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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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die Besorgnis?, jener könnte mit den Sachen davon gegangen sein. Der Kellner
war eben im Begriff, ihn darüber zu beruhigen, als der Junge unten erschien.
"Jetzt solle" Sie sehen, wie ichs ihm geben werde," sagte der Kellner, sprang
die Treppe hinunter, stieß die Kameraden des Säumigen, die ihn umstanden,
bei Seite, faßte den Burschen beim Halse und schlug ihn mit geballter Faust
ins Gesicht, daß sofort das Blut davon lief. Keiner der Vorübergehenden
magie dem Gemißhandelten zu Hilfe zu kommen, und als einer der übrigen
Eselsbuben demüthig denselben entschuldigen wollte (die Beamten der Bahn
hallen ihm trotz des Empfangscheins den Koffer nicht ausgeantwortet, weil er
ihnen zu jung schien) riß ihm der Wüthende die Peiische aus der Hand und
trieb ihn und die andern mit gewichtigen Hirben von dannen. Die Geprü¬
gelten erhoben ein großes Geschrei, und einer von ihnen wies auf die gleich
daneben befindliche Zaptie, vor welcher mehre Kawassen saßen und den Skan¬
dal mit der Nuhe, welche ägyptischen Kawassen den Franke" gegenüber bei
Tage eigen ist, zuschaute". Der Kellner warf ihm die Peitsche ins Gesicht
und sagte verächtlich auf Arabisch: "Du bist Koth! Alle Araber sind Koth!
Und Said Pascha, euer König, ist der größte Koth!"

Wir deuteten an, daß die Polizei bei Nacht etwas mehr Muth und Ener¬
gie entwickelt, und in der That geschieht es oft, daß Europäer, welche dem
Befehle, eine Stunde nach Sonnenuntergang nur mit einer brennenden Later¬
ne auf der Straße zu erscheinen, nicht nachkommen, verhaftet werden, auch
soll eS vorkommen, daß solche im Dunkeln schleichende Geister von ebenfalls
im Dunkeln bleibenden Kawassen statt eingesteckt zu werde", eine Tracht Prü¬
gel erhalten. Im Allgemeinen ist aber auch in solchen Fällen die Polizei
schüchtern und nachsichtig. Während unserer Anwesenheit in Kairo hatte ein
Franke in einem schlechten Hause statt zu bezahlen, vie Mädchen geschlagen,
Tische und Stühle sammt dem Spiegel zerbrochen und andere Ungebühr ver¬
übt. Man hatte einen Kawassen geholt, und dieser hatte den wüsten Gesellen
in die Zaptie gebracht, wo er verbleiben sollte, bis ihn sein Eonsulat recla-
mirte. Inzwischen aber war die Kunde hiervon unter die in der Nachbarschaft
wohnenden Europäer gedrungen, sie sammelten sich im Local eines jüdischen
KaffeewirthS, der sich an ihre Spitze stellte, zogen, durch andere Franken ver¬
stärkt, mit Geschrei auf die Polizeiwache, forderten ungestüm die sofortige Frei¬
lassung des Verhafteten, Prügellen, alö diese nicht sogleich erfolgte, die anwesenden
Kawassen und erzwangen zuletzt ihren Willen. Am andern Tage wurde eine
Untersuchung eingeleitet, aber schwerlich ist es zu einem andern Resultat ge¬
kommen, als zu einigen unbedeutenden Geldbußen.

Daß bei solchen Zuständen leichtere Vergehungen, namentlich betrüge¬
rischer Bankerott, Wucher und Uebervorthcilung im Handel häufig vorkommen
und selten die gebührende Ahnung erfahren, wird nicht Wunder nehmen. Die


die Besorgnis?, jener könnte mit den Sachen davon gegangen sein. Der Kellner
war eben im Begriff, ihn darüber zu beruhigen, als der Junge unten erschien.
„Jetzt solle» Sie sehen, wie ichs ihm geben werde," sagte der Kellner, sprang
die Treppe hinunter, stieß die Kameraden des Säumigen, die ihn umstanden,
bei Seite, faßte den Burschen beim Halse und schlug ihn mit geballter Faust
ins Gesicht, daß sofort das Blut davon lief. Keiner der Vorübergehenden
magie dem Gemißhandelten zu Hilfe zu kommen, und als einer der übrigen
Eselsbuben demüthig denselben entschuldigen wollte (die Beamten der Bahn
hallen ihm trotz des Empfangscheins den Koffer nicht ausgeantwortet, weil er
ihnen zu jung schien) riß ihm der Wüthende die Peiische aus der Hand und
trieb ihn und die andern mit gewichtigen Hirben von dannen. Die Geprü¬
gelten erhoben ein großes Geschrei, und einer von ihnen wies auf die gleich
daneben befindliche Zaptie, vor welcher mehre Kawassen saßen und den Skan¬
dal mit der Nuhe, welche ägyptischen Kawassen den Franke» gegenüber bei
Tage eigen ist, zuschaute». Der Kellner warf ihm die Peitsche ins Gesicht
und sagte verächtlich auf Arabisch: „Du bist Koth! Alle Araber sind Koth!
Und Said Pascha, euer König, ist der größte Koth!"

Wir deuteten an, daß die Polizei bei Nacht etwas mehr Muth und Ener¬
gie entwickelt, und in der That geschieht es oft, daß Europäer, welche dem
Befehle, eine Stunde nach Sonnenuntergang nur mit einer brennenden Later¬
ne auf der Straße zu erscheinen, nicht nachkommen, verhaftet werden, auch
soll eS vorkommen, daß solche im Dunkeln schleichende Geister von ebenfalls
im Dunkeln bleibenden Kawassen statt eingesteckt zu werde», eine Tracht Prü¬
gel erhalten. Im Allgemeinen ist aber auch in solchen Fällen die Polizei
schüchtern und nachsichtig. Während unserer Anwesenheit in Kairo hatte ein
Franke in einem schlechten Hause statt zu bezahlen, vie Mädchen geschlagen,
Tische und Stühle sammt dem Spiegel zerbrochen und andere Ungebühr ver¬
übt. Man hatte einen Kawassen geholt, und dieser hatte den wüsten Gesellen
in die Zaptie gebracht, wo er verbleiben sollte, bis ihn sein Eonsulat recla-
mirte. Inzwischen aber war die Kunde hiervon unter die in der Nachbarschaft
wohnenden Europäer gedrungen, sie sammelten sich im Local eines jüdischen
KaffeewirthS, der sich an ihre Spitze stellte, zogen, durch andere Franken ver¬
stärkt, mit Geschrei auf die Polizeiwache, forderten ungestüm die sofortige Frei¬
lassung des Verhafteten, Prügellen, alö diese nicht sogleich erfolgte, die anwesenden
Kawassen und erzwangen zuletzt ihren Willen. Am andern Tage wurde eine
Untersuchung eingeleitet, aber schwerlich ist es zu einem andern Resultat ge¬
kommen, als zu einigen unbedeutenden Geldbußen.

Daß bei solchen Zuständen leichtere Vergehungen, namentlich betrüge¬
rischer Bankerott, Wucher und Uebervorthcilung im Handel häufig vorkommen
und selten die gebührende Ahnung erfahren, wird nicht Wunder nehmen. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/509>, abgerufen am 03.07.2024.