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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Die ChalifcnstM am Nil.
^NüchH.'M! NI-'I! Ä'et^.>l^>^U^^.>lU^^s- '!'!'-
Die Europäer. Der Suezkanal. Die Regierung einst und jetzt.

Die in Kairo lebenden Europäer, von denen die Mehrzahl Griechen und
Italiener sind, gehören großentheils dem Handelsstande an. Die übrigen
sind Handwerker, Aerzte, Consulatsbeamte, bei der Eisenbahn oder der Tran¬
sitgesellschaft Angestellte, Factoren in den Fabriken und Zuckersledereicn, Gast¬
wirthe, Kellner, solche, welche des für Brustkranke (wol mit Unrecht) empfoh¬
lenen Klimas wegen sich hier aufhalten, endlich Jndusirieritter, Schwindler und
Bummler. Viele sind als politische Flüchtlinge hierher verschlagen worden,
manche -- nach den zweideutigen Physiognomien, denen man begegnet, und
nach den vielen schlechten Geschichten, die auf diesen verhältnißmäßig geringen
Theil der Einwohner Kairos kommen -- aus weniger ehrenwerthen Gründen
vor dem Gesetz geflohen. Mit Ausnahme der Kranken und einiger andern,
wohin die meisten der Herren von den Consulaten zu zählen sein mögen, hat
diese ganze Classe nur ein Ziel vor Augen, mit allen Mitteln Geld zu machen,
und das gibt einen Ton, der lebhaft an amerikanisches Dichten und Trachten
erinnert. Die, welche in der guten alten Zeit, wo es keine so starke Con-
currenz gab, ihr Schäfchen geschoren haben, machen in der Regel den Ein¬
druck ungebildeter hochmüthiger Glückspilze. Die Uebrigen bewegen sich in
der fast unbegrenzten Freiheit, die ihnen die Verträge sichern, ganz, wie eS
ihnen ihr Belieben eingibt, und so bedarf es ihnen gegenüber bei weitem
größerer Vorsicht, als im Verkehr mit Arabern und Türken. Die Consulate
wagen nicht mit Strenge einzuschreiten. Wo dies versucht wirb, findet der
Verbrecher fast immer Gelegenheit zu entkommen, oder sich auf andere Weise
der Strafe zu entziehen. Die ägyptische Polizei, gegen die Eingebornen so¬
fort mit Stock und Nilpferdkurbatsche bei der Hand, getraut sich fast nie Hand
an einen Franken zu legen. Bei einem Rechtsstreit zwischen Europäern und
Arabern wird in der Regel zu Gunsten der erstem entschieden. Daß ein
Araber bei ungerechtfertigte" Beleidigungen durch Franken sich wehrte und
Gleiches mit Gleichem zu vergelten suchte, ist seit vielen Jahren unerhört.

Nach den Verträgen darf überhaupt kein Verbrecher, der nicht durch Ge¬
burt Unterthan des Sultans ist, nach türkischem Gesetz bestraft werden, son¬
dern muß dem Consul übergeben werden, bei dem er seinen Paß hat. Dieser
kann ihn bei leichteren Vergehungen einsperren oder sonst bestrafen. Bei
schwereren muß er ihn in seine Heimach senden. Wie schwierig es ist, ihn
dort zu überführen, wo Zeugen fehlen, liegt auf der Hand, und da manche
Consulate die Zahl ihrer Schutzbefohlenen ohne irgend auf Abstammung und


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Die ChalifcnstM am Nil.
^NüchH.'M! NI-'I! Ä'et^.>l^>^U^^.>lU^^s- '!'!'-
Die Europäer. Der Suezkanal. Die Regierung einst und jetzt.

Die in Kairo lebenden Europäer, von denen die Mehrzahl Griechen und
Italiener sind, gehören großentheils dem Handelsstande an. Die übrigen
sind Handwerker, Aerzte, Consulatsbeamte, bei der Eisenbahn oder der Tran¬
sitgesellschaft Angestellte, Factoren in den Fabriken und Zuckersledereicn, Gast¬
wirthe, Kellner, solche, welche des für Brustkranke (wol mit Unrecht) empfoh¬
lenen Klimas wegen sich hier aufhalten, endlich Jndusirieritter, Schwindler und
Bummler. Viele sind als politische Flüchtlinge hierher verschlagen worden,
manche — nach den zweideutigen Physiognomien, denen man begegnet, und
nach den vielen schlechten Geschichten, die auf diesen verhältnißmäßig geringen
Theil der Einwohner Kairos kommen — aus weniger ehrenwerthen Gründen
vor dem Gesetz geflohen. Mit Ausnahme der Kranken und einiger andern,
wohin die meisten der Herren von den Consulaten zu zählen sein mögen, hat
diese ganze Classe nur ein Ziel vor Augen, mit allen Mitteln Geld zu machen,
und das gibt einen Ton, der lebhaft an amerikanisches Dichten und Trachten
erinnert. Die, welche in der guten alten Zeit, wo es keine so starke Con-
currenz gab, ihr Schäfchen geschoren haben, machen in der Regel den Ein¬
druck ungebildeter hochmüthiger Glückspilze. Die Uebrigen bewegen sich in
der fast unbegrenzten Freiheit, die ihnen die Verträge sichern, ganz, wie eS
ihnen ihr Belieben eingibt, und so bedarf es ihnen gegenüber bei weitem
größerer Vorsicht, als im Verkehr mit Arabern und Türken. Die Consulate
wagen nicht mit Strenge einzuschreiten. Wo dies versucht wirb, findet der
Verbrecher fast immer Gelegenheit zu entkommen, oder sich auf andere Weise
der Strafe zu entziehen. Die ägyptische Polizei, gegen die Eingebornen so¬
fort mit Stock und Nilpferdkurbatsche bei der Hand, getraut sich fast nie Hand
an einen Franken zu legen. Bei einem Rechtsstreit zwischen Europäern und
Arabern wird in der Regel zu Gunsten der erstem entschieden. Daß ein
Araber bei ungerechtfertigte» Beleidigungen durch Franken sich wehrte und
Gleiches mit Gleichem zu vergelten suchte, ist seit vielen Jahren unerhört.

Nach den Verträgen darf überhaupt kein Verbrecher, der nicht durch Ge¬
burt Unterthan des Sultans ist, nach türkischem Gesetz bestraft werden, son¬
dern muß dem Consul übergeben werden, bei dem er seinen Paß hat. Dieser
kann ihn bei leichteren Vergehungen einsperren oder sonst bestrafen. Bei
schwereren muß er ihn in seine Heimach senden. Wie schwierig es ist, ihn
dort zu überführen, wo Zeugen fehlen, liegt auf der Hand, und da manche
Consulate die Zahl ihrer Schutzbefohlenen ohne irgend auf Abstammung und


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[0507] Die ChalifcnstM am Nil. ^NüchH.'M! NI-'I! Ä'et^.>l^>^U^^.>lU^^s- '!'!'- Die Europäer. Der Suezkanal. Die Regierung einst und jetzt. Die in Kairo lebenden Europäer, von denen die Mehrzahl Griechen und Italiener sind, gehören großentheils dem Handelsstande an. Die übrigen sind Handwerker, Aerzte, Consulatsbeamte, bei der Eisenbahn oder der Tran¬ sitgesellschaft Angestellte, Factoren in den Fabriken und Zuckersledereicn, Gast¬ wirthe, Kellner, solche, welche des für Brustkranke (wol mit Unrecht) empfoh¬ lenen Klimas wegen sich hier aufhalten, endlich Jndusirieritter, Schwindler und Bummler. Viele sind als politische Flüchtlinge hierher verschlagen worden, manche — nach den zweideutigen Physiognomien, denen man begegnet, und nach den vielen schlechten Geschichten, die auf diesen verhältnißmäßig geringen Theil der Einwohner Kairos kommen — aus weniger ehrenwerthen Gründen vor dem Gesetz geflohen. Mit Ausnahme der Kranken und einiger andern, wohin die meisten der Herren von den Consulaten zu zählen sein mögen, hat diese ganze Classe nur ein Ziel vor Augen, mit allen Mitteln Geld zu machen, und das gibt einen Ton, der lebhaft an amerikanisches Dichten und Trachten erinnert. Die, welche in der guten alten Zeit, wo es keine so starke Con- currenz gab, ihr Schäfchen geschoren haben, machen in der Regel den Ein¬ druck ungebildeter hochmüthiger Glückspilze. Die Uebrigen bewegen sich in der fast unbegrenzten Freiheit, die ihnen die Verträge sichern, ganz, wie eS ihnen ihr Belieben eingibt, und so bedarf es ihnen gegenüber bei weitem größerer Vorsicht, als im Verkehr mit Arabern und Türken. Die Consulate wagen nicht mit Strenge einzuschreiten. Wo dies versucht wirb, findet der Verbrecher fast immer Gelegenheit zu entkommen, oder sich auf andere Weise der Strafe zu entziehen. Die ägyptische Polizei, gegen die Eingebornen so¬ fort mit Stock und Nilpferdkurbatsche bei der Hand, getraut sich fast nie Hand an einen Franken zu legen. Bei einem Rechtsstreit zwischen Europäern und Arabern wird in der Regel zu Gunsten der erstem entschieden. Daß ein Araber bei ungerechtfertigte» Beleidigungen durch Franken sich wehrte und Gleiches mit Gleichem zu vergelten suchte, ist seit vielen Jahren unerhört. Nach den Verträgen darf überhaupt kein Verbrecher, der nicht durch Ge¬ burt Unterthan des Sultans ist, nach türkischem Gesetz bestraft werden, son¬ dern muß dem Consul übergeben werden, bei dem er seinen Paß hat. Dieser kann ihn bei leichteren Vergehungen einsperren oder sonst bestrafen. Bei schwereren muß er ihn in seine Heimach senden. Wie schwierig es ist, ihn dort zu überführen, wo Zeugen fehlen, liegt auf der Hand, und da manche Consulate die Zahl ihrer Schutzbefohlenen ohne irgend auf Abstammung und 63*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/507>, abgerufen am 21.11.2024.