Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haben. Freilich hatte sich Liszt bequemt, das Mozartsche in Wien ohne
die geringste Beigabe der Tannhäuserouverture zu leiten, und als das Pro¬
gramm des aachener Festes erschien, ging daraus hervor, daß eine Art von
Kompromiß geschlossen worden war, als dessen hervorragendste Punkte einer¬
seits der Messias, andererseits die Kindheit Christi von Berlioz bezeichnet
werden können. Auch die Namen Beethoven und Bach, Schubert und Schu¬
mann waren vertreten und man konnte sich hiernach ein höchst interessantes
Fest versprechen. Hier daS Programm in seiner Folge:

Erster Tag: Ouvertüre (0p. 124 mit der Fuge) von Beethoven. Der
Messias.

Zweiter Tag: Cantate Ur. 7 "Christ unser Herr zum Jordan kam". --
Symphonie in Cäur von Schubert. -- Des Sängers Fluch von Robert
Schumann. -- Festklänge, symphonische Dichtung von Liszt. -- Die Kindheit
Christi, geistliche Trilogie von Berlioz.

Für den dritten Tag waren die Ouvertüren zu RuyblaS und zu Tann.
Häuser, das Violinconcert von Beethoven und das Clavierconcert von Liszt be¬
stimmt -- die Vocalstücke aber, wie gewöhnlich, späterer Uebereinkunft mit den
Sängern vorbehalten.

Es war jedenfalls ein Mißgriff, die beethovensche Ouvertüre vor den
Messias zu setzen. Die Ouvertüre zum letzteren bildet zwar keinen der Glanz-
Punkte des Werkes, jedoch führt sie würdig in dasselbe ein. Mozart hat mit
weiser Enthaltsamkeit das Allegro derselben (die Fuge) ganz ohne Zuthat ge¬
lassen; von einem starkbesetzten Streichsrchester aufgeführt macht sie einen sehr
achtunggebietenden Eindruck. Dieser wird durch den vorhergehenden Beethoven
geschmälert, welcher wieder für sich alleinstehend nicht ausreicht (wie es mit
einer Symphonie der Fall sein würde), um den Zuhörer ein Stück Musik
durchleben und mit demselben abschließen zu lassen. Zwei Ouvertüren auf¬
einanderfolgen zu lassen, ist überhaupt nie zu rathen und um so weniger, wenn
beide eine gewisse äußere Aehnlichkeit in der Form miteinander haben.

Der Messias wird immer durch Stoff, Behandlung, Wirkung eines der
passendsten Werke für den ersten Tag eines Musikfestes bilden. Indeß war
er auf einem der letzteren düsseldorfer Feste dagewesen und seitdem in der
Provinz viel gegeben worden. Ein anderes bedeutendes Oratorium hätte
vielleicht mehr interessirt, wenn auch schließlich nicht mehr befriedigt. Man
kann auch des Guten zu viel thun, aber freilich nicht so leicht, wie des
Gegentheils. Die Wahl der Symphonie Schuberts muß als eine sehr glück¬
liche bezeichnet werden, und macht Liszt, von dem sie doch wol ausgegangen
sein wird, alle Ehre. War auch ihre Ausführung, woraus wir später zurück¬
kommen werden, nur theilweise befriedigend, so bildete sie doch jedenfalls den
Glanzpunkt deS diesjährigen Festes.


haben. Freilich hatte sich Liszt bequemt, das Mozartsche in Wien ohne
die geringste Beigabe der Tannhäuserouverture zu leiten, und als das Pro¬
gramm des aachener Festes erschien, ging daraus hervor, daß eine Art von
Kompromiß geschlossen worden war, als dessen hervorragendste Punkte einer¬
seits der Messias, andererseits die Kindheit Christi von Berlioz bezeichnet
werden können. Auch die Namen Beethoven und Bach, Schubert und Schu¬
mann waren vertreten und man konnte sich hiernach ein höchst interessantes
Fest versprechen. Hier daS Programm in seiner Folge:

Erster Tag: Ouvertüre (0p. 124 mit der Fuge) von Beethoven. Der
Messias.

Zweiter Tag: Cantate Ur. 7 „Christ unser Herr zum Jordan kam". —
Symphonie in Cäur von Schubert. — Des Sängers Fluch von Robert
Schumann. — Festklänge, symphonische Dichtung von Liszt. — Die Kindheit
Christi, geistliche Trilogie von Berlioz.

Für den dritten Tag waren die Ouvertüren zu RuyblaS und zu Tann.
Häuser, das Violinconcert von Beethoven und das Clavierconcert von Liszt be¬
stimmt — die Vocalstücke aber, wie gewöhnlich, späterer Uebereinkunft mit den
Sängern vorbehalten.

Es war jedenfalls ein Mißgriff, die beethovensche Ouvertüre vor den
Messias zu setzen. Die Ouvertüre zum letzteren bildet zwar keinen der Glanz-
Punkte des Werkes, jedoch führt sie würdig in dasselbe ein. Mozart hat mit
weiser Enthaltsamkeit das Allegro derselben (die Fuge) ganz ohne Zuthat ge¬
lassen; von einem starkbesetzten Streichsrchester aufgeführt macht sie einen sehr
achtunggebietenden Eindruck. Dieser wird durch den vorhergehenden Beethoven
geschmälert, welcher wieder für sich alleinstehend nicht ausreicht (wie es mit
einer Symphonie der Fall sein würde), um den Zuhörer ein Stück Musik
durchleben und mit demselben abschließen zu lassen. Zwei Ouvertüren auf¬
einanderfolgen zu lassen, ist überhaupt nie zu rathen und um so weniger, wenn
beide eine gewisse äußere Aehnlichkeit in der Form miteinander haben.

Der Messias wird immer durch Stoff, Behandlung, Wirkung eines der
passendsten Werke für den ersten Tag eines Musikfestes bilden. Indeß war
er auf einem der letzteren düsseldorfer Feste dagewesen und seitdem in der
Provinz viel gegeben worden. Ein anderes bedeutendes Oratorium hätte
vielleicht mehr interessirt, wenn auch schließlich nicht mehr befriedigt. Man
kann auch des Guten zu viel thun, aber freilich nicht so leicht, wie des
Gegentheils. Die Wahl der Symphonie Schuberts muß als eine sehr glück¬
liche bezeichnet werden, und macht Liszt, von dem sie doch wol ausgegangen
sein wird, alle Ehre. War auch ihre Ausführung, woraus wir später zurück¬
kommen werden, nur theilweise befriedigend, so bildete sie doch jedenfalls den
Glanzpunkt deS diesjährigen Festes.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104252"/>
          <p xml:id="ID_127" prev="#ID_126"> haben. Freilich hatte sich Liszt bequemt, das Mozartsche in Wien ohne<lb/>
die geringste Beigabe der Tannhäuserouverture zu leiten, und als das Pro¬<lb/>
gramm des aachener Festes erschien, ging daraus hervor, daß eine Art von<lb/>
Kompromiß geschlossen worden war, als dessen hervorragendste Punkte einer¬<lb/>
seits der Messias, andererseits die Kindheit Christi von Berlioz bezeichnet<lb/>
werden können. Auch die Namen Beethoven und Bach, Schubert und Schu¬<lb/>
mann waren vertreten und man konnte sich hiernach ein höchst interessantes<lb/>
Fest versprechen. Hier daS Programm in seiner Folge:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_128"> Erster Tag: Ouvertüre (0p. 124 mit der Fuge) von Beethoven. Der<lb/>
Messias.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_129"> Zweiter Tag: Cantate Ur. 7 &#x201E;Christ unser Herr zum Jordan kam". &#x2014;<lb/>
Symphonie in Cäur von Schubert. &#x2014; Des Sängers Fluch von Robert<lb/>
Schumann. &#x2014; Festklänge, symphonische Dichtung von Liszt. &#x2014; Die Kindheit<lb/>
Christi, geistliche Trilogie von Berlioz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_130"> Für den dritten Tag waren die Ouvertüren zu RuyblaS und zu Tann.<lb/>
Häuser, das Violinconcert von Beethoven und das Clavierconcert von Liszt be¬<lb/>
stimmt &#x2014; die Vocalstücke aber, wie gewöhnlich, späterer Uebereinkunft mit den<lb/>
Sängern vorbehalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_131"> Es war jedenfalls ein Mißgriff, die beethovensche Ouvertüre vor den<lb/>
Messias zu setzen. Die Ouvertüre zum letzteren bildet zwar keinen der Glanz-<lb/>
Punkte des Werkes, jedoch führt sie würdig in dasselbe ein. Mozart hat mit<lb/>
weiser Enthaltsamkeit das Allegro derselben (die Fuge) ganz ohne Zuthat ge¬<lb/>
lassen; von einem starkbesetzten Streichsrchester aufgeführt macht sie einen sehr<lb/>
achtunggebietenden Eindruck. Dieser wird durch den vorhergehenden Beethoven<lb/>
geschmälert, welcher wieder für sich alleinstehend nicht ausreicht (wie es mit<lb/>
einer Symphonie der Fall sein würde), um den Zuhörer ein Stück Musik<lb/>
durchleben und mit demselben abschließen zu lassen. Zwei Ouvertüren auf¬<lb/>
einanderfolgen zu lassen, ist überhaupt nie zu rathen und um so weniger, wenn<lb/>
beide eine gewisse äußere Aehnlichkeit in der Form miteinander haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_132"> Der Messias wird immer durch Stoff, Behandlung, Wirkung eines der<lb/>
passendsten Werke für den ersten Tag eines Musikfestes bilden. Indeß war<lb/>
er auf einem der letzteren düsseldorfer Feste dagewesen und seitdem in der<lb/>
Provinz viel gegeben worden. Ein anderes bedeutendes Oratorium hätte<lb/>
vielleicht mehr interessirt, wenn auch schließlich nicht mehr befriedigt. Man<lb/>
kann auch des Guten zu viel thun, aber freilich nicht so leicht, wie des<lb/>
Gegentheils. Die Wahl der Symphonie Schuberts muß als eine sehr glück¬<lb/>
liche bezeichnet werden, und macht Liszt, von dem sie doch wol ausgegangen<lb/>
sein wird, alle Ehre. War auch ihre Ausführung, woraus wir später zurück¬<lb/>
kommen werden, nur theilweise befriedigend, so bildete sie doch jedenfalls den<lb/>
Glanzpunkt deS diesjährigen Festes.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] haben. Freilich hatte sich Liszt bequemt, das Mozartsche in Wien ohne die geringste Beigabe der Tannhäuserouverture zu leiten, und als das Pro¬ gramm des aachener Festes erschien, ging daraus hervor, daß eine Art von Kompromiß geschlossen worden war, als dessen hervorragendste Punkte einer¬ seits der Messias, andererseits die Kindheit Christi von Berlioz bezeichnet werden können. Auch die Namen Beethoven und Bach, Schubert und Schu¬ mann waren vertreten und man konnte sich hiernach ein höchst interessantes Fest versprechen. Hier daS Programm in seiner Folge: Erster Tag: Ouvertüre (0p. 124 mit der Fuge) von Beethoven. Der Messias. Zweiter Tag: Cantate Ur. 7 „Christ unser Herr zum Jordan kam". — Symphonie in Cäur von Schubert. — Des Sängers Fluch von Robert Schumann. — Festklänge, symphonische Dichtung von Liszt. — Die Kindheit Christi, geistliche Trilogie von Berlioz. Für den dritten Tag waren die Ouvertüren zu RuyblaS und zu Tann. Häuser, das Violinconcert von Beethoven und das Clavierconcert von Liszt be¬ stimmt — die Vocalstücke aber, wie gewöhnlich, späterer Uebereinkunft mit den Sängern vorbehalten. Es war jedenfalls ein Mißgriff, die beethovensche Ouvertüre vor den Messias zu setzen. Die Ouvertüre zum letzteren bildet zwar keinen der Glanz- Punkte des Werkes, jedoch führt sie würdig in dasselbe ein. Mozart hat mit weiser Enthaltsamkeit das Allegro derselben (die Fuge) ganz ohne Zuthat ge¬ lassen; von einem starkbesetzten Streichsrchester aufgeführt macht sie einen sehr achtunggebietenden Eindruck. Dieser wird durch den vorhergehenden Beethoven geschmälert, welcher wieder für sich alleinstehend nicht ausreicht (wie es mit einer Symphonie der Fall sein würde), um den Zuhörer ein Stück Musik durchleben und mit demselben abschließen zu lassen. Zwei Ouvertüren auf¬ einanderfolgen zu lassen, ist überhaupt nie zu rathen und um so weniger, wenn beide eine gewisse äußere Aehnlichkeit in der Form miteinander haben. Der Messias wird immer durch Stoff, Behandlung, Wirkung eines der passendsten Werke für den ersten Tag eines Musikfestes bilden. Indeß war er auf einem der letzteren düsseldorfer Feste dagewesen und seitdem in der Provinz viel gegeben worden. Ein anderes bedeutendes Oratorium hätte vielleicht mehr interessirt, wenn auch schließlich nicht mehr befriedigt. Man kann auch des Guten zu viel thun, aber freilich nicht so leicht, wie des Gegentheils. Die Wahl der Symphonie Schuberts muß als eine sehr glück¬ liche bezeichnet werden, und macht Liszt, von dem sie doch wol ausgegangen sein wird, alle Ehre. War auch ihre Ausführung, woraus wir später zurück¬ kommen werden, nur theilweise befriedigend, so bildete sie doch jedenfalls den Glanzpunkt deS diesjährigen Festes.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/51>, abgerufen am 12.12.2024.