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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Eine Familie von aussteifender Lebenskraft im 16. Jahr- ,
hundert.

Im Folgenden wird das Leben einer Familie geschildert, welche am Ende
des Is. Jahrhunderts aus dem Dorfe in die Stadt, aus dem Bauernstande
in das Bürgerthum übersiedelte und sich hier in der dritten Generation die
beste Bildung der Zeit aneignete. Von je war uns der Bauernstand die große
Quelle, aus welcher neue Familicnkraft in die Hallen der Edelhofe, die Zunst-
stuben der Städte und die Arbeitszimmer der Gelehrten aufstieg. Auch des¬
halb liegt die letzte Grundlage für das Gedeihn der Völker in der einfachen
Thätigkeit des Fcldarbeiters, der menschlichen Arbeit, bei welcher Geist und
Körper, Arbeit und Erholung, Freude und Unglück durch die Natur selbst re-
gulirt werden. Wo solche Arbeit gedrückt, beschränkt, unfrei wurde, erkrankte
das gesammte Volk. Der Untergang der freien Landarbeiter hat mehr als
einmal die politische Existenz der Staaten untergraben z. B. in Polen, ja er
hat einst die tödtliche Schwäche des großen Römerreichs und das Absterben der
antiken Welt M Folge gehabt. Je reichlicher und ungehinderter neue Kraft
aus den untern Schichten in die anspruchsvollereu Kreise aussteigt, desto kräf¬
tiger und energischer wird das politische Leben deS Volkes sein können. Und
wieder, je weniger die sinkende Familienkraft durch künstliche Stützen verhindert
wird, in die große Masse des Volkes hinabzufallen, desto frischer und schneller
wird sich die emporstrebende den Weg zur Höhe bahnen. Unser Himmel und
unsere Cultur verlangen eine so angestrengte Arbeit der Einzelnen, und so viel
Streben und Kunst ist in unser Leben gekommen, daß unser Verbrauch an
Lebenskraft ein sehr großer ist. Schon dem Landmann schwindet bei harter
Arbeit leicht die Schönheit der äußern Form und jener Ueberschuß von Kraft,
welcher dem Menschen ein leichtes Herz und das Vollgefühl des Glückes gibt,
aber seine Muskeln und Nerven werden gehärtet und er schreitet noch fest und
dauerhaft über die Scholle. Wenn aber die Familie aus diesem Kreise heraus¬
tritt, vermehren sich mit den Genüssen höherer Bildung und Thätigkeit auch
die feindlichen Mächte, welche ihre Lebenskraft stören. Noch ist zu wenig un-


Grenzboten III. -1867. 1
Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Eine Familie von aussteifender Lebenskraft im 16. Jahr- ,
hundert.

Im Folgenden wird das Leben einer Familie geschildert, welche am Ende
des Is. Jahrhunderts aus dem Dorfe in die Stadt, aus dem Bauernstande
in das Bürgerthum übersiedelte und sich hier in der dritten Generation die
beste Bildung der Zeit aneignete. Von je war uns der Bauernstand die große
Quelle, aus welcher neue Familicnkraft in die Hallen der Edelhofe, die Zunst-
stuben der Städte und die Arbeitszimmer der Gelehrten aufstieg. Auch des¬
halb liegt die letzte Grundlage für das Gedeihn der Völker in der einfachen
Thätigkeit des Fcldarbeiters, der menschlichen Arbeit, bei welcher Geist und
Körper, Arbeit und Erholung, Freude und Unglück durch die Natur selbst re-
gulirt werden. Wo solche Arbeit gedrückt, beschränkt, unfrei wurde, erkrankte
das gesammte Volk. Der Untergang der freien Landarbeiter hat mehr als
einmal die politische Existenz der Staaten untergraben z. B. in Polen, ja er
hat einst die tödtliche Schwäche des großen Römerreichs und das Absterben der
antiken Welt M Folge gehabt. Je reichlicher und ungehinderter neue Kraft
aus den untern Schichten in die anspruchsvollereu Kreise aussteigt, desto kräf¬
tiger und energischer wird das politische Leben deS Volkes sein können. Und
wieder, je weniger die sinkende Familienkraft durch künstliche Stützen verhindert
wird, in die große Masse des Volkes hinabzufallen, desto frischer und schneller
wird sich die emporstrebende den Weg zur Höhe bahnen. Unser Himmel und
unsere Cultur verlangen eine so angestrengte Arbeit der Einzelnen, und so viel
Streben und Kunst ist in unser Leben gekommen, daß unser Verbrauch an
Lebenskraft ein sehr großer ist. Schon dem Landmann schwindet bei harter
Arbeit leicht die Schönheit der äußern Form und jener Ueberschuß von Kraft,
welcher dem Menschen ein leichtes Herz und das Vollgefühl des Glückes gibt,
aber seine Muskeln und Nerven werden gehärtet und er schreitet noch fest und
dauerhaft über die Scholle. Wenn aber die Familie aus diesem Kreise heraus¬
tritt, vermehren sich mit den Genüssen höherer Bildung und Thätigkeit auch
die feindlichen Mächte, welche ihre Lebenskraft stören. Noch ist zu wenig un-


Grenzboten III. -1867. 1
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/9>, abgerufen am 22.07.2024.