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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Hunderten nur durch ein peinlich genaues Studium der alten Musterschriststeller
erworben werden konnte. Die Diction dieser Romane häuft in einer unglaublichen
Weise alles, was die Rhetoren an schönrednerischen Wendungen erfunden
haben. Es ist eine tolle Jagd nach Antithesen, gesuchten Wortverbindungen
und Stellungen, zierlichen Süßlichkeiten, Wortspielen, raffinirten Bildern,
lieblichem Silbenfall und immer klangvollen Ohrenkitzel. Daß dieses Streben
nach einem belebten, eleganten Stile häufig zu wirklich schönen Stellen führte,
muß allerdings anerkannt werden. "O schmachvoller Sieg," klagt Daphnis
die in ihm erwachende Liebe zur Chloe an, "o neue Krankheit, deren Namen
ich nicht einmal nennen kann! Wie lieblich singen die Nachtigallen und meine
Hirtenflöte schweigt? Wie fröhlich springen die Ziegen umher und ich sitze hier
still? Wie herrlich blühen die Blumen und ich winde keine Kränze? Veilchen
und Hyacinthen blühen, Daphnis aber verzehrt sich." Ueber diesen Antithesen
schwebt ein Hauch von fast moderner Sehnsucht; aber reines Phrasengeklingel
ist die Wehklage, mit der Lamo seinen zerstörten Garten beweint. "Weh des
Rosenflors, wie er zerknickt ist; weh deS VeilchenbeetS, wie es zertreten ist;
weh der Hyacinthen und Narcissen, die ein Frevler ausgrub! Kommen wird
der Frühling, sie aber werden nicht blühen; kommen wird der Sommer, sie
aber werden nicht erstarken; kommen wird der Herbst, aber sie werden niemand
kränzen." Als Beweis, daß auch Heliodor zuweilen nicht ohne Phantasie
und wahres Gefühl schreibt, gelte folgender Monolog, in den TheageneS aus¬
bricht, als er in einer Höhle den vermeintlichen Leichnam der Chäriklea findet:
"O unerträgliches Leid, o gottgesandtes Verderben! Welche so unersättliche
Erinnys jubelt über unser Elend, die uns die Flucht aus der Heimath auf¬
erlegte, uns in die Schrecknisse des Meeres, in die Schrecknisse der Piraten
stürzte, so oft in die Hände der Räuber gab, von den Unsrigen uns entfernte.
Nur diese eine blieb mir für alles! Auch sie ist mir genommen. Da liegt
Chäriklea, ein Raub feindlicher Hand ward die Süße, sicherlich kämpfend, um
sich mir zu bewahren. Da liegt die Unglückliche, ohne ihrer Jugend sich ge¬
freut zu haben. -- O rede noch einmal zu mir, so wie Du pflegtest; noch
einmal beseele Dich für einen Augenblick----weh mir, Du bleibst
stumm! Diesen priesterlichen Mund umdeckt Schweigen, und Dunkel die Trä¬
gerin des heiligen Feuers, und die Unterwelt empfing die Bewohnerin deS
Tempels. Die Augen sind lichtlos, die alles durch ihre Schönheit unter¬
warfen. Gewiß der Mörder sah sie nicht! -- Wie soll ich Dich nennen?
Braut? Aber Du bist ohne Geliebten! -- Gattin? Aber Du wurdest eS nicht!
Wie anders soll ich Dich künftig anreden, als mit dem süßesten aller Namen,
Chäriklea? O Chäriklea, fasse Muth! Dein Geliebter ist Dir treu. Bald
sollst Du mich besitzen. Denn siehe, ich bringe Dir als Todtenopfer mich,
und weihen werde ich ein Dir theures Blut, das meine. Anschließen soll


Hunderten nur durch ein peinlich genaues Studium der alten Musterschriststeller
erworben werden konnte. Die Diction dieser Romane häuft in einer unglaublichen
Weise alles, was die Rhetoren an schönrednerischen Wendungen erfunden
haben. Es ist eine tolle Jagd nach Antithesen, gesuchten Wortverbindungen
und Stellungen, zierlichen Süßlichkeiten, Wortspielen, raffinirten Bildern,
lieblichem Silbenfall und immer klangvollen Ohrenkitzel. Daß dieses Streben
nach einem belebten, eleganten Stile häufig zu wirklich schönen Stellen führte,
muß allerdings anerkannt werden. „O schmachvoller Sieg," klagt Daphnis
die in ihm erwachende Liebe zur Chloe an, „o neue Krankheit, deren Namen
ich nicht einmal nennen kann! Wie lieblich singen die Nachtigallen und meine
Hirtenflöte schweigt? Wie fröhlich springen die Ziegen umher und ich sitze hier
still? Wie herrlich blühen die Blumen und ich winde keine Kränze? Veilchen
und Hyacinthen blühen, Daphnis aber verzehrt sich." Ueber diesen Antithesen
schwebt ein Hauch von fast moderner Sehnsucht; aber reines Phrasengeklingel
ist die Wehklage, mit der Lamo seinen zerstörten Garten beweint. „Weh des
Rosenflors, wie er zerknickt ist; weh deS VeilchenbeetS, wie es zertreten ist;
weh der Hyacinthen und Narcissen, die ein Frevler ausgrub! Kommen wird
der Frühling, sie aber werden nicht blühen; kommen wird der Sommer, sie
aber werden nicht erstarken; kommen wird der Herbst, aber sie werden niemand
kränzen." Als Beweis, daß auch Heliodor zuweilen nicht ohne Phantasie
und wahres Gefühl schreibt, gelte folgender Monolog, in den TheageneS aus¬
bricht, als er in einer Höhle den vermeintlichen Leichnam der Chäriklea findet:
„O unerträgliches Leid, o gottgesandtes Verderben! Welche so unersättliche
Erinnys jubelt über unser Elend, die uns die Flucht aus der Heimath auf¬
erlegte, uns in die Schrecknisse des Meeres, in die Schrecknisse der Piraten
stürzte, so oft in die Hände der Räuber gab, von den Unsrigen uns entfernte.
Nur diese eine blieb mir für alles! Auch sie ist mir genommen. Da liegt
Chäriklea, ein Raub feindlicher Hand ward die Süße, sicherlich kämpfend, um
sich mir zu bewahren. Da liegt die Unglückliche, ohne ihrer Jugend sich ge¬
freut zu haben. — O rede noch einmal zu mir, so wie Du pflegtest; noch
einmal beseele Dich für einen Augenblick----weh mir, Du bleibst
stumm! Diesen priesterlichen Mund umdeckt Schweigen, und Dunkel die Trä¬
gerin des heiligen Feuers, und die Unterwelt empfing die Bewohnerin deS
Tempels. Die Augen sind lichtlos, die alles durch ihre Schönheit unter¬
warfen. Gewiß der Mörder sah sie nicht! — Wie soll ich Dich nennen?
Braut? Aber Du bist ohne Geliebten! — Gattin? Aber Du wurdest eS nicht!
Wie anders soll ich Dich künftig anreden, als mit dem süßesten aller Namen,
Chäriklea? O Chäriklea, fasse Muth! Dein Geliebter ist Dir treu. Bald
sollst Du mich besitzen. Denn siehe, ich bringe Dir als Todtenopfer mich,
und weihen werde ich ein Dir theures Blut, das meine. Anschließen soll


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/74>, abgerufen am 12.12.2024.