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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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leidigen mag. Geschmacklosigkeit und Abwesenheit jeder Achtung vor dem
wahrhaft Schönen zeigen sich überall in der Bearbeitung des Herrn Pohl.
Wir würden dieselbe gar keiner so ausgedehnten Besprechung sür werth ge¬
halten haben, wenn Herr Pohl-Heglit nicht zu den eifrigsten Vorsprechern
der sogenannten Zukunftspartei gehörte, und eS deshalb von einigem Interesse
wäre zu sehen, wie es bei seinen eignen Leistungen mit seiner Urtheilsfähigkeit
beschaffen ist. Doch genug davon. Wenden wir uns zur Composition des
trefflichen Schumann.

Jeder, der mit der Schumannschen Muse vertraut ist, wird voraussetzen,
daß unter den Liedern und Gesängen, welche "des Sängers Fluch" enthält,
Treffliches sich befinde. Allerdings sind manche schöne Sachen darin und alles
athmet Musik, echte, spontane Musik; aber auf der Höhe der letzten Schumann¬
schen Gesänge steht doch keine Nummer dieses Werkes.- Das provenyalische
Lied ist anmuthig, die Ballade vom König Sifrit charakteristisch, wenn auch
hier und da ans Bizarre streifend; es ist Schwung im Freiheitsduett der bei-
ren Sänger, und der Chor klingt frisch, fast volksthümlich dazwischen, aber,
wie gesagt, Schumann hat in seinen lyrischen Cvmposttionen viel Tieferes,
Originelleres und melodisch Schöneres geschaffen. Dazu kommt noch, daß
die Abwesenheit lebendig dramatischer Auffassung an vielen Stellen gradezu
störend hervortritt. Gleich zu Anfang, es ist sast unbegreiflich, läßt der Com-
Ponist den Harfner ganz und gar im Tone der Erzählerin fortfahren, so daß
das Epische mit dem Dramatischen hier ganz und gar zusammenfließt. Das dar¬
auf folgende Duett ist gar zu schwankend im Ausdruck, was die Worte doch
nicht ganz entschuldigen können. DaS begeisterte Eintreten des Männerchorö
tritt sehr lebendig hervor, aber das Auftreten der Königin ist gar zu duftig,
und der letzte mörderische Zornausbruch des Königs so wenig vorbereitet, so
hastig und schnell abgefertigt, daß man über diesen Hauptmoment der Hand¬
lung sast hinwegkommt, ohne zu merken, daß etwas Besonderes vorgegangen.
Der Fluch des Harfners entbehrt, trotz manches charakteristischen harmonischen
Details, der Kraft und gleicht mehr einem schlimmen Traum, als einem aus
dem Innersten hervorbrechenden Sturm. Das "Versunken und Vergessen" des
Ehors, welcher plötzlich in die Stelle der Erzählerin eintritt, und die
Anfangsmelodie dieser letzteren aufnimmt, ist auch zu matt, um zum Schlüsse
eingreifend zu wirken. .

Trotz alledem wird das Werk eine willkommene Bereicherung für die bes¬
seren Concertinstitute abgeben, aber sür ein Mustkfest ist eS wenig gemacht.
Es hat etwas niederdrückendes, wenn die seltene Vereinigung so großer, schöner
Kräfte nicht auf wirksamere Weise benutzt wird. Die Betheiligung des Chores
ist gering, und auch die Solisten haben wenig Gelegenheit bedeutsam hervor¬
zutreten. Man erzählte uns, Liszt selbst habe das Werk gar nicht gekannt,


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leidigen mag. Geschmacklosigkeit und Abwesenheit jeder Achtung vor dem
wahrhaft Schönen zeigen sich überall in der Bearbeitung des Herrn Pohl.
Wir würden dieselbe gar keiner so ausgedehnten Besprechung sür werth ge¬
halten haben, wenn Herr Pohl-Heglit nicht zu den eifrigsten Vorsprechern
der sogenannten Zukunftspartei gehörte, und eS deshalb von einigem Interesse
wäre zu sehen, wie es bei seinen eignen Leistungen mit seiner Urtheilsfähigkeit
beschaffen ist. Doch genug davon. Wenden wir uns zur Composition des
trefflichen Schumann.

Jeder, der mit der Schumannschen Muse vertraut ist, wird voraussetzen,
daß unter den Liedern und Gesängen, welche „des Sängers Fluch" enthält,
Treffliches sich befinde. Allerdings sind manche schöne Sachen darin und alles
athmet Musik, echte, spontane Musik; aber auf der Höhe der letzten Schumann¬
schen Gesänge steht doch keine Nummer dieses Werkes.- Das provenyalische
Lied ist anmuthig, die Ballade vom König Sifrit charakteristisch, wenn auch
hier und da ans Bizarre streifend; es ist Schwung im Freiheitsduett der bei-
ren Sänger, und der Chor klingt frisch, fast volksthümlich dazwischen, aber,
wie gesagt, Schumann hat in seinen lyrischen Cvmposttionen viel Tieferes,
Originelleres und melodisch Schöneres geschaffen. Dazu kommt noch, daß
die Abwesenheit lebendig dramatischer Auffassung an vielen Stellen gradezu
störend hervortritt. Gleich zu Anfang, es ist sast unbegreiflich, läßt der Com-
Ponist den Harfner ganz und gar im Tone der Erzählerin fortfahren, so daß
das Epische mit dem Dramatischen hier ganz und gar zusammenfließt. Das dar¬
auf folgende Duett ist gar zu schwankend im Ausdruck, was die Worte doch
nicht ganz entschuldigen können. DaS begeisterte Eintreten des Männerchorö
tritt sehr lebendig hervor, aber das Auftreten der Königin ist gar zu duftig,
und der letzte mörderische Zornausbruch des Königs so wenig vorbereitet, so
hastig und schnell abgefertigt, daß man über diesen Hauptmoment der Hand¬
lung sast hinwegkommt, ohne zu merken, daß etwas Besonderes vorgegangen.
Der Fluch des Harfners entbehrt, trotz manches charakteristischen harmonischen
Details, der Kraft und gleicht mehr einem schlimmen Traum, als einem aus
dem Innersten hervorbrechenden Sturm. Das „Versunken und Vergessen" des
Ehors, welcher plötzlich in die Stelle der Erzählerin eintritt, und die
Anfangsmelodie dieser letzteren aufnimmt, ist auch zu matt, um zum Schlüsse
eingreifend zu wirken. .

Trotz alledem wird das Werk eine willkommene Bereicherung für die bes¬
seren Concertinstitute abgeben, aber sür ein Mustkfest ist eS wenig gemacht.
Es hat etwas niederdrückendes, wenn die seltene Vereinigung so großer, schöner
Kräfte nicht auf wirksamere Weise benutzt wird. Die Betheiligung des Chores
ist gering, und auch die Solisten haben wenig Gelegenheit bedeutsam hervor¬
zutreten. Man erzählte uns, Liszt selbst habe das Werk gar nicht gekannt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/59>, abgerufen am 25.08.2024.