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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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falls fürs Concert eine viel zu breite Behandlung hat, stand im Textbuch noch
einmal nach dem Schlußchoral der Cantate abgedruckt, er sollte also gegen
alle handhabe Form hier wiederholt werden. Man ging davon ab, aber wie
konnte man nur auf den Einfall kommen, es thun zu wollen?

Mit gleicher Willkür hatte man den herrlichen und an seiner Stelle
gewiß sehr wirksamen Schlußchor der Cantate, "Ich hatte viel Bekümmerniß"
der besprochenen angehängt und mit gleicher Indifferenz verlegte man ihn, da
man es den momentanen Umständen für angemessener hielt, an den Schluß des
Concertes, wo er sich gänzlich verlor. Auf diese Weise wird man den großen
Meister dem großen Publicum wahrlich nicht näher bringen, im Gegentheil
man wird dasselbe in dem Glauben bestärken, Bachs gelehrte Musik passe
nur auf das Piano des Musikers. Hörte man doch Franzosen, denen es
ärgerlich war, daß eS mit der berliozschen Kindheit Christi nichts Rechtes
wurde, sagen: "Nun, Ihr Bach ist wahrhaftig auch nicht amüsant;" Bach und
Berlioz! Wir haben uns bei dieser Auseinandersetzung länger ausgehalten
als vielleicht nöthig, gewiß länger als es dem Leser lieb sein mag. Aber
diese BeHandlungsweise derjenigen Meister ober Tonwerke, welche ihr aus
einem oder dem anderen Grunde nicht zusagen, charakterisirt die Partei, der
Liszt angehört und wir bedauern, den ausgezeichneten Mann hier nicht sorg¬
fältiger und kenntnißreicher gefunden zu haben. Wenn manche seiner Schüler
und Anhänger sich schon seit längerer Zeit dadurch auszeichnen, daß sie mit
der lächerlichsten Mißachtung von Männern sprechen, denen sie nicht werth
sind, die Schuhriemen aufzulösen, so sollte ein Künstler wie Liszt das Große
anzuerkennen und aufzufinden wissen, wenn es sich ihm auch in Formen dar¬
bietet, die nicht seinem modernen Geschmacke zusagen. Will er aber als Diri¬
gent bei Musikfesten seinen Einfluß geltend machen, so ist es gradezu seine
Pflicht, mit der größten Gewissenhaftigkeit an die Wahl und Leitung der Werke
großer Meister zu gehen, und kann er das nicht, so muß er davon bleiben,
wenn er sich nicht dem Vorwürfe aussetzen will, seiner Aufgabe in mehr als
einer Hinsicht nicht gewachsen zu sein.

"Des Sängers Fluch" von Schumann gehört zu den zahlreichen nach¬
gelassenen Werken des genialen Meisters. ES war im Laufe des vergangenen
Frühjahrs zum ersten Male in Elberfeld und zwar mit vielem Beifalle gegeben
worden, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die von dort ausgegangenen,
etwas überschwenglichen Berichte, hauptsächlich die Aufmerksamkeit des Comitees
oder Liszts auf das Werk gelenkt haben mögen, denn veröffentlicht ist eS noch
nicht, so viel wir wissen. Der Text ist "nachUhland" oder nach "uhlandschen
Gedichten von Richard Pohl" bearbeitet, demselben, der unter dem Namen
Heglit eine umfassende Broschüre über daS karlsruher Musikfest veröffentlichte.


falls fürs Concert eine viel zu breite Behandlung hat, stand im Textbuch noch
einmal nach dem Schlußchoral der Cantate abgedruckt, er sollte also gegen
alle handhabe Form hier wiederholt werden. Man ging davon ab, aber wie
konnte man nur auf den Einfall kommen, es thun zu wollen?

Mit gleicher Willkür hatte man den herrlichen und an seiner Stelle
gewiß sehr wirksamen Schlußchor der Cantate, „Ich hatte viel Bekümmerniß"
der besprochenen angehängt und mit gleicher Indifferenz verlegte man ihn, da
man es den momentanen Umständen für angemessener hielt, an den Schluß des
Concertes, wo er sich gänzlich verlor. Auf diese Weise wird man den großen
Meister dem großen Publicum wahrlich nicht näher bringen, im Gegentheil
man wird dasselbe in dem Glauben bestärken, Bachs gelehrte Musik passe
nur auf das Piano des Musikers. Hörte man doch Franzosen, denen es
ärgerlich war, daß eS mit der berliozschen Kindheit Christi nichts Rechtes
wurde, sagen: „Nun, Ihr Bach ist wahrhaftig auch nicht amüsant;" Bach und
Berlioz! Wir haben uns bei dieser Auseinandersetzung länger ausgehalten
als vielleicht nöthig, gewiß länger als es dem Leser lieb sein mag. Aber
diese BeHandlungsweise derjenigen Meister ober Tonwerke, welche ihr aus
einem oder dem anderen Grunde nicht zusagen, charakterisirt die Partei, der
Liszt angehört und wir bedauern, den ausgezeichneten Mann hier nicht sorg¬
fältiger und kenntnißreicher gefunden zu haben. Wenn manche seiner Schüler
und Anhänger sich schon seit längerer Zeit dadurch auszeichnen, daß sie mit
der lächerlichsten Mißachtung von Männern sprechen, denen sie nicht werth
sind, die Schuhriemen aufzulösen, so sollte ein Künstler wie Liszt das Große
anzuerkennen und aufzufinden wissen, wenn es sich ihm auch in Formen dar¬
bietet, die nicht seinem modernen Geschmacke zusagen. Will er aber als Diri¬
gent bei Musikfesten seinen Einfluß geltend machen, so ist es gradezu seine
Pflicht, mit der größten Gewissenhaftigkeit an die Wahl und Leitung der Werke
großer Meister zu gehen, und kann er das nicht, so muß er davon bleiben,
wenn er sich nicht dem Vorwürfe aussetzen will, seiner Aufgabe in mehr als
einer Hinsicht nicht gewachsen zu sein.

„Des Sängers Fluch" von Schumann gehört zu den zahlreichen nach¬
gelassenen Werken des genialen Meisters. ES war im Laufe des vergangenen
Frühjahrs zum ersten Male in Elberfeld und zwar mit vielem Beifalle gegeben
worden, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die von dort ausgegangenen,
etwas überschwenglichen Berichte, hauptsächlich die Aufmerksamkeit des Comitees
oder Liszts auf das Werk gelenkt haben mögen, denn veröffentlicht ist eS noch
nicht, so viel wir wissen. Der Text ist „nachUhland" oder nach „uhlandschen
Gedichten von Richard Pohl" bearbeitet, demselben, der unter dem Namen
Heglit eine umfassende Broschüre über daS karlsruher Musikfest veröffentlichte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/54>, abgerufen am 25.08.2024.