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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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brauch zu treiben mit der ihnen gestatteten Freiheit, in stiller Demuth und
strenger Ausübung ihrer Pflichten, dem Alter entgegenleben. Zu der zweiten
Kategorie gehören alle die Frauen und Mädchen ans den untersten Schichten
der Gesellschaft, die ins Kloster gehen, weil ihnen das Leben zu Hause zu
hart vorkommt, das Kloster besitzt Güter, die bedeutende Einkünfte abwerfen,
und unterstützt sie mit Kukuruzmehl und Brennholz; sie spinnen und weben in
ihren Zellen und verkaufen dann die Frucht ihres Fleißes in der Umgegend.
Es ist ein kümmerliches Leben, das sie führen; von ascetischen Träumereien ist
natürlich keine Rede; sogar die Religion versinkt ihnen, die vollkommen unwissend
sind, fast ganz in den Schlamm des Aberglaubens; es ist die Existenz des Tage¬
löhners mit dem einzigen Unterschiede, daß die Nonne auch die Hände in den
Schoß legen kann, wenn sie keine Lust zum Arbeiten hat, vor dem absoluten
Hungertode ist sie gesichert. Zu der dritten Classe haben wir vorzugsweise den
Leser geführt, weil sie eS ist, mit der der Fremde ausschließlich in Berührung
kommt, wenn seine Neugier ihn in ein Kloster treibt. Er hat nach einem ver¬
gnügten Abend die Frauen verlassen mit dem Gedanken, eS sei doch ein herr¬
liches, fröhliches Leben in so einem Kloster, und doch ist diese Existenz ein
namenloses Elend. Diese dritte Kategorie besteht fast durchgehends aus Töch¬
tern der höheren Stände; die Zahl dieser sogenannten Nonnen wird hoffentlich
keine neue Generation mehr in sich aufnehmen; denn die Art und Weise, wie
sie ins Kloster gekommen, ist dem Geiste der Gegenwart dergestalt zuwider,
daß eine Einkleidung unter ähnlichen Verhältnissen zur Unmöglichkeit wird.
Familien, die viele Töchter hatten, oder deren Vermögen nicht groß genug war,
um auch die Zukunft der Söhne zu sichern, brachten ihre Mädchen im Alter
von 10 -- 12 Jahren in die Nonnenklöster. Das klingt ganz einfach, folgt
man aber der Sache in ihre Einzelnheiten, so entfährt der Brust unwillkürlich
ein Schrei der Entrüstung. Die Mutter packt eines schönen Morgens.die
kleinen Siebensachen ihres Kindes zusammen und setzt es zu sich in den Wagen,
der Vater gibt kaltblütig seinen Segen dazu. Man kommt ins Kloster. DaS
Kind wird irgend einer bekannten Nonne übergeben; daS arme kleine Wesen
schaudert instinctartig bei dem Anblick der schwarzen Gestalt; es klammert
sich furchtsam an die Mutter und weint still und fleht: ich möchte zu¬
rück zu meinen Geschwistern! Die Kleine wird sich schon gewöhnen, meint
die Nonne. Gewiß, erwidert Mama und setzt sich in den Wagen, Und der
Wagen rollt fort, der Schutz, den das arme Kind von jetzt an von seiner
Mutter zu erwarten hat, ist so viel werth, wie die Staubwolke, die der
Wind da unten verweht. Nun beginnt eine harte Zeit. An Aeußerungen
zärtlicher Liebe war daS Mädchen im elterlichen Hause vielleicht nicht ge¬
wöhnt, aber doch an einen gewissen Grad von Bequemlichkeit -- an Dienst¬
boten hatte eS ja nicht gefehlt. Jetzt wird die Kleine als Laienschwester selbst


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brauch zu treiben mit der ihnen gestatteten Freiheit, in stiller Demuth und
strenger Ausübung ihrer Pflichten, dem Alter entgegenleben. Zu der zweiten
Kategorie gehören alle die Frauen und Mädchen ans den untersten Schichten
der Gesellschaft, die ins Kloster gehen, weil ihnen das Leben zu Hause zu
hart vorkommt, das Kloster besitzt Güter, die bedeutende Einkünfte abwerfen,
und unterstützt sie mit Kukuruzmehl und Brennholz; sie spinnen und weben in
ihren Zellen und verkaufen dann die Frucht ihres Fleißes in der Umgegend.
Es ist ein kümmerliches Leben, das sie führen; von ascetischen Träumereien ist
natürlich keine Rede; sogar die Religion versinkt ihnen, die vollkommen unwissend
sind, fast ganz in den Schlamm des Aberglaubens; es ist die Existenz des Tage¬
löhners mit dem einzigen Unterschiede, daß die Nonne auch die Hände in den
Schoß legen kann, wenn sie keine Lust zum Arbeiten hat, vor dem absoluten
Hungertode ist sie gesichert. Zu der dritten Classe haben wir vorzugsweise den
Leser geführt, weil sie eS ist, mit der der Fremde ausschließlich in Berührung
kommt, wenn seine Neugier ihn in ein Kloster treibt. Er hat nach einem ver¬
gnügten Abend die Frauen verlassen mit dem Gedanken, eS sei doch ein herr¬
liches, fröhliches Leben in so einem Kloster, und doch ist diese Existenz ein
namenloses Elend. Diese dritte Kategorie besteht fast durchgehends aus Töch¬
tern der höheren Stände; die Zahl dieser sogenannten Nonnen wird hoffentlich
keine neue Generation mehr in sich aufnehmen; denn die Art und Weise, wie
sie ins Kloster gekommen, ist dem Geiste der Gegenwart dergestalt zuwider,
daß eine Einkleidung unter ähnlichen Verhältnissen zur Unmöglichkeit wird.
Familien, die viele Töchter hatten, oder deren Vermögen nicht groß genug war,
um auch die Zukunft der Söhne zu sichern, brachten ihre Mädchen im Alter
von 10 — 12 Jahren in die Nonnenklöster. Das klingt ganz einfach, folgt
man aber der Sache in ihre Einzelnheiten, so entfährt der Brust unwillkürlich
ein Schrei der Entrüstung. Die Mutter packt eines schönen Morgens.die
kleinen Siebensachen ihres Kindes zusammen und setzt es zu sich in den Wagen,
der Vater gibt kaltblütig seinen Segen dazu. Man kommt ins Kloster. DaS
Kind wird irgend einer bekannten Nonne übergeben; daS arme kleine Wesen
schaudert instinctartig bei dem Anblick der schwarzen Gestalt; es klammert
sich furchtsam an die Mutter und weint still und fleht: ich möchte zu¬
rück zu meinen Geschwistern! Die Kleine wird sich schon gewöhnen, meint
die Nonne. Gewiß, erwidert Mama und setzt sich in den Wagen, Und der
Wagen rollt fort, der Schutz, den das arme Kind von jetzt an von seiner
Mutter zu erwarten hat, ist so viel werth, wie die Staubwolke, die der
Wind da unten verweht. Nun beginnt eine harte Zeit. An Aeußerungen
zärtlicher Liebe war daS Mädchen im elterlichen Hause vielleicht nicht ge¬
wöhnt, aber doch an einen gewissen Grad von Bequemlichkeit — an Dienst¬
boten hatte eS ja nicht gefehlt. Jetzt wird die Kleine als Laienschwester selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/83>, abgerufen am 22.07.2024.