
solche Kasse ist vorzugsweise dazu bestimmt, um die Staatspapiere je nach dem
vorhandenen Geldvorrath zu möglichst niedrigen Coursen einzukaufen, um die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104296"/>
          <p xml:id="ID_266" prev="#ID_265" next="#ID_267"> Nur zu viele der Anleiher selbst werden dadurch in den Strudel der Agiotage<lb/>
hinein gezogen d. h. in das Bestreben, nicht durch regelmäßige Thätigkeit,<lb/>
sondern durch bloße Combinationen aus Coursverhältnisse möglichst rasch zu<lb/>
Vermögen zu gelangen. Außerdem ist jede Umwandlung eines innerhalb des<lb/>
gewöhnlichen Verkehrs flüssigen Geldes in eine feste Rente, sofern es nicht<lb/>
in der Production oder im Handelsverkehr selbst angelegt wird, ein den all¬<lb/>
gemeinen Interessen widersprechender Vorgang, nicht blos direct, weil der<lb/>
Verkehr nun dieser Geldmittel entbehrt, sondern mehr noch, weil der indivi¬<lb/>
duelle Unternehmungsgeist dadurch brach gelegt wird. Wir halten es daher<lb/>
sür viel besser, daß der Staat einige Millionen einbüßt, als daß er, um<lb/>
billiger anzuleihen, dem Landcsverkehr seine wesentlichsten Stützen entzieht.<lb/>
Nicht darin besteht das Unglück, daß die Staaten ihre Anleihen bei den großen<lb/>
Bankiers machen und denselben dadurch Gelegenheit bieten, Reichthümer zu sam¬<lb/>
meln, sondern darin daß überhaupt Anleihen in so großem Maßstabe erforderlich<lb/>
sind, und daß man nicht versteht, nur in den außerordentlichsten, in wahren Noth¬<lb/>
fällen, als Krieg, öffentliche Unglücksfälle u. s. w. an sie sich zu halten.<lb/>
Leider sind fast sämmtliche Staaten Europas tief, tief verschuldet, und leider<lb/>
ist kein Zweifel, daß außerordentlich bedeutende Beträge dieser Anleihen bei<lb/>
vernünftiger Politik und besser geordneten Finanzzuständen hätten vermieden<lb/>
werden können. Das Gefühl dieser enormen Schuldenlast hat denn auch<lb/>
mehrfach zu Einrichtungen geführt, welche wir wegen ihres Einflusses auf die<lb/>
Fondsbörse nicht unerwähnt lassen wollen. Gänzlich verunglückt ist bereits<lb/>
im vorigen Jahrhundert ein von dem Engländer Price erdachter und von den<lb/>
damaligen englischen Staatsmännern eifrig aufgenommener Plan, durch den<lb/>
jede fernere Staatsschuld sich selbst bezahlen sollte. Es sollte nämlich sofort<lb/>
bei jeder neuen Aufnahme einer solchen jedes Mal ein kleines Capital zurück¬<lb/>
gelegt und alljährlich um einen ähnlichen Betrag vermehrt werden, so daß eS<lb/>
Zins auf Zins gerechnet im Verlaufe der Zeit dem Betrag des Anleihens<lb/>
gleich kommen müßte. Dabei übersah man aber nur, daß dies regelmäßige<lb/>
Anwachsen von Capitalien in den Händen der Finanzverwaltungen nichts we¬<lb/>
niger als gesichert war, denn natürlich stand die damit verbundene Ausgabe<lb/>
hu entfernten Zwecken jeder andern nähern unbedingt nach, außerdem erweckten<lb/>
die großen unbenutzt liegenden Capitalien nothwendig die Begehrlichkeit der<lb/>
Regierungen und der Steuerzahler, sie entzogen dem Geldmarkt unentbehrliche<lb/>
Hilfsmittel, oder traten mit den Geldgeschäften der Privaten in Concurrenz<lb/>
und endlich absorbirte die kostspielige Staatsverwaltung das Beste Vom gehofften<lb/>
Vortheil. So hat man denn diesen Plan wieder fallen lassen, um auf einen<lb/>
andern zu kommen, den der sogenannten S chuldentilgungökassen. Eine<lb/>
solche Kasse ist vorzugsweise dazu bestimmt, um die Staatspapiere je nach dem<lb/>
vorhandenen Geldvorrath zu möglichst niedrigen Coursen einzukaufen, um die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] Nur zu viele der Anleiher selbst werden dadurch in den Strudel der Agiotage hinein gezogen d. h. in das Bestreben, nicht durch regelmäßige Thätigkeit, sondern durch bloße Combinationen aus Coursverhältnisse möglichst rasch zu Vermögen zu gelangen. Außerdem ist jede Umwandlung eines innerhalb des gewöhnlichen Verkehrs flüssigen Geldes in eine feste Rente, sofern es nicht in der Production oder im Handelsverkehr selbst angelegt wird, ein den all¬ gemeinen Interessen widersprechender Vorgang, nicht blos direct, weil der Verkehr nun dieser Geldmittel entbehrt, sondern mehr noch, weil der indivi¬ duelle Unternehmungsgeist dadurch brach gelegt wird. Wir halten es daher sür viel besser, daß der Staat einige Millionen einbüßt, als daß er, um billiger anzuleihen, dem Landcsverkehr seine wesentlichsten Stützen entzieht. Nicht darin besteht das Unglück, daß die Staaten ihre Anleihen bei den großen Bankiers machen und denselben dadurch Gelegenheit bieten, Reichthümer zu sam¬ meln, sondern darin daß überhaupt Anleihen in so großem Maßstabe erforderlich sind, und daß man nicht versteht, nur in den außerordentlichsten, in wahren Noth¬ fällen, als Krieg, öffentliche Unglücksfälle u. s. w. an sie sich zu halten. Leider sind fast sämmtliche Staaten Europas tief, tief verschuldet, und leider ist kein Zweifel, daß außerordentlich bedeutende Beträge dieser Anleihen bei vernünftiger Politik und besser geordneten Finanzzuständen hätten vermieden werden können. Das Gefühl dieser enormen Schuldenlast hat denn auch mehrfach zu Einrichtungen geführt, welche wir wegen ihres Einflusses auf die Fondsbörse nicht unerwähnt lassen wollen. Gänzlich verunglückt ist bereits im vorigen Jahrhundert ein von dem Engländer Price erdachter und von den damaligen englischen Staatsmännern eifrig aufgenommener Plan, durch den jede fernere Staatsschuld sich selbst bezahlen sollte. Es sollte nämlich sofort bei jeder neuen Aufnahme einer solchen jedes Mal ein kleines Capital zurück¬ gelegt und alljährlich um einen ähnlichen Betrag vermehrt werden, so daß eS Zins auf Zins gerechnet im Verlaufe der Zeit dem Betrag des Anleihens gleich kommen müßte. Dabei übersah man aber nur, daß dies regelmäßige Anwachsen von Capitalien in den Händen der Finanzverwaltungen nichts we¬ niger als gesichert war, denn natürlich stand die damit verbundene Ausgabe hu entfernten Zwecken jeder andern nähern unbedingt nach, außerdem erweckten die großen unbenutzt liegenden Capitalien nothwendig die Begehrlichkeit der Regierungen und der Steuerzahler, sie entzogen dem Geldmarkt unentbehrliche Hilfsmittel, oder traten mit den Geldgeschäften der Privaten in Concurrenz und endlich absorbirte die kostspielige Staatsverwaltung das Beste Vom gehofften Vortheil. So hat man denn diesen Plan wieder fallen lassen, um auf einen andern zu kommen, den der sogenannten S chuldentilgungökassen. Eine solche Kasse ist vorzugsweise dazu bestimmt, um die Staatspapiere je nach dem vorhandenen Geldvorrath zu möglichst niedrigen Coursen einzukaufen, um die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/95>, abgerufen am 23.07.2024.