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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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die Mönchklöster fast alle einen verschließbaren Klosterhof haben. Aber un¬
zählige Hinterthüren führen ins Freie, und überdies liegen auch außerhalb
der Mauern viele kleine Häuschen, die von Mönchen bewohnt werden. Ob
daher das Gelübde der Keuschheit mit größerer Gewissenhaftigkeit als in den
Nonnenklöstern beobachtet wird, wollen wir nicht näher untersuchen; die Welt¬
geistlichen der griechischen Kirche dürfen bekanntlich heirathen, und ihrer Morali¬
tät ist in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen.

In diesen wenigen Zeilen liegt das Bezeichnendste der rumänischen Geist¬
lichkeit, wir glauben nicht, daß man ihr mit einer schärferen Kritik entgegen¬
treten darf. Die Religion steht in hohem Ansehn im Lande, also auch die
Diener derselben, aber in die Familien schleichen sie sich nicht störend ein.
Heiligenbilder, denen man wunderthätige Kraft zuschreibt, eristiren freilich,
aber man begnügt sich, sein Gebet bei denselben zu verrichten und die Nicht¬
erfüllung des Erbetenen seinen eigenen Sünden zur Last zu legen. Weinende
Madonnen und Christusköpfe, denen man jährlich das Haar zum Verkauf an
die Gläubigen scheert, sind uns nicht vorgekommen.




Literatur.

Kleine Schriften von Adolf Müller. Die Schlacht bei Prag. Worte
an Stahl und gegen Stahl. Hengstenberg und die evangelische Kirchenzeitung.
Berlin, Gebauer. --Diese kleinen Broschüren, von denen die gegen Hengstenberg
bereits in dritter Auflage erscheint, machen einen durchweg erfreulichen Eindruck.
Der Verfasser vereinigt eine ernste religiöse Gesinnung mit einem sehr klaren, gesunden
Menschenverstand. Sehr glücklich hat er namentlich das Wesen Stahls charakteri-
sirt, jene Art des Glaubens, der aus der Reflexion geboren das Gemüth nicht
erwärmt. Er zeigt, daß in seinen Schriften, so plausibel alles aussieht, nichts
ZU finden ist, als ein künstliches Machwerk, daß, wer nicht von vornherein
mit ihm übereinstimmt, wol seine Schlagfertigkeit und Gewandtheit bewundert,
aber in keiner Weise überzeugt wird. Sehr fein ist folgende Deduction. Stahl
als Vertreter des Wvrtglaubens spricht sich sehr geringschätzig über den Glauben
aus, dessen dogmatischer Inhalt nicht mit dem seinigen übereinstimmt. Müller ant¬
wortet darauf: "In einer gewissen Zeit, in einem bestimmten Staate, unter diesen
gegebenen Verhältnissen ist der Inhalt des Glaubens ein gegebener und die Ab¬
weichungen von diesem gegebenen Glaubensinhalte können bei den einzelnen Gläu¬
bigen nicht groß sein. Welcher Gläubige könnte sich heute für altägyptische oder
altperstsche Gottesverehrung oder auch nur für den Glaubensinhalt gewisser christ¬
licher Sekten erklären, die im Mittelalter und dnrch dasselbe ihre Entstehung und
Begründung fanden? Was man glaubt, ist unter gegebenen Umständen davon ab¬
hängig, daß man glaubt. Wie die Werke erst ihren Werth erhalten durch den
Glaube", aus dem sie hervorgehen, so erhält auch der Glaubensinhalt erst durch


die Mönchklöster fast alle einen verschließbaren Klosterhof haben. Aber un¬
zählige Hinterthüren führen ins Freie, und überdies liegen auch außerhalb
der Mauern viele kleine Häuschen, die von Mönchen bewohnt werden. Ob
daher das Gelübde der Keuschheit mit größerer Gewissenhaftigkeit als in den
Nonnenklöstern beobachtet wird, wollen wir nicht näher untersuchen; die Welt¬
geistlichen der griechischen Kirche dürfen bekanntlich heirathen, und ihrer Morali¬
tät ist in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen.

In diesen wenigen Zeilen liegt das Bezeichnendste der rumänischen Geist¬
lichkeit, wir glauben nicht, daß man ihr mit einer schärferen Kritik entgegen¬
treten darf. Die Religion steht in hohem Ansehn im Lande, also auch die
Diener derselben, aber in die Familien schleichen sie sich nicht störend ein.
Heiligenbilder, denen man wunderthätige Kraft zuschreibt, eristiren freilich,
aber man begnügt sich, sein Gebet bei denselben zu verrichten und die Nicht¬
erfüllung des Erbetenen seinen eigenen Sünden zur Last zu legen. Weinende
Madonnen und Christusköpfe, denen man jährlich das Haar zum Verkauf an
die Gläubigen scheert, sind uns nicht vorgekommen.




Literatur.

Kleine Schriften von Adolf Müller. Die Schlacht bei Prag. Worte
an Stahl und gegen Stahl. Hengstenberg und die evangelische Kirchenzeitung.
Berlin, Gebauer. —Diese kleinen Broschüren, von denen die gegen Hengstenberg
bereits in dritter Auflage erscheint, machen einen durchweg erfreulichen Eindruck.
Der Verfasser vereinigt eine ernste religiöse Gesinnung mit einem sehr klaren, gesunden
Menschenverstand. Sehr glücklich hat er namentlich das Wesen Stahls charakteri-
sirt, jene Art des Glaubens, der aus der Reflexion geboren das Gemüth nicht
erwärmt. Er zeigt, daß in seinen Schriften, so plausibel alles aussieht, nichts
ZU finden ist, als ein künstliches Machwerk, daß, wer nicht von vornherein
mit ihm übereinstimmt, wol seine Schlagfertigkeit und Gewandtheit bewundert,
aber in keiner Weise überzeugt wird. Sehr fein ist folgende Deduction. Stahl
als Vertreter des Wvrtglaubens spricht sich sehr geringschätzig über den Glauben
aus, dessen dogmatischer Inhalt nicht mit dem seinigen übereinstimmt. Müller ant¬
wortet darauf: „In einer gewissen Zeit, in einem bestimmten Staate, unter diesen
gegebenen Verhältnissen ist der Inhalt des Glaubens ein gegebener und die Ab¬
weichungen von diesem gegebenen Glaubensinhalte können bei den einzelnen Gläu¬
bigen nicht groß sein. Welcher Gläubige könnte sich heute für altägyptische oder
altperstsche Gottesverehrung oder auch nur für den Glaubensinhalt gewisser christ¬
licher Sekten erklären, die im Mittelalter und dnrch dasselbe ihre Entstehung und
Begründung fanden? Was man glaubt, ist unter gegebenen Umständen davon ab¬
hängig, daß man glaubt. Wie die Werke erst ihren Werth erhalten durch den
Glaube», aus dem sie hervorgehen, so erhält auch der Glaubensinhalt erst durch


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[0087] die Mönchklöster fast alle einen verschließbaren Klosterhof haben. Aber un¬ zählige Hinterthüren führen ins Freie, und überdies liegen auch außerhalb der Mauern viele kleine Häuschen, die von Mönchen bewohnt werden. Ob daher das Gelübde der Keuschheit mit größerer Gewissenhaftigkeit als in den Nonnenklöstern beobachtet wird, wollen wir nicht näher untersuchen; die Welt¬ geistlichen der griechischen Kirche dürfen bekanntlich heirathen, und ihrer Morali¬ tät ist in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen. In diesen wenigen Zeilen liegt das Bezeichnendste der rumänischen Geist¬ lichkeit, wir glauben nicht, daß man ihr mit einer schärferen Kritik entgegen¬ treten darf. Die Religion steht in hohem Ansehn im Lande, also auch die Diener derselben, aber in die Familien schleichen sie sich nicht störend ein. Heiligenbilder, denen man wunderthätige Kraft zuschreibt, eristiren freilich, aber man begnügt sich, sein Gebet bei denselben zu verrichten und die Nicht¬ erfüllung des Erbetenen seinen eigenen Sünden zur Last zu legen. Weinende Madonnen und Christusköpfe, denen man jährlich das Haar zum Verkauf an die Gläubigen scheert, sind uns nicht vorgekommen. Literatur. Kleine Schriften von Adolf Müller. Die Schlacht bei Prag. Worte an Stahl und gegen Stahl. Hengstenberg und die evangelische Kirchenzeitung. Berlin, Gebauer. —Diese kleinen Broschüren, von denen die gegen Hengstenberg bereits in dritter Auflage erscheint, machen einen durchweg erfreulichen Eindruck. Der Verfasser vereinigt eine ernste religiöse Gesinnung mit einem sehr klaren, gesunden Menschenverstand. Sehr glücklich hat er namentlich das Wesen Stahls charakteri- sirt, jene Art des Glaubens, der aus der Reflexion geboren das Gemüth nicht erwärmt. Er zeigt, daß in seinen Schriften, so plausibel alles aussieht, nichts ZU finden ist, als ein künstliches Machwerk, daß, wer nicht von vornherein mit ihm übereinstimmt, wol seine Schlagfertigkeit und Gewandtheit bewundert, aber in keiner Weise überzeugt wird. Sehr fein ist folgende Deduction. Stahl als Vertreter des Wvrtglaubens spricht sich sehr geringschätzig über den Glauben aus, dessen dogmatischer Inhalt nicht mit dem seinigen übereinstimmt. Müller ant¬ wortet darauf: „In einer gewissen Zeit, in einem bestimmten Staate, unter diesen gegebenen Verhältnissen ist der Inhalt des Glaubens ein gegebener und die Ab¬ weichungen von diesem gegebenen Glaubensinhalte können bei den einzelnen Gläu¬ bigen nicht groß sein. Welcher Gläubige könnte sich heute für altägyptische oder altperstsche Gottesverehrung oder auch nur für den Glaubensinhalt gewisser christ¬ licher Sekten erklären, die im Mittelalter und dnrch dasselbe ihre Entstehung und Begründung fanden? Was man glaubt, ist unter gegebenen Umständen davon ab¬ hängig, daß man glaubt. Wie die Werke erst ihren Werth erhalten durch den Glaube», aus dem sie hervorgehen, so erhält auch der Glaubensinhalt erst durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/87>, abgerufen am 12.12.2024.