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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zu declamiren, und Schatten und Licht im Ganzen zu vertheilen: mit einem
Worte, einen Fortschritt im Stil der Ausführung selbst. Dieser knüpft
zwischen dem spielenden und dirigirenden Musiker ein Band von anderer Art,
als das, welches durch einen unverwüstlichen Taktschlager gekettet wird. An
vielen Stellen möchte selbst die grobe Aufrechthaltung des Taktes und jedes
einzelnen Takttheiles ^ 1, 2, 3, 4 j 1,2,3,4 j einem Sinn- und verständnißvollen
Ausdruck entgegenarbeiten. Hier, wie allerwärts, tobtet der Buchstabe den
Geist -- ein Todesurtheil, das ich nie unterzeichnen werde, wie gehässig auch
in ihrer erheuchelten Unparteilichkeit die Angriffe ausfallen, welchen ich aus¬
gesetzt sein mag.

Für die Werke von Beethoven, Berlioz, Wagner in. sehe ich noch weniger
als für andere die Vortheile ein (die ich auch anderwärts mit Ueberzeugung
bestreiten möchte), welche daraus entstehen könnten, daß ein Dirigent die Func-
tion einer Windmühle zu der seinigen macht, und im Schweiß seines Ange¬
sichts seinem Personal die Wärme der Begeisterung mitzutheilen sucht. Da
namentlich, wo es sich um Verständniß und Gefühl handelt, um ein geistiges
Durchdringen, um ein Entflammen der Herzen zu geistiger Gemeinschaft im
Genusse des Schönen, Großen und Wahren in der Kunst und Poesie, da
dürfte die Selbstgenügsamkeit und handwerksmäßige Fertigkeit des gewöhn¬
lichen Kapellmeisters nicht mehr genügen, sondern dürfte sogar mit der Würde
und erhabenen Freiheit der Kunst in Widerspruch stehen! Auch werde ich, mit
Erlaubniß meiner gefälligen Kritiker, bei jeder weiteren Gelegenheit es bei
meiner ungenüge nden Fäh ig keit (oder "Unzulänglichkeit") bewenden lassen
und zwar principiell und einer innern Ueberzeugung folgend, welche mich
niemals zu der Stelle eines TaktprosoßeS herabsinken lassen wird -- eine
Stelle, zu der mich fünfundzwanzig Jahre Erfahrung, Studium und aufrich¬
tige Begeisterung für die Kunst in keiner Weise geeignet machen."

Und später: "Ich glaube es schon einmal gegen Sie ausgesprochen zu
haben: Die wirkliche Aufgabe eines Kapellmeisters besteht, meiner Meinung
nach, darin, sich augenscheinlich überflüssig zu machen -- und mit seiner
Funktion möglichst zu verschwinden. Wir sind Steuermänner und keine
Ruderknechte."

Und zum Schluß: "Darum werde ich fortfahren, ohne Entmuthigung, ohne
falsche Bescheidenheit, der Kunst meine Dienste zu weihen, wie ich es für daS
Beste halte und wie es wol auch am besten sein wird.

Nehmen wir also den Fehdehandschuh, welcher uns in Gestalt von Schlaf¬
mützen hingeworfen wurde, ohne Unruhe und Sorge auf, und beharren wir
im Bewußtsein unseres Rechts -- und unserer Zukunft."


F. Liszt.

Weimar, den 3. November 4 833.

Und nun nach Verlauf von vier Jahren stehen wieder zahlreiche Kritiker


zu declamiren, und Schatten und Licht im Ganzen zu vertheilen: mit einem
Worte, einen Fortschritt im Stil der Ausführung selbst. Dieser knüpft
zwischen dem spielenden und dirigirenden Musiker ein Band von anderer Art,
als das, welches durch einen unverwüstlichen Taktschlager gekettet wird. An
vielen Stellen möchte selbst die grobe Aufrechthaltung des Taktes und jedes
einzelnen Takttheiles ^ 1, 2, 3, 4 j 1,2,3,4 j einem Sinn- und verständnißvollen
Ausdruck entgegenarbeiten. Hier, wie allerwärts, tobtet der Buchstabe den
Geist — ein Todesurtheil, das ich nie unterzeichnen werde, wie gehässig auch
in ihrer erheuchelten Unparteilichkeit die Angriffe ausfallen, welchen ich aus¬
gesetzt sein mag.

Für die Werke von Beethoven, Berlioz, Wagner in. sehe ich noch weniger
als für andere die Vortheile ein (die ich auch anderwärts mit Ueberzeugung
bestreiten möchte), welche daraus entstehen könnten, daß ein Dirigent die Func-
tion einer Windmühle zu der seinigen macht, und im Schweiß seines Ange¬
sichts seinem Personal die Wärme der Begeisterung mitzutheilen sucht. Da
namentlich, wo es sich um Verständniß und Gefühl handelt, um ein geistiges
Durchdringen, um ein Entflammen der Herzen zu geistiger Gemeinschaft im
Genusse des Schönen, Großen und Wahren in der Kunst und Poesie, da
dürfte die Selbstgenügsamkeit und handwerksmäßige Fertigkeit des gewöhn¬
lichen Kapellmeisters nicht mehr genügen, sondern dürfte sogar mit der Würde
und erhabenen Freiheit der Kunst in Widerspruch stehen! Auch werde ich, mit
Erlaubniß meiner gefälligen Kritiker, bei jeder weiteren Gelegenheit es bei
meiner ungenüge nden Fäh ig keit (oder „Unzulänglichkeit") bewenden lassen
und zwar principiell und einer innern Ueberzeugung folgend, welche mich
niemals zu der Stelle eines TaktprosoßeS herabsinken lassen wird — eine
Stelle, zu der mich fünfundzwanzig Jahre Erfahrung, Studium und aufrich¬
tige Begeisterung für die Kunst in keiner Weise geeignet machen."

Und später: „Ich glaube es schon einmal gegen Sie ausgesprochen zu
haben: Die wirkliche Aufgabe eines Kapellmeisters besteht, meiner Meinung
nach, darin, sich augenscheinlich überflüssig zu machen — und mit seiner
Funktion möglichst zu verschwinden. Wir sind Steuermänner und keine
Ruderknechte."

Und zum Schluß: „Darum werde ich fortfahren, ohne Entmuthigung, ohne
falsche Bescheidenheit, der Kunst meine Dienste zu weihen, wie ich es für daS
Beste halte und wie es wol auch am besten sein wird.

Nehmen wir also den Fehdehandschuh, welcher uns in Gestalt von Schlaf¬
mützen hingeworfen wurde, ohne Unruhe und Sorge auf, und beharren wir
im Bewußtsein unseres Rechts — und unserer Zukunft."


F. Liszt.

Weimar, den 3. November 4 833.

Und nun nach Verlauf von vier Jahren stehen wieder zahlreiche Kritiker


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[0062] zu declamiren, und Schatten und Licht im Ganzen zu vertheilen: mit einem Worte, einen Fortschritt im Stil der Ausführung selbst. Dieser knüpft zwischen dem spielenden und dirigirenden Musiker ein Band von anderer Art, als das, welches durch einen unverwüstlichen Taktschlager gekettet wird. An vielen Stellen möchte selbst die grobe Aufrechthaltung des Taktes und jedes einzelnen Takttheiles ^ 1, 2, 3, 4 j 1,2,3,4 j einem Sinn- und verständnißvollen Ausdruck entgegenarbeiten. Hier, wie allerwärts, tobtet der Buchstabe den Geist — ein Todesurtheil, das ich nie unterzeichnen werde, wie gehässig auch in ihrer erheuchelten Unparteilichkeit die Angriffe ausfallen, welchen ich aus¬ gesetzt sein mag. Für die Werke von Beethoven, Berlioz, Wagner in. sehe ich noch weniger als für andere die Vortheile ein (die ich auch anderwärts mit Ueberzeugung bestreiten möchte), welche daraus entstehen könnten, daß ein Dirigent die Func- tion einer Windmühle zu der seinigen macht, und im Schweiß seines Ange¬ sichts seinem Personal die Wärme der Begeisterung mitzutheilen sucht. Da namentlich, wo es sich um Verständniß und Gefühl handelt, um ein geistiges Durchdringen, um ein Entflammen der Herzen zu geistiger Gemeinschaft im Genusse des Schönen, Großen und Wahren in der Kunst und Poesie, da dürfte die Selbstgenügsamkeit und handwerksmäßige Fertigkeit des gewöhn¬ lichen Kapellmeisters nicht mehr genügen, sondern dürfte sogar mit der Würde und erhabenen Freiheit der Kunst in Widerspruch stehen! Auch werde ich, mit Erlaubniß meiner gefälligen Kritiker, bei jeder weiteren Gelegenheit es bei meiner ungenüge nden Fäh ig keit (oder „Unzulänglichkeit") bewenden lassen und zwar principiell und einer innern Ueberzeugung folgend, welche mich niemals zu der Stelle eines TaktprosoßeS herabsinken lassen wird — eine Stelle, zu der mich fünfundzwanzig Jahre Erfahrung, Studium und aufrich¬ tige Begeisterung für die Kunst in keiner Weise geeignet machen." Und später: „Ich glaube es schon einmal gegen Sie ausgesprochen zu haben: Die wirkliche Aufgabe eines Kapellmeisters besteht, meiner Meinung nach, darin, sich augenscheinlich überflüssig zu machen — und mit seiner Funktion möglichst zu verschwinden. Wir sind Steuermänner und keine Ruderknechte." Und zum Schluß: „Darum werde ich fortfahren, ohne Entmuthigung, ohne falsche Bescheidenheit, der Kunst meine Dienste zu weihen, wie ich es für daS Beste halte und wie es wol auch am besten sein wird. Nehmen wir also den Fehdehandschuh, welcher uns in Gestalt von Schlaf¬ mützen hingeworfen wurde, ohne Unruhe und Sorge auf, und beharren wir im Bewußtsein unseres Rechts — und unserer Zukunft." F. Liszt. Weimar, den 3. November 4 833. Und nun nach Verlauf von vier Jahren stehen wieder zahlreiche Kritiker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/62>, abgerufen am 26.08.2024.