Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.jetzt verlorene Romane verdanken, lassen noch erkennen, daß auch diese den Betrachten wir zunächst den Roman, den Heliodor aus der phönizischen Die Abenteuer derselben sind vielleicht ebenso zahlreich als die des Gil jetzt verlorene Romane verdanken, lassen noch erkennen, daß auch diese den Betrachten wir zunächst den Roman, den Heliodor aus der phönizischen Die Abenteuer derselben sind vielleicht ebenso zahlreich als die des Gil <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104270"/> <p xml:id="ID_202" prev="#ID_201"> jetzt verlorene Romane verdanken, lassen noch erkennen, daß auch diese den<lb/> Charakter der erhaltenen trugen. Nur ein Blick in die Entstehungsgeschichte<lb/> dieser Werke kann uns zeigen, daß sie von Anfang an auf einen ganz andern<lb/> Boden gestellt waren, als die ähnliche Literatur der Modernen.</p><lb/> <p xml:id="ID_203"> Betrachten wir zunächst den Roman, den Heliodor aus der phönizischen<lb/> Stadt Emesa, gegen das Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. unter dem Titel:<lb/> „Zehn Bücher Acts lo pisch es" schrieb und der die Liebe deS Theagenes<lb/> und der Chäriklea enthält. Das Werk erregte in gewissen Kreisen, wie wir<lb/> das nennen würden. Sensation. Es hat sich darüber die ganz interessante<lb/> Notiz eines sonst unbekannten Philosophen Philippos erhalten. „Als ich eines<lb/> Tages, erzählt er. aus den Thoren von Rhegium ging, um am Meere einen<lb/> Spaziergang zu machen, sah ich Plötzlich zwei Freunde auf mich zukommen.<lb/> Sie forderten mich auf, mit ihnen zu den Propyläen des Aphroditetempels zu<lb/> gehen, wo viele Gelehrte versammelt seien, um daS Buch über die Chäriklea<lb/> vorlesen zu hören, von denen die meisten die Geschichte schmäheten und ver¬<lb/> spotteten. Ich aber, fuhr mein Freund fort, bin ein Verehrer der Chäriklea.<lb/> und ärgere mich darüber; ich beschwöre dich deshalb bei deiner Gelehrsamkeit,<lb/> diese züchtige Jungfrau nicht verhöhnen zu lassen, sondern mit deiner Weis¬<lb/> heit dagegen aufzutreten und diesen geschwätzigen Lügnern zu beweisen, daß<lb/> die Erzählung von der Chäriklea über allen Tadel erhaben ist." Diese züchtige<lb/> Jungfrau wurde von einem delphischen Priester erzogen und wollte sich selbst<lb/> dem Priesterdienst der Artemis widmen. Da erblickt sie bei einem Feste deS<lb/> Apollo den Theagenes, Führer einer thessalischen Gesandtschaft, und faßt<lb/> für ihn eine ebenso heftige Leidenschaft, als sie ihm einflößt. Die öffentlichen<lb/> Götterfeste dienten überhaupt, wie heutzutage die Messe in Italien, zur An¬<lb/> knüpfung von Liebesverhältnissen, indem sonst wenig Gelegenheit zu Bekannt¬<lb/> schaften sich darbot, und waren insofern ein erwünschtes Surrogat für dle<lb/> Bälle unserer heutigen guten Gesellschaft oder der Brunnen den dienenden Classe.<lb/> In Begleitung eines ägyptischen Priesters entfliehen beide auf einem phömc.-<lb/> schen Schiffe aus Griechenland. Der Versasser stürzt nun daS Liebespaar in<lb/> eine Flut von Abenteuern, deren Zweck ist, die unerschütterliche gegenseitige<lb/> Treue der beiden Liebenden zu verherrlichen. Sie werden auf der Seefahrt<lb/> von Pisten gefangen, gerathen dann in die Hände von Landräubern, ge¬<lb/> langen an den Hof deS persischen Satrapen von Aegypten und fallen zuletzt<lb/> in die Gewalt deS Hydaspes, Königs der Aethiopen, als dessen ehemals aus¬<lb/> gesetzte Tochter die Chäriklea erkannt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> Die Abenteuer derselben sind vielleicht ebenso zahlreich als die des Gil<lb/> Blas. Indeß läßt sich in der Erfindung des romanhaften Stoffes eine ge¬<lb/> wisse Eintönigkeit nicht verkennen. Die Lage der beiden Hauptpersonen ändert<lb/> sich vier bis fünfmal durch dasselbe Mittel: sie werden geraubt. Dieser Raub</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
jetzt verlorene Romane verdanken, lassen noch erkennen, daß auch diese den
Charakter der erhaltenen trugen. Nur ein Blick in die Entstehungsgeschichte
dieser Werke kann uns zeigen, daß sie von Anfang an auf einen ganz andern
Boden gestellt waren, als die ähnliche Literatur der Modernen.
Betrachten wir zunächst den Roman, den Heliodor aus der phönizischen
Stadt Emesa, gegen das Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. unter dem Titel:
„Zehn Bücher Acts lo pisch es" schrieb und der die Liebe deS Theagenes
und der Chäriklea enthält. Das Werk erregte in gewissen Kreisen, wie wir
das nennen würden. Sensation. Es hat sich darüber die ganz interessante
Notiz eines sonst unbekannten Philosophen Philippos erhalten. „Als ich eines
Tages, erzählt er. aus den Thoren von Rhegium ging, um am Meere einen
Spaziergang zu machen, sah ich Plötzlich zwei Freunde auf mich zukommen.
Sie forderten mich auf, mit ihnen zu den Propyläen des Aphroditetempels zu
gehen, wo viele Gelehrte versammelt seien, um daS Buch über die Chäriklea
vorlesen zu hören, von denen die meisten die Geschichte schmäheten und ver¬
spotteten. Ich aber, fuhr mein Freund fort, bin ein Verehrer der Chäriklea.
und ärgere mich darüber; ich beschwöre dich deshalb bei deiner Gelehrsamkeit,
diese züchtige Jungfrau nicht verhöhnen zu lassen, sondern mit deiner Weis¬
heit dagegen aufzutreten und diesen geschwätzigen Lügnern zu beweisen, daß
die Erzählung von der Chäriklea über allen Tadel erhaben ist." Diese züchtige
Jungfrau wurde von einem delphischen Priester erzogen und wollte sich selbst
dem Priesterdienst der Artemis widmen. Da erblickt sie bei einem Feste deS
Apollo den Theagenes, Führer einer thessalischen Gesandtschaft, und faßt
für ihn eine ebenso heftige Leidenschaft, als sie ihm einflößt. Die öffentlichen
Götterfeste dienten überhaupt, wie heutzutage die Messe in Italien, zur An¬
knüpfung von Liebesverhältnissen, indem sonst wenig Gelegenheit zu Bekannt¬
schaften sich darbot, und waren insofern ein erwünschtes Surrogat für dle
Bälle unserer heutigen guten Gesellschaft oder der Brunnen den dienenden Classe.
In Begleitung eines ägyptischen Priesters entfliehen beide auf einem phömc.-
schen Schiffe aus Griechenland. Der Versasser stürzt nun daS Liebespaar in
eine Flut von Abenteuern, deren Zweck ist, die unerschütterliche gegenseitige
Treue der beiden Liebenden zu verherrlichen. Sie werden auf der Seefahrt
von Pisten gefangen, gerathen dann in die Hände von Landräubern, ge¬
langen an den Hof deS persischen Satrapen von Aegypten und fallen zuletzt
in die Gewalt deS Hydaspes, Königs der Aethiopen, als dessen ehemals aus¬
gesetzte Tochter die Chäriklea erkannt wird.
Die Abenteuer derselben sind vielleicht ebenso zahlreich als die des Gil
Blas. Indeß läßt sich in der Erfindung des romanhaften Stoffes eine ge¬
wisse Eintönigkeit nicht verkennen. Die Lage der beiden Hauptpersonen ändert
sich vier bis fünfmal durch dasselbe Mittel: sie werden geraubt. Dieser Raub
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