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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Geist Vurch die schrankenlose Befriedigung seiner thierischen Leidenschaften, die
selbst die Türken uno Araber empörten, gegen jedes höhere Interesse beinahe
vollkommen abgestumpft. Nur auf Füllung seiner Privatkasse bedacht, that er
so gut wie nichts für Hebung des Volkes und Oeffnung der Hilfsquellen des
Landes. Sein äußeres Auftreten war das eines artigen, aber zugleich schlauen
und tückischen Türken. Er soll im "Bespräche mancherlei Liebenswürdigkeiten
vorgebracht haben, aber selten verließ, wie man erzählt, ein Franke sein Gemach,
ohne ?aß Abbas ihm das Schimpfwort Gjaur oder Kasir nachgerufen hätte.

Der jetzt regierende Vicekönig Said Pascha ist im Jahre 1822 geboren
und unter den Nachkommen Mehemed Alis der erste, welcher durch europäische
Lehrer ?en Werth abendländischer Cultur einigermaßen kennen und schätzen gelernt
hat. Sein Erzieher war König-Bey, ein Franzose, der ihm eine große Zu¬
neigung zu Frankreich einflößte und später als sein vertrauter Secretär um
ihn blieb. War Abbas der Typus deö Altlürkenthums, so ist Said der Re¬
präsentant der jungen Türkei. Er spricht g'eläufig französisch und weiß sich
auch in englischer Sprache verständlich zu machen. Franzosen waren ihm bis
auf die neueste Zeit der liebste Umgang, Franzosen seine Rathgeber und -- was
manchen unzweifelhaft mehr werth war -- seine Lieferanten. In den letzten
Monaten scheint sich diese Vorliebe etwas abgekühlt zu haben, wie man sagt
infolge zu großer Ansprüche an die Kasse des Paschas;-v. Lesseps, lange Zeit
von größerm Einfluß auf die Entschlüsse desselben, und sein Nachfolger im
Generalcousulate, Sabaiier, haben nicht mehr so häufige Audienzen wie früher,
und vor dem ersteren schien der Vicekönig während seiner letzten Reise nach
dem Sudan förmlich zu fliehe". Der Escayracsche Humbug und die Zudring¬
lichkeiten in Betreff deö Suezkanals mögen ihm über seine Freunde die Augen
geöffnet haben. Er ist kein Maun von besonderem Talent, noch weniger ein
energischer Geist, indeß hat er als wohlwollenDer Charakter und verhältni߬
mäßig aufgeklärter Kopf manches gethan, wofür die Aegypter alle Ursache
haben, dankbar zu sein.

Schon seine ersten Verordnungen zeigten die besten Absichten. Er schaffte
die Einrichtung ab, nach welcher der Gelreidehaudel ein Monopol der Regierung
war, erlaubte deu Fcllahin, Baumwolle auf eigne Rechnung zu bauen und ge¬
staltete den bis dahin ebenfalls der Regierung vorbehaltenen Handel mit diesem
LandeSproduct allen, die sich damit befassen wollten. Dann gebot er, ins
künftige die Abgaben statt wie bisher in Naturerzeugnissen in Geld zu ent¬
richten. Den durch verkehrte Maßregeln tief herabgekommenen Reisbau in der
Gegend von Damiette hob er, indem er den Bauern Steuernachlässe bewilligte
und ihnen Vorschüsse machte, welche sie in den siano setzten, ihre Schulden zu
bezahlen und sich aus den Händen von Gläubigern zu befreien, die sie zwangen,
ihre Frucht auf dem Halme zu verkaufen. Ferner hob er die von Mehemed Ali


Grettziwle,,. 1U. >>8ö7. 65

Geist Vurch die schrankenlose Befriedigung seiner thierischen Leidenschaften, die
selbst die Türken uno Araber empörten, gegen jedes höhere Interesse beinahe
vollkommen abgestumpft. Nur auf Füllung seiner Privatkasse bedacht, that er
so gut wie nichts für Hebung des Volkes und Oeffnung der Hilfsquellen des
Landes. Sein äußeres Auftreten war das eines artigen, aber zugleich schlauen
und tückischen Türken. Er soll im «Bespräche mancherlei Liebenswürdigkeiten
vorgebracht haben, aber selten verließ, wie man erzählt, ein Franke sein Gemach,
ohne ?aß Abbas ihm das Schimpfwort Gjaur oder Kasir nachgerufen hätte.

Der jetzt regierende Vicekönig Said Pascha ist im Jahre 1822 geboren
und unter den Nachkommen Mehemed Alis der erste, welcher durch europäische
Lehrer ?en Werth abendländischer Cultur einigermaßen kennen und schätzen gelernt
hat. Sein Erzieher war König-Bey, ein Franzose, der ihm eine große Zu¬
neigung zu Frankreich einflößte und später als sein vertrauter Secretär um
ihn blieb. War Abbas der Typus deö Altlürkenthums, so ist Said der Re¬
präsentant der jungen Türkei. Er spricht g'eläufig französisch und weiß sich
auch in englischer Sprache verständlich zu machen. Franzosen waren ihm bis
auf die neueste Zeit der liebste Umgang, Franzosen seine Rathgeber und — was
manchen unzweifelhaft mehr werth war — seine Lieferanten. In den letzten
Monaten scheint sich diese Vorliebe etwas abgekühlt zu haben, wie man sagt
infolge zu großer Ansprüche an die Kasse des Paschas;-v. Lesseps, lange Zeit
von größerm Einfluß auf die Entschlüsse desselben, und sein Nachfolger im
Generalcousulate, Sabaiier, haben nicht mehr so häufige Audienzen wie früher,
und vor dem ersteren schien der Vicekönig während seiner letzten Reise nach
dem Sudan förmlich zu fliehe». Der Escayracsche Humbug und die Zudring¬
lichkeiten in Betreff deö Suezkanals mögen ihm über seine Freunde die Augen
geöffnet haben. Er ist kein Maun von besonderem Talent, noch weniger ein
energischer Geist, indeß hat er als wohlwollenDer Charakter und verhältni߬
mäßig aufgeklärter Kopf manches gethan, wofür die Aegypter alle Ursache
haben, dankbar zu sein.

Schon seine ersten Verordnungen zeigten die besten Absichten. Er schaffte
die Einrichtung ab, nach welcher der Gelreidehaudel ein Monopol der Regierung
war, erlaubte deu Fcllahin, Baumwolle auf eigne Rechnung zu bauen und ge¬
staltete den bis dahin ebenfalls der Regierung vorbehaltenen Handel mit diesem
LandeSproduct allen, die sich damit befassen wollten. Dann gebot er, ins
künftige die Abgaben statt wie bisher in Naturerzeugnissen in Geld zu ent¬
richten. Den durch verkehrte Maßregeln tief herabgekommenen Reisbau in der
Gegend von Damiette hob er, indem er den Bauern Steuernachlässe bewilligte
und ihnen Vorschüsse machte, welche sie in den siano setzten, ihre Schulden zu
bezahlen und sich aus den Händen von Gläubigern zu befreien, die sie zwangen,
ihre Frucht auf dem Halme zu verkaufen. Ferner hob er die von Mehemed Ali


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/521>, abgerufen am 24.08.2024.