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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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("in Gestalt von Schlafmützen?") auf, die von der Unzulänglichkeit Liszts als
Dirigent zu sprechen und zu schreiben sich erkühnen. ES entsteht nun die
Frage, woher es kommen mag, daß Liszt, der sich wahrlich nicht zu beklagen
hat über das Interesse, was ihm die musikalische und die unmusikalische Welt
von jeher bezeigte, immer auf starke Opposition geräth, wenn er sich bei größeren
Aufführungen alö Dirigent betheiligt. Sollte diese Opposition wirklich nur
erheuchelt sein, nur aus Neid und Vorurtheil entstehen? oder sollte es auch
eine ZuwnftSdirigirkunst geben, welche jetzt noch nicht verständlich ist? Im
letzteren Falle würde es jedenfalls praktisch sein, diese auch für die Zukunft
aufzubewahren und die Gegenwart nicht damit zu behelligen. Es ist eine
eigne Sache um den Dirigentenstab und seine Telegraphie. Wenn es aller¬
dings Dirigenten gibt, die nicht viel mehr thun als ein Metronom, (wobei aber
doch immer zu bemerken ist, daß sie sich selbst aufs'richtige Tempo stellen
müssen), so wird bei andern der kleine Taktstock zu einer Art von elektrischem
Leiter, durch dessen Handhabe der Dirigent seine Gefühls- und Auffassungsweise
bis zu kleinen Einzelheiten den Ausführenden mittheilt, und durch welchen er
im Stande ist einer großen, zuweilen chaotischen Masse Einheit, Leben und
Seele zu geben. Das Erste wird jedoch immer von Seiten des Dirigenten
sein müssen, daß er die Ausübenden vollkommen ruhig und sicher leite in Be¬
zug auf die, wenn man eS so nennen will, materielle Ausführung eines
Tonwerkes. "Das geistige Durchdringen und Entflammen der Herzen" muß
bei der Musik doch damit anfangen, daß die Töne, die zusammengehört werden
sollen, auch genau zusammentreffen. Jeder Spielende und Singende muß genau
verstehen, welches Tempo der Dirigent haben will, jeder Pausenzählende muß
sich orientiren können bezüglich 'des TakttheileS, an welchem man steht. Die
"llergenaueste Einhaltung der zu diesem Zwecke einmal herkömmlichen und in
der rhythmischen Natur deS Menschen begründeten Zeichen gibt übrigens nicht
das geringste Hinderniß ab, auch die besondere Art, wie man sie im Einzelnen
handhabt und° außerdem noch, wie der alte Matscher es schon vor mehr als
einem Jahrhundert ausgesprochen*) "durch einen Wink oder Blick mit Hand
und Auge" im Momente der Ausführung noch alles das mitzutheilen, waS
aus einem oder dem andern Grunde einer neuen Erinnerung bedarf. Eine
auffallende Abweichung von den üblichen TaktirungSzeichen hat gar keine Be¬
rechtigung, wogegen es jedem Dirigenten unbenommen bleibt, sich durch Hinzu-
fügung .'Sues neuen Zeichens ein neues Mittel der Verständigung zu schaffen.
Den Takt so zu schlagen, daß man fortwährend seine Absichten von neuem
erklären muß, wie es Liszt allzuoft erging, bei Ninforzandos auf schlechten
Takttheilen diese zu schlagen, wie er es zum Beispiel zu Anfang des AllegroS



") Siehe "der vollkommne Kapellmeister" Seite 482,

(„in Gestalt von Schlafmützen?") auf, die von der Unzulänglichkeit Liszts als
Dirigent zu sprechen und zu schreiben sich erkühnen. ES entsteht nun die
Frage, woher es kommen mag, daß Liszt, der sich wahrlich nicht zu beklagen
hat über das Interesse, was ihm die musikalische und die unmusikalische Welt
von jeher bezeigte, immer auf starke Opposition geräth, wenn er sich bei größeren
Aufführungen alö Dirigent betheiligt. Sollte diese Opposition wirklich nur
erheuchelt sein, nur aus Neid und Vorurtheil entstehen? oder sollte es auch
eine ZuwnftSdirigirkunst geben, welche jetzt noch nicht verständlich ist? Im
letzteren Falle würde es jedenfalls praktisch sein, diese auch für die Zukunft
aufzubewahren und die Gegenwart nicht damit zu behelligen. Es ist eine
eigne Sache um den Dirigentenstab und seine Telegraphie. Wenn es aller¬
dings Dirigenten gibt, die nicht viel mehr thun als ein Metronom, (wobei aber
doch immer zu bemerken ist, daß sie sich selbst aufs'richtige Tempo stellen
müssen), so wird bei andern der kleine Taktstock zu einer Art von elektrischem
Leiter, durch dessen Handhabe der Dirigent seine Gefühls- und Auffassungsweise
bis zu kleinen Einzelheiten den Ausführenden mittheilt, und durch welchen er
im Stande ist einer großen, zuweilen chaotischen Masse Einheit, Leben und
Seele zu geben. Das Erste wird jedoch immer von Seiten des Dirigenten
sein müssen, daß er die Ausübenden vollkommen ruhig und sicher leite in Be¬
zug auf die, wenn man eS so nennen will, materielle Ausführung eines
Tonwerkes. „Das geistige Durchdringen und Entflammen der Herzen" muß
bei der Musik doch damit anfangen, daß die Töne, die zusammengehört werden
sollen, auch genau zusammentreffen. Jeder Spielende und Singende muß genau
verstehen, welches Tempo der Dirigent haben will, jeder Pausenzählende muß
sich orientiren können bezüglich 'des TakttheileS, an welchem man steht. Die
«llergenaueste Einhaltung der zu diesem Zwecke einmal herkömmlichen und in
der rhythmischen Natur deS Menschen begründeten Zeichen gibt übrigens nicht
das geringste Hinderniß ab, auch die besondere Art, wie man sie im Einzelnen
handhabt und° außerdem noch, wie der alte Matscher es schon vor mehr als
einem Jahrhundert ausgesprochen*) „durch einen Wink oder Blick mit Hand
und Auge" im Momente der Ausführung noch alles das mitzutheilen, waS
aus einem oder dem andern Grunde einer neuen Erinnerung bedarf. Eine
auffallende Abweichung von den üblichen TaktirungSzeichen hat gar keine Be¬
rechtigung, wogegen es jedem Dirigenten unbenommen bleibt, sich durch Hinzu-
fügung .'Sues neuen Zeichens ein neues Mittel der Verständigung zu schaffen.
Den Takt so zu schlagen, daß man fortwährend seine Absichten von neuem
erklären muß, wie es Liszt allzuoft erging, bei Ninforzandos auf schlechten
Takttheilen diese zu schlagen, wie er es zum Beispiel zu Anfang des AllegroS



") Siehe „der vollkommne Kapellmeister" Seite 482,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/63>, abgerufen am 26.08.2024.